Forum PolitikHausärztliche Fortbildung ist weit mehr als Fortbildung für Hausärzte

Fortbildung ist mehr als reine Wissensvermittlung. Sie sichert die einheitliche Kompetenz und den Zusammenhalt einer Fachgruppe. Das ist gerade im hausärztlichen Bereich wichtig, in dem auch viele nicht allgemeinmedizinisch weitergebildete Fachärzte arbeiten. Aber Vorsicht: Fortbildung für Hausärzte ist nicht gleich hausärztliche Fortbildung.

Die hausärztliche Weiter- und Fortbildung war und ist entscheidend, um die allgemeinmedizinische/hausärztliche Identität zu entwickeln und zu erhalten. Als Robert N. Braun (Porträt s. Der Hausarzt 6 und 8/2016) nach der universitären Ausbildung seine ­Arbeit in einer Praxis begann, stellte er fest, dass die Krankheiten, zu denen er auf der Universität ausgebildet war, in der Praxis nicht vorkamen und umgekehrt die in der Praxis vorkommenden Patientenprobleme nicht mit den Kenntnissen aus der Uni anzugehen waren. Der genauere Vergleich führte dann zu ­seiner wissenschaftlichen Analyse und schließlich zum Fälle-Verteilungsgesetz, der ersten wissenschaftlichen Untersuchung der hausärztlichen Praxis.

Die logische Konsequenz war, dass eigenständige hausärztliche Forschung, Kongresse und Fortbildungen erforderlich sind, um überhaupt eine Fachgruppe zu entwickeln. Doch zu dieser Historie später, zunächst gilt es zu klären, was hausärztliche Fortbildung eigentlich ausmacht. In erster Linie kommt es auf den Inhalt an, in zweiter Linie auf die Form.

Den Unterschied erkennen

Fortbildung „für Hausärzte“ ist die kurzgefasste Darlegung des Wissens über eine oder ausgewählte Krankheiten oder Schwerpunkte einer Fachrichtung durch Vertreter dieser Fachrichtung. Sie formulieren dabei aus ihrer Sicht krankheitsbezogen die Anforderungen an die Hausärzte zur Prävention, Früher-kennung, Diagnose sowie zur Therapie. An den Hochschulen hieß das Propädeutik oder Poliklinik. Oder Interessengruppen bieten Fortbildung für Hausärzte, um ihre Produkte am Markt zu platzieren. Sie ist weit verbreitet auch in Veranstaltungen, die von Hausärzten organisiert oder angeboten werden, bis hin zu den Landeshausärzteverbänden und den universitären Einrichtungen.

Dagegen folgt Hausärztliche Fortbildung dem Grundsatz, dass wir nicht Krankheiten behandeln, sondern Kranke betreuen und behandeln. Das betrifft Themenwahl, Referenten und inhaltliche Gestaltung.

Hausärztliche Fortbildung

  • geht vom Patientenproblem aus, vom ­Leiden des Patienten, von einem häufigen Symptom oder Symptomenkomplex (Syndrom), optimal von einem erlebten Fall unter Einbezug des Bedingungsgefüges im sozialen Umfeld.

  • schildert die mögliche Problematik abwendbar gefährlicher Verläufe, die Analyse des Patientenproblems mittels der basalen Methoden des Hausarztes wie Anamnese, körperliche Untersuchung, ggf. ­einfache Laboruntersuchungen und weitere gezielte Diagnostik durch Dritte bis zu ­einem vorläufigen Beratungsergebnis. ­Dabei ­werden die Prinzipien der ­hausärztlichen Arbeitsmethodik sowie spezifische ­Methoden der Allgemeinmedizin wie die „Programmierte Diagnostik“ angewendet.

  • leitet die Gesprächsführung, die Exploration des Patienten zu seinem Krankheitsverständnis, seiner aktuellen Problemlage im Zusammenhang mit dem vorgetragenen Problem an. Die erlebte und dokumentierte Vorgeschichte wird einbezogen.

  • entwirft Optionen für eine Therapievereinbarung mit einer vorläufigen symptomatischen Therapie, um die Lebensqualität und die Alltagskompetenz bis zum Kontrolltermin zu verbessern, also praxisrelevante konkrete Lösungen „für den nächsten Praxistag“.

  • weist auf erwartete und mögliche unerwartete Verläufe hin und behandelt mögliche Varianten des weiteren Vorgehens bis hin zur Problemlösung, ggf. in ­Kooperation mit spezialisierten Ärzten oder anderen Partnern.

  • beschäftigt sich mit spezifisch hausärztlichen Tätigkeiten wie Hausbesuchen und bezieht Techniken möglichst durch praktisches Üben in die Fortbildung ein.

