Bad Orb. Würden Patienten immer zuerst ihren Hausarzt aufsuchen, würde sich ihre Versorgung deutlich verbessern und viele Probleme im deutschen Gesundheitswesen wären behoben. Dieses gemeinsame Ziel bekräftigten Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, und DEGAM-Präsident Prof. Martin Scherer am Donnerstag (24.10.) in Bad Orb.
Über den Weg zu einer solchen flächendeckenden Primärversorgung durch Hausärzte entwickelte sich beim Berufspolitischen Oktoberfest auf der practica mit den zuhörenden Hausärzten eine lebhafte Diskussion.
“Nur HZV macht klar, dass Hausärzte die Primärärzte sind”
Zum Hintergrund: International ist an ein „Primärarztsystem“ immer der Hausarzt als erster Ansprechpartner gekoppelt, der die Versorgung koordiniert. Dies entwickle sich in Deutschland derzeit leider anders, mahnte Weigeldt: „Folgt man den Ideen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) über Wahltarife für GKV-Versicherte, zählen auch Hals-Nasen-Ohren-Ärzte oder Gynäkologen als Primärärzte.“
Er warnte daher davor, von Hausarztseite ein verpflichtendes Primärarztsystem zu fordern. „Ich sehe nicht, dass Gesundheitspolitiker Primärärzte sicher mit Hausärzten verbinden. Nur die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) macht klar, dass allein Hausärzte die ärztliche Primärversorgung leisten“, betonte er.
„Brauchen jetzt langen Atem“
Ein Grund für die KBV-Vorschläge sei die EBM-Reform im April 2020, ergänzte Armin Beck, Vorsitzender des Hessischen Hausärzteverbands. Die Reform insgesamt müsse „punkteneutral“ ablaufen, das bedeute für Hausärzte nur kleine Umverteilungen, Spezialisten fürchteten hingegen teils deutliche Verluste. Unter dem Deckmantel der Primärversorgung wollten Spezialisten daher eigene freie Versorgungsverträge forcieren, sagte Beck.
„Wenn wir jetzt ein verpflichtendes Primärarztsystem fordern, wird die Politik der KBV die Umsetzung übertragen, damit geht dessen Ausrichtung an den Hausärzten vorbei, weil die Mehrheiten im KV-System anders verteilt sind“, unterstrich Weigeldt und appellierte an alle Anwesenden, „wir brauchen jetzt einen langen Atem“.
Über- und Unterversorgung bei denselben Patienten
Ebenso betonte DEGAM-Präsident Scherer die Wichtigkeit einer hausärztlichen Primärversorgung. Derzeit komme es bei einigen Patienten gleichzeitig zu Über- und Unterversorgung: „Vom Falschen zu viel und vom Richtigen zu wenig.“ Grund dafür sei die „völlige Entkopplung“ des objektiven Bedarfs der Patienten und der diagnose- und apparatezentrierten Medizin der Spezialisten. „Auf diese Überversorgung können wir zwar derzeit aufmerksam machen, verhindern können wir Hausärzte sie oft aber nicht“, so Scherer.
Stellvertretend für viele junge Hausärzte beleuchtete das Dr. Leonor Heinz, Mitglied im Bundesvorstand des Hausärzteverbands: Aktuell erlaube ihr das System nicht, die Basisversorgung zu leisten, für die sie als Hausärztin aus- und weitergebildet sei. „Ich nehme mir Zeit für den Patienten, erkläre, warum er bei Rückenschmerzen kein MRT braucht. Am nächsten Tag geht er einfach zum Orthopäden“, sagte sie. „Ärztehopping verursacht Chaos und verschwendet die Ressourcen des Solidarsystems.“
„Arbeitsbedingungen müssen stimmen“
Die Lösung dafür sei eine Primärversorgung wie die HZV, sagte Scherer. Denn „wenn evidenzbasierte, qualitativ gute Versorgung für Patienten funktionieren soll, müssen für Hausärzte die Arbeitsbedingungen stimmen. Die HZV bringt uns mehr Macht, um tatsächlich steuernd ins System einzugreifen, und sie bildet die Arbeitsbedingungen ab, die wir uns für alle Hausärzte wünschen“, erläuterte er. Um dies zu erreichen, wünsche er sich zwischen DEGAM und Hausärzteverband eine „neue Ära der Zusammenarbeit“. Auch bislang sei dies bereits gut gelungen, ergänzte Weigeldt.
Junge Ärzte früh ansprechen
Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, müssten Patienten noch besser darüber informiert werden, dass die HZV ihre Versorgung verbessere. Zudem werde sich der Verband bei Politikern dafür einsetzen, die HZV noch attraktiver zu machen, wie es etwa mit dem Teilnahme-Bonus gelungen sei. Parallel müsse die Nachwuchsgewinnung weiter unterstützt werden, damit es für eine freiwillige hausärztliche Primärversorgung auch in Zukunft genügend Hausärzte gibt. Hierzu brauche es neben den Allgemeinmedizinern ebenso die hausärztlichen Internisten, ergänzte Anke Richter-Scheer, dritte stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbands.
Auch die Nachwuchssicherung entwickle sich positiv: Die Zusammenarbeit mit den Kompetenzzentren und Universitäten laufe gut an. Die große Resonanz auf die Studienplätze, die via Landarztquote vergeben werden, überrasche. „Diese jungen Kollegen müssen wir früh begleiten“, so Richter-Scheer.