HonorarverhandlungenWie viel muss ein Hausbesuch wert sein?

Doktor auf Hausbesuch: Auch 33,71 Euro sind nicht kostendeckend

Um rund 620 Millionen Euro soll das Honorar für Vertragsärzte 2019 steigen, haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Kassen Ende August im Erweiterten Bewertungsausschuss beschlossen. Demnach soll sich der Orientierungswert 2019 um 1,58 Prozent erhöhen, was rund 550 Millionen Euro entspricht. Hinzukommen sollen 70 Millionen für die Veränderung der Morbidität.

“Das ist bestenfalls ein Inflationsausgleich”, kitisiert der Deutsche Hausärzteverband. Zudem war die für Hausärzte viel relevantere Forderung, die angemessene Vergütung der Hausbesuche, bis Redaktionsschluss völlig ungeklärt. Zwar hat die KBV angekündigt, die Gespräche diesbezüglich fortzusetzen. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob und wann am Ende wirklich die nötige Anhebung des Hausbesuchshonorars kommt. Hier werden wir der KBV also “auf die Finger schauen” müssen.

Viel zu lange werden hausärztliche Besuche im EBM nicht adäquat vergütet. Hausärzte können sich Hausbesuche betriebswirtschaftlich eigentlich nicht leisten, ohne Gefahr zu laufen, die wirtschaftliche Existenz ihrer Praxis zu gefährden. Die Leistungen sind im EBM falsch kalkuliert und deutlich unterbewertet: 22 Euro brutto entspricht nicht dem Aufwand, den ein Hausbesuch erfordert. “Hier braucht es schnellstens eine Erhöhung”, fordert der Hausärzteverband, Besuche müssten entbudgetiert und betriebswirtschaftlich kalkuliert werden.

Dies hat die KBV zum Start der Honorarverhandlungen zwar aufgegriffen und vorgeschlagen, die Vergütung von Hausbesuchen um 45 Prozent als extrabudgetären Zuschlag anzuheben. Ein Besuch nach Nr. 01410 EBM wäre dann 33,71 Euro wert statt 22,50 Euro. Der GKV-Spitzenverband präferiert aber alternativ, die Vergütung für Hausbesuche bei der Weiterentwicklung des EBM anzuheben. Das lehnt allerdings die KBV ab und lenkt damit von eigenen Versäumnissen in der Vergangenheit ab.

Hausbesuche nicht nach STABS bewertet

Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung hat die Vergütung der ambulanten ärztlichen Leistungen 2008 grundsätzlich neu geregelt. Dies war die Geburtsstunde für den bundesweit und kassenartenübergreifend geltenden einheitlichen Punktwert für ärztliche Leistungen (Orientierungswert) bei gleichzeitiger vereinheitlichter Mengenbegrenzung durch arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumina (RLV). Der EBM veränderte sich so von einem Maßstab zur relativen Bewertung einzelner Leistungen zu einer Gebührenordnung mit festen Preisen.

Nach einem Kalkulationsmodell, dem Standardbewertungssystem (STABS), wurden die Bewertungen in Euro berechnet. Dabei flossen direkte und kalkulatorische Kosten für ärztliche Leistungen (AL) und technische Leistungen (TL) mit einem Punktwert von 5,1129 Cent ein.

Bis heute werden neue Leistungen nach STABS kalkuliert: Dabei legt man eine Brutto-Jahresarbeitszeit von 51 Wochenstunden sowie eine Produktivität der ärztlichen Leistung von 87,5 Prozent (aufgrund von Pausen) zugrunde. Dies ergab ursprünglich einen Kostensatz von 86,09 Cent pro Arztminute, der im Laufe der weiteren Honorarentwicklung angepasst wurde.

Doch schon damals nahm die heutige Schieflage zwischen technischen und anderen weniger technischen ärztlichen Leistungen ihren Anfang. Denn der Wert von Hausbesuchen wurde nicht nach STABS berechnet, sondern nur “gegriffen”. Mit dem Ergebnis, dass etwa ein Besuch nach Nr. 01410 EBM – trotz Anpassungen seit 2008 – aktuell immer noch nur 22,59 Euro wert ist. Allein aufgrund dieser Falschbewertung, für die man durchaus die KBV verantwortlich machen kann, sind mehrstellige Millionenbeträge nicht der hausärztlichen Versorgung zu Gute gekommen.