Zusammengefasst heißt das: Die hausärztliche Arbeitsmethodik, unser notwendiges praktisches Vorgehen beim Umgang mit dem Patienten und seinem Problem, muss Inhalt der hausärztlichen Fortbildung sein. Genau das aber können uns Fortbildungen „für Hausärzte“ im Allgemeinen nicht bieten. Inwieweit sie dem Hausarzt nützen kann, hängt davon ab, wie gut sich der Referent mit hausärztlichen Aufgaben, Arbeitsmethodik und Arbeitsbedingungen auskennt. Es ist wie eine Exkursion in fremdes Terrain: interessant, aber zum Schluss ohne praktischen Nutzen. Zitieren wir Braun: „Der Hochschulabsolvent erweist sich komplizierten klinischen Überlegungen und Initiativen durchaus gewachsen. Wie aber ein Praktiker jahrein jahraus alltäglich Dutzende von Patienten vertretbar zu beraten vermag, begreift er nicht.“ [1] Das war vor 60 Jahren. Heute völlig anders? Mitnichten.

Spannende Vorträge über die neuesten Erfolge mit innovativen Medikamenten und Verfahren, seltene neu entdeckte Krankheiten, ausgefallene spektakuläre Fälle helfen unserer Kompetenz kaum weiter. Auf die Mischung kommt es an. Zweifellos gibt es weitere notwendige Themen, die außer den oben genannten zu bearbeiten sind, etwa Rechtsfragen, ausgewählte Krankheitsgruppen, präventive Maßnahmen und chronisch Kranke. Aber das hausärztliche Handeln muss sich überall wiederfinden.

Bedürfnis oder Bedarf?

Ein verschiedentlich beschriebenes, wissen­schaftlich untersuchtes und auch selbst ­beobachtetes Phänomen ist die Diskrepanz zwischen Fortbildungsbedürfnis und Fortbildungsbedarf.

Das Fortbildungsbedürfnis zeigt sich im ­Zulauf zu Veranstaltungen, in Befragungen zu gewünschten Themen, in geforderten Themen. Dazu gehört auch der Run auf „Fortbildung für Hausärzte“ und fachferne Themen. Oder in der Ablehnung gesellschaftlich relevanter Themen wie Gewalt in der Familie. Mit dem tatsächlichen Bedarf stimmt das nicht überein. Dieser ist schwer zu ermitteln.

Prüfungen lehnen wir ab. Auswertungen von Qualitätsparametern sind gescheitert. Krankenkassen sehen vorrangig ihre ­finanziellen Belange, die Rechtsorgane die Spitze des Eisbergs folgenschwerer Fehler. Die Disease-Management-Programme (DMP) waren eine Reaktion auf angenommene Versorgungsdefizite, verbunden mit einer spezifischen Fortbildungspflicht. Auch Reha, Hautkrebs-Screening und andere wurden mit Fortbildungspflichten verknüpft, aber waren das die Kernbereiche des Bedarfs?

Der Gesetzgeber hat die Defizite als Fortbildungsaufgaben ins Gesetz zur Hausarztzentrierten Versorgung geschrieben. Die ­stärkste Kritik erfahre ich in Selbsthilfegruppen. Wenn wir dort frei von Abwehr unvoreingenommen zuhören, erfahren wir viel auch über die Arbeit unserer Fachgruppe, abgesehen vom eignen „Gebrauch“ des Gesundheitswesens und unserer Kollegen. Aber nur hier schließt sich der Kreis von unserer Betreuungsfunktion – bei der Ergebnisbeurteilung der Betroffenen.

Ein geeignetes Instrument zur ­Selbstanalyse und -beurteilung fehlt uns. Vielleicht wäre das eine sehr hoch zu schätzende Aufgabe für unsere wissenschaftliche Fachgesellschaft, periodisch Fragelisten zur individuellen Selbstkontrolle zu entwickeln und entsprechende Themen und Unterlagen für die Qualitätszirkel folgen zu lassen. Geeignet wären Qualitätszirkel nach dem holländischen Modell des „Peer review“. Wir wissen um Defizite von Kollegen – ein Tabu. Die Einbindung von in der Selbsthilfe organisierten und ausgebildeten Betroffenen (Patienten und Angehörigen) ist eine weitere Option.

Formen hausärztlicher Fortbildung

Auch die Formen der Fortbildung müssen dem hausärztlichen Bedarf entsprechen. In erster Linie ist praktisches Handeln, Üben und Gesprächsführung notwendig. Die Wissensvermittlung im Dialog, in Kursen und Seminaren mit möglichst kleinen Gruppen. Bei großen Gruppen, die allein aus Kapazitäts- und Wirtschaftlichkeitsgründen noch nicht verzichtbar sind, sind interaktive Elemente und reichlich Diskussion vonnöten. Vorarbeit in diesem Sinne hat langjährig die practica in Bad Orb geleistet. Dieses Konzept und die ­Seminarwochen bringen auch außerhalb der Lehrveranstaltungen viel Interaktion, die den Teilnehmern den Rücken stärkt.

