Welche Rolle spielen Hausärzte in Frankreich?
“Wolfgang Lindemann: Sie sind die erste Anlaufstelle für die meisten Probleme, auch Kinder- und Frauenheilkunde, und bekommen von der Kasse eine Lotsenfunktion zugewiesen: Die Patienten gehen zuerst zum Hausarzt, weil sie beim Facharzt einige Wochen warten müssten und die Kasse ohne Zuweisung des Hausarztes 30 Prozent der Kosten nicht übernimmt.
In der Weiterbildung müssen Ärzte ein landesweites Verfahren absolvieren, um aus den 8.600 Stellen die gewünschte Fachrichtung auszuwählen. 40 Prozent der Stellen sind in der Allgemeinmedizin. Es gibt also genügend Nachwuchs für die 88.000 französischen Allgemeinmediziner. Problematisch ist, sie dort hinzubringen, wo sie am meisten gebraucht werden – auf`s Land.”
Was macht Ihnen besonders Freude?
“Dass ich wirklich Allgemeinmediziner bin, alles behandele und nicht zum Formularausfüller degeneriere. Ich habe viel Zeit für die Patienten – im Schnitt 16 Minuten, meist acht bis 30 Minuten – und im Vergleich zu Deutschland praktisch keine Bürokratie oder Arbeits- und Praxisnormen. Budgetierungen wären hier unmöglich durchsetzbar und von Regressen habe ich noch nie gehört. Den Beruf MFA gibt es hier nicht: Ich bin daher näher an den Patienten und kann, wenn ich will, in einem Dorf mit den Patienten auch privat(er) bekannt oder befreundet sein, wie es in Deutschland bis in die 1960er Jahre üblich war.”
Welche Sorgen haben Sie?
“Im Urteil der französischen Kollegen ist es noch zu viel Bürokratie. Die Hauptsorge ist sicher, gerade auf dem Land, die Überlastung, die Fahrtzeiten für Hausbesuche, die schlechte Verfügbarkeit von Fachärzten und die langen Arbeitszeiten: Hausärzte können zwar ihre Sprechzeiten frei gestalten, müssen aber wochentags von 8 bis 20 Uhr und samstags von 8 bis 12 Uhr erreichbar sein und können Patienten mit akuten Erkrankungen nicht ablehnen, jedenfalls nicht im ländlichen Raum.”