Berlin. Wenn die ambulante Versorgung noch eine Zukunft haben soll, müssen die gesundheitspolitisch Verantwortlichen endlich handeln, eröffnete KBV-VV-Vorsitzende und Hausärztin Dr. Petra Reis-Berkowicz, die Vertreterversammlung.
Am 18.8. sei Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) ein Forderungskatalog der niedergelassenen Ärzteschaft übermittelt worden. Lauterbachs Reaktion darauf, die der VV in einem Einspieler präsentiert wurde, erhitzte die Gemüter der Vertreterinnen und Vertreter noch mehr.
Bundesgesundheitsminister beklagt eigene Gedächtnisleistung
In dem gezeigten Phoenix-Ausschnitt vom 13.9. antwortete Lauterbach auf eine Nachfrage einer Journalistin auf die eingereichten Forderungen der Ärzteschaft: „Ich bekomme fast jeden Tag Briefe mit Forderungen.“
Er bat die Journalistin um „Nachsicht“, all dies überfordere seine „Gedächtnisleistung“. Dass sich die Abschaffung der Neupatientenregelung nicht gut anfühle, könne er verstehen. Allerdings seien Sparmaßnahmen zwingend nötig gewesen und es habe sich gezeigt, dass der Neupatientenregelung keine wirkliche Gegenleistung gegenübergestanden habe.
„Das Ultimatum werde ich gut überstehen. Das hatte ich gar nicht präsent“, sagte Lauterbach auf die Frage, wie er mit dem Ultimatum der Ärzteschaft umgehe, auf die Forderungen bis zum 13.9. zu reagieren.
“Auf dem ambulanten Auge blind”
„Diese Nicht-Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen, spricht Bände und ist offen gesagt armselig! Sie bestätigt all unsere Befürchtungen, nämlich, dass dieser Gesundheitsminister nicht nur „auf dem ambulanten Auge“ blind ist, sondern offenkundig auch völlig taub für die Belange der Praxen“, erklärte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen in seiner Rede vor der KBV-VV.
Wie der KBV-Vorstand wünscht sich auch Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, mehr Dialog mit den Politikern. Er schlug einen runden Tisch vor, um die ambulante Versorgung gemeinsam zu gestalten.
Kontroverse Honorarverhandlungen
Die Honorarverhandlungen seien in diesem Jahr so kontrovers wie nie zuvor gewesen, so Gassen zum Honorar 2024. Immerhin habe man bei den Verhandlungen eine Steigerung beim Orientierungspunktwert von knapp vier Prozent erreichen können.
Positiv sei anzumerken, dass die Arztleistung im EBM mit rund 4,66 Prozent gesteigert wurde, so Gassen, und damit der Tarifsteigerung der Klinikärzte entspreche. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hatte das Verhandlungsergebnis am Vortag jedoch als insgesamt enttäuschend bewertet.
Rücktrittsforderungen falsches Signal
Die Dynamisierung der Kostenpauschalen, die Berücksichtigung des durch Arzneimittelengpässe wachsenden Mehraufwands in den Praxen sowie die Vergütung des gestiegenen speziellen Hygieneaufwands beim ambulanten Operieren würde noch gesondert verhandelt werden, kündigte Gassen an. Dass die Steigerung für die Ärztinnen und Ärzte in den Praxen enttäuschend sei, sei klar, meinte Gassen in einer anschließenden Pressekonferenz.
In der VV erhielt der Vorstand viel Rückendeckung für seine Verhandlungen. Das Ergebnis sei sicher kein Grund zum Jubeln, sagte beispielsweise Dr. Karsten Braun, KV Baden-Württemberg. Allerdings seien Rücktrittsforderungen an den KBV-Vorstand genau das falsche Signal und zeuge von der Unkenntnis der Regeln für die Finanzierungsverhandlungen.
Wenn der Forderungskatalog vom 18.8. nicht gewesen wäre, gab sich Braun überzeugt, wäre dieses Ergebnis nicht zustande gekommen. Der 18.8. sei ein Signal hoher Solidarität und Geschlossenheit der Ärzteschaft. Braun: „So machen wir weiter und dann sind wir auch noch da, wenn Lauterbach nicht mehr da ist.“
Mehr Erpressung als Verhandlung
Dr. Andreas Bartels, KV Rheinland-Pfalz, schloss sich dem an. „Ehrlicherweise“, erklärte Bartels, könne man nicht wirklich von Honorarverhandlungen sprechen, vielmehr handele es sich um „Erpressung“.
Prof. Jürgen Wasem, meinte Bartels, sei kein unabhängiger Schlichter. Wasem hätte den GKV-Spitzenverband gefragt: “Wo liegt Eure Schmerzgrenze?” Diese Grenze würde dann den Ärztinnen und Ärzten präsentiert und gesagt: Entweder Ihr akzeptiert das oder ich gehe 0,5 Prozent runter, erläuterte Bartels das Prozedere aus seiner Sicht.
Mit Lauterbach ging Gassen in seiner Rede weiter hart ins Gericht: „Wer sich auf die Versprechen von Minister Lauterbach verlässt, der ist verlassen.“ Das BMG bzw. Lauterbach versuche, wie einst die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, „sukzessive den Turn zur Staatsmedizin mit der Brechstange durchzusetzen“, erklärte Gassen.
Bürokratischer Wahnsinn geht weiter
Gassen forderte Lauterbach in seiner Rede auf, sich die Forderungen der Ärzteschaft schnell zu Herzen zu nehmen, „oder die Menschen in unserem Land erleben bereits in den nächsten Monaten eine andere Versorgung: weitere Wege, längere Wartezeiten und eine vom Budget diktierte Leistungsmenge.“
Eigentlich, unterstrich auch KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister, hätte der 18.8. jeden Politiker wachrütteln müssen. Die Botschaft Lauterbachs sei im Kern aber: Ihr seid mir wurscht, schimpfte Hofmeister.