Berlin/Brüssel. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will angesichts von Problemen mit Implantaten für mehr Transparenz bei Medizinprodukten sorgen. “Wir bauen eine industrieunabhängige Stelle auf, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen”, sagte Spahn der “Rheinischen Post” am Dienstag (27.11.). Zugleich räumte er Defizite ein.
Gebe es heute Probleme mit einem Medizinprodukt, habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) “keinen Gesamtüberblick über alle vergleichbaren Fälle”. Das Institut habe in der Folge auch keine Chance, Patienten gezielt vor Fehlern zu warnen. Mit dem Register soll außerdem nachgeprüft werden können, wie lange Implantate halten.
Die Sender NDR und WDR sowie die “Süddeutsche Zeitung” sowie internationale Medien hatten gemeinsam berichtet, Verdachtsfälle zu Verletzungen oder tödlichen Folgen fehlerhafter Medizinprodukte nähmen stark zu. Es geht zum Beispiel um nicht haltbare Hüftimplantate oder Prothesen. In Deutschland seien im vergangenen Jahr 14.034 Verdachtsfälle gemeldet worden.
Viele Gründe für steigende Meldungen
Das BfArM registriert und veröffentlicht die Meldungen, die letzte Zahl von 12.000 Fällen stammt aus 2016. Die Behörde gibt jedoch an, dass bei bisherigen Kontrollen bei knapp der Hälfte dieser Fälle (40 Prozent) nicht das Medizinprodukt für das gemeldete Problem ursächlich gewesen sei. Es habe sich daher rechtlich nicht um ein meldepflichtiges “Vorkommnis” gehandelt. So bezeichnet das Institut beispielsweise eine Funktionsstörung oder unsachgemäße Bezeichnung eines Medizinproduktes, die zum Tod oder zur Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten geführt haben könnte.
Die Zunahme der Meldungen erklärt das BfArM mit mehreren Gründen: So nehme die Zahl der Medizinprodukte zu. Aber auch die Meldungen von Problemen durch Ärzte und Kliniken habe sich verbessert. An der Erfüllung dieser Meldepflicht mangelt es jedoch nach Angaben von NDR, WDR und SZ. Am Beispiel Brustimplantate werde dies deutlich: Im vergangenen Jahr wurden dem Rechercheverbund zufolge in deutschen Krankenhäusern 3.170 Implantate operativ entfernt, weil das Gewebe rund um die Silikonkissen schmerzhaft vernarbt gewesen sei; allerdings seien nur 141 dieser Fälle gemeldet worden.
Fehlt staatliche Kontrolle?
Als weiteres Problem sieht der Rechercheverbund, dass solche Medizinprodukte in Europa nicht von staatlichen Stellen kontrolliert und zertifiziert werden müssten. Vielmehr erfolge dies durch private Institute, die im Auftrag der Hersteller tätig seien. Das BfArM ist nach eigenen Angaben nicht für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig, es registriert jedoch die Meldungen über Probleme.
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sieht ein grundsätzliches Problem. “Bei Medizinprodukten kommen Scheininnovationen und sogar schädliche Produkte viel zu leicht in die Versorgung. Es gibt keine sicheren Regeln und Vorgaben, die das verhindern”, kritisierte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. “Hier hat die Politik seit Jahren trotz zahlreicher Mahnungen viel zu wenig getan. Auch die gesetzliche Krankenversicherung hat mehrfach auf diese Probleme hingewiesen.”
Die EU-Kommission forderte eine bessere Umsetzung von Regeln und Kontrollen. Auf EU-Ebene sei als Konsequenz aus dem Skandal um geplatzte Brustimplantate 2017 ein neues Regelwerk beschlossen worden, sagte eine Sprecherin am Montag (26.11.). “Aber die Geschichte ist noch nicht vorbei. Wie immer ist natürlich die Umsetzung der entscheidende Punkt.”
EU verschärft Prüfungsprozesse
Die EU-Staaten, Hersteller und Ärzte seien aufgefordert, die strengeren Qualitäts- und Sicherheitsstandards anzuwenden und ihre Arbeit transparenter zu machen, betonte die Sprecherin. Die Reform setze vor allem auf striktere Kontrollen von Medizinprodukten vor und nach dem sogenannten Inverkehrbringen. Darüber hinaus gebe es mit Eudamed erstmals eine Datenbank, um die Aufsicht über Medizinprodukte zu unterstützen. “Patientensicherheit ist ein Thema, das die Kommission sehr ernst nimmt”, versicherte die Sprecherin.
Auch das Bundesgesundheitsministerium nehme die Berichte sehr ernst, sagte ein Sprecher. “Jeder einzelne dort beschriebene Fall ist tragisch und einer zuviel.” Auf EU-Ebene sei die Medizinprodukte-Richtlinie überarbeitet und durch zwei Verordnungen ersetzt worden, “die in weiten Teilen im Mai 2020 ihre Wirkung entfalten”. Verändert werden sollen zum Beispiel Prüfungen bei der Auswahl und Qualitätskontrolle der Zertifizierungsstellen für Medizinprodukte. Diese sollen die EU-Staaten nicht mehr wie bisher in Eigenregie bestimmen können.
Zudem soll ein internationales Expertengremium künftig Medizinprodukte zusätzlich kontrollieren. Bei Produkten hoher Risikoklassen müssen die Hersteller in Zukunft klinische Studien vorlegen. Der BMG-Sprecher regte darüber hinaus an, dass Schwierigkeiten bei Implantaten gemeldet werden müssen. “Es gibt eine Pflicht zu melden, und wenn dieser Pflicht nicht nachgekommen wird, dann ist das ein Versäumnis der Anwender.”
Quelle: dpa