Aber wir brauchen mehr Fallbesprechungs- und Balint -Gruppen, um uns in unserer Identität als Hausärzte zu festigen, uns zu entlasten von Fehlschlägen und vielleicht auch Anfeindungen. Qualitätszirkel müssen auf die ursprüngliche Form des Peer review, einer kontinuierlichen moderierten Gruppe mit selbstgewählten Themen unter Einbeziehung von Praxisergebnissen, zurückgeführt werden, wie es die KV-Richtlinie von 1994 darlegt. Qualitätszirkel, Braun’sche Fallbesprechungsgruppen und Balint-Gruppen sind Wohlfühloasen für den Hausarzt mit hohem Kompetenzgewinn – wenn sie richtig geführt sind.

Die Printfortbildung ist ein Medium, mit dem wir einen großen Teil unserer Fachgruppe erreichen können. Die elektronische Fortbildung nehmen noch wenige an. Für den Inhalt gilt das Gleiche wie oben für die hausärztliche Fortbildung ausgeführt: patienten­bezogen, am besten fallbezogen, die Entwicklung der Problemlösung entsprechend der hausärztlichen Arbeitsmethodik darstellen, kompakt, immer am Maßstab der Praxis­relevanz gemessen.

Hausärztliche ­Autoren und Referenten können zweifelsfrei am besten die hausärztliche Praxis widerspiegeln, leider finden sich zu wenige dazu bereit. Aber wer für Hausärzte schreibt, muss sich zumindest mit der hausärztlichen Arbeitsmethodik befassen, sie als Grundlage allen hausärztlichen Tuns akzeptieren und nicht spezialistisches Denken und Handeln fordern. Beschränkung auf das hausärztlich Machbare und Notwendige, Kooperationsangebote für die Problemanalyse und Dauer­betreuung und ggf. Vertiefung auf Krankheitswissen, wenn es für das Verständnis vorgeschlagener Maßnahmen und für die ­Patientenberatung sinnvoll erscheint.

Einheitlichkeit sichern

Der Deutsche Hausärzteverband ­gründete 2001 sein „Institut für hausärztliche Fortbildung“ (IHF), formulierte die Grundsätze in seiner Charta (kurz: hausarztgerecht, evidenzbasiert, produktneutral) und entwickelte rasch eine hausärztliche Fortbildung im engeren Sinne, von Hausärzten getragen und durchgeführt mit einer Vielfalt der Methoden, frei von Sponsoreninteressen. Die DEGAM und die Abteilungen für Allgemeinmedizin der Hochschulen zogen bald nach. Analog das Angebot für die Praxismitarbeiter bis zur Qualifikation der VERAH®. Das IHF trägt zur politischen Attraktivität des Verbandes bei, die immer vielfältigeren Veranstaltungen verbessern auch die Kommunikation der Hausärzte untereinander. ­Eine Herausforderung ist der große Anteil von nicht allgemeinmedizinisch weitergebildeten Hausärzten. Die hausärztliche Fortbildung muss wesentlich dazu beitragen, die Einheitlichkeit der Fachgruppe ­„Hausärzte“ zu sichern, etwa in den Bereichen Psychosomatik, Bewegungsapparat und Störungen des Nervensystems.

Die Allgemeinmedizin ist als einzige bei der Weiterbildung auf andere ­Fachrichtungen angewiesen. Das ist in untergesetzlichen Reglungen fixiert, so müssen Ärzte in Weiterbildung zwei ­Jahre in der Inneren Medizin leisten, obwohl nur etwa die Hälfte der Beratungsanlässe den Erkrankungen innerer Organe zugerechnet werden kann. Daraus resultiert, dass stets ein engagierter Weiterbildungsleiter die Weiterbildung zur Sicherung der hausärztlichen Kompetenz begleiten muss, so wie es jetzt zunehmend in den Weiterbildungsverbünden erfolgt. Die Weiterbilder haben eine große Verantwortung, die jungen Kollegen in die Fachgruppe zu integrieren. Auch die Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) wirkt hier kräftig mit.

Die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin hat nach 25 Jahren wieder das hohe Niveau der finanziellen Förderung, der fachlichen Begleitung und der gesicherten Zukunftsperspektiven erreicht. Und die Fortbildung? Sie muss ebenso konsequent im hausärztlichen Sinne gestaltet werden!

practica erleben

Sie wollen die practica-Philosophie kennenlernen? Dann kommen Sie nach Oberhof (22.-24. Juni) oder Bad Orb (25.-28. Oktober). Erleben Sie Fortbildung zum Mitmachen von Hausärzten für Hausärzte. Evidenzbasiert, nah an der Praxis und produktneutral – das bewährte IHF-Leitbild. Mehr: www.practica.de

Literatur: 1. Braun, Robert N. Die gezielte Diagnostik in der Praxis. Einleitung. Friedirch-Karl Schattauer Verlag, Stuttgart 1957, S. 14

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