Abwesenheit und Fahrtkosten einbeziehen

Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen KV-Regionen Hausbesuche budgetiert werden und Hausärzte Jahre später Rückforderungen nach Wirtschaftlichkeitsprüfungen fürchten müssen. Für Praxisinhaber sind Hausbesuche wirtschaftlich also nicht nur schlecht zu kalkulieren, sondern auch mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko behaftet. Es überrascht daher nicht, dass jüngst veröffentlichte Daten der KVen zeigen, dass die Zahl der Hausbesuche regional unterschiedlich stark sinkt (s. Analyse in “Der Hausarzt” 12).

Sollen Hausbesuche – wie von Politikern gewünscht – gefördert werden, wäre der erste und einfachste Ansatzpunkt, diese Schieflage zu beheben. Die Frage ist: Wie sieht eine angemessene Bewertung aus?

Zunächst müsste man die ärztliche Leistung des Hausbesuchs wie andere Leistungen auch nach STABS bewerten. Damit ist es aus betriebswirtschaftlicher Perspektive des Praxisinhabers aber nicht getan! Denn man muss auch die Abwesenheit in der Praxis, also die Fahrtzeit zum Patienten, berücksichtigen. Gerade auf dem Land, wo ältere, immobile Patienten besonders auf Hausbesuche angewiesen sind, nehmen Hausärzte teils längere Fahrtzeiten auf sich, ohne dies bisher adäquat vergütet zu bekommen.

Zudem muss man die Fahrzeugkosten einrechnen, die Hausärzten durch Hausbesuche entstehen. Die hier zugrunde gelegten Kilometerpauschalen sind ebenfalls nicht betriebswirtschaftlich kalkuliert und unterscheiden sich auch noch von KV zu KV erheblich. Damit muss Schluss sein! Die tatsächlich gefahrenen Kilometer zum Patienten müssen auf der Grundlage des betriebswirtschaftlich errechneten Kostensatzes für den Betrieb des Fahrzeugs bezahlt werden, und das kann weder die steuerliche Pauschale von 0,30 Cent noch die bisherige Kilometerpauschale sein.

Berücksichtigt man diese drei Faktoren, ergibt sich für einen Hausbesuch (kalkuliert mit den aktuell vorgesehenen 20 Minuten Zeitvorgabe) mit beispielhaft 20 Minuten Fahrzeit zum Patienten und angemessener Fahrtkostenentschädigung bereits ein Wert von 60 bis 80 Euro.

Höheres Honorar für förderungswürdige Hausbesuche

Dies ist keinesfalls ein unrealistischer Wert, zeigt der EBM doch etwa bei der Nr. 01415, dass man Besuche durchaus angemessen bewerten kann. Für diesen Besuch erhalten Ärzte nämlich 58,17 Euro und somit mehr als doppelt so viel wie für die Leistung nach Nr. 01410 EBM. Hier hat man zwar auch nicht nach STABS kalkuliert, aber zumindest “adäquat gegriffen”.

Zu erklären ist der Unterschied kaum. Schließlich umfasst die Nr. 01415 Besuche, die Heime anfordern und Ärzte am selben Tag ausführen. Das trifft aber in gleicher Weise für einen angeforderten Besuch außerhalb eines Pflegeheims nach Nr. 01410 EBM zu, sonst wäre er ja unwirtschaftlich.

Auch nicht nachvollziehbar ist, warum nur die Bewertung von Heimbesuchen, wenn man einen Vertrag mit einem Heim geschlossen hat, höher vergütet wird. Das Honorar für den Mitbesuch nach der 01413 EBM ist mit 11,29 Euro besonders schlecht bewertet, wird aber, wenn ein Versorgungsvertrag besteht, über den Zuschlag nach Nr. 37113 EBM (11,29 Euro) verdoppelt. Hausbesuche außerhalb von Heimen sind so gesehen regelrecht diskriminiert, zumal die Leistungen nach den Nrn. 01415 und 37113 EBM im Gegensatz zu den Besuchen nach den Nrn. 01410 und 01413 EBM keine Zeitvorgaben haben.

Es geht also, warum deshalb nicht bei allen anderen Hausbesuchen auch? Dann würde deren Zahl wieder steigen. Klar ist aber auch: Eine Anhebung des Honorars für den Besuch nach Nr. 01410 EBM auf 33,71 Euro, wie von der KBV gefordert, bei gleichzeitiger prozentualer Anhebung aller anderen Besuchsleistungen reicht keineswegs aus!

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