Interview mit Dr. Doris Reinhardt“Zeit für Patienten, nicht für Bürokratie”

Dr. Doris Reinhardt ist Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Baden-Württemberg und kandidiert für den Vorstand in der KV Baden-Württemberg. Im Interview mit "Der Hausarzt" verrät sie, wofür sie sich nach der KV-Wahl im Juli 2022 stark machen will.

Dr. Doris Reinhardt ist Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Baden-Württemberg.

Ab dem 18. Juli können niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre Stimme für Kandidaten in der Vertreterversammlung der KV Baden- Württemberg abgeben. Warum sollten Hausärzte von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen?

Dr. Doris Reinhardt: Nur wenn die Wahlbeteiligung hoch ist und möglichst viele Hausärztinnen und Hausärzte wählen gehen, wird es auch genügend Vertreter in der KV-Vertreterversammlung mit hausärztlichen Standpunkten geben.

Denn bestimmte Themen haben nur Hausärzte auf dem Schirm. Erhalten Hausärzte viele Stimmen, können dann auch Beschlüsse getroffen werden, die die hausärztlichen Belange berücksichtigen.

Was sind das für Inhalte – könnten Sie ein Beispiel nennen?

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Vielerorts schließen Hausarztpraxen ohne Nachfolge. Der heutige Mangel oder Bedarf an Hausärztinnen und Hausärzten ist ja seit Jahren absehbar.

Die politische Forderung ist daher klar: Wohnortnahe hausärztliche Versorgung muss politisch gewollt und gezielt gefördert werden. Junge Hausärztinnen und Hausärzte brauchen eine verlässliche Perspektive.

Nun gilt es mit weniger Köpfen die Versorgung sicherzustellen. Das Schlagwort “ambulant vor stationär” wirkt ja auch in die hausärztliche Versorgung. Unsere Patienten – sehr oft multimorbide und hochaltrig – erhalten heute umfassende Diagnostik und Therapie ambulant oder kurzstationär.

Die Vielfalt und Versorgungstiefe in unseren Hausarztpraxen nimmt stetig zu. Ganz praktisch aus der heutigen Sprechstunde: Eine ältere Patientin soll an der Wirbelsäule operiert werden und bekommt unerwartet eine weitere Diagnose, die die komplette Planung umwirft.

Und bei Antikoagulation, Insulintherapie, postoperativer Betreuung auch evtl. weiterer zu versorgender Angehöriger, gilt es die Versorgung zu koordinieren, aber auch die spezialisierten Fachärzte “an einen Tisch zu bringen”.

Gibt es denn nicht andere, die da unterstützen?

Ein zentrales Problem ist die zeitraubende Kommunikation mit anderen Gesundheitsberufen. Telefon und Fax als Nadelöhr im Gesundheitswesen, das ist doch unfassbar.

Viele Patienten wohnen nicht mehr im familiären Kontext, in dem sich automatisch Angehörige kümmern und begleiten. Deshalb müssen Hausarztpraxen heute viel mehr die Steuerungs- und Koordinierungsfunktion übernehmen.

Wie würde das geschilderte Beispiel denn in der Vertreterversammlung thematisiert?

Zunächst einmal ist es wichtig, den anderen Fachkollegen zu schildern, wie die hausärztliche Arbeit funktioniert. Das genannte Beispiel zeigt, wie bedeutend es ist, dass die Fachkollegen die Hausärzte informieren und mit Befunden versorgen.

Hier ist ein vernünftiges Entlassmanagement für uns Hausärzte ein zentrales Thema. Oft sind die Patienten multimorbid und nur die Hausärzte wissen um die gesamte Krankheitsgeschichte Bescheid.

Gerade die umfassende Versorgung durch die hausärztlichen Praxisteams wird, neben der Digitalisierung – aber bitte mit Mehrwert für Praxis und Patienten! –, in Zukunft in einer älter werdenden Gesellschaft eine immer größere Rolle spielen.

Warum sollten Praxisteams in Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Weil die Hausärztinnen und Hausärzte die Erkrankungen ihrer Patienten gut kennen und wissen, welche Mitarbeiter mit welchen besonderen Qualifikationen bei diesem oder jenem Patienten zum Einsatz kommen sollten.

Ein Beispiel aus dem Praxisalltag: Der Patient kommt ohne Termin nach mehrwöchigem Klinikaufenthalt in die Praxis. Taggleich müssen Verordnungen erfolgen, Medikationspläne erstellt werden, evtl. ambulante Krankenpflege organisiert werden.

Gleichzeitig besteht eine großflächige Wunde. Die koordinierte Versorgung in unserem qualifizierten Team mit der VERAH ermöglicht, dass Hand in Hand auf einer digitalen Plattform, der Praxis-EDV, die nächsten Schritte vereinbart werden, alle immer informiert sind und die VERAH die weitere Wundbehandlung übernimmt.

Für was werden Sie sich in der KV einsetzen, wenn Sie gewählt werden?

Die Selektivverträge in Baden-Württemberg sind in vielen Punkten eine echte Steilvorlage und liefern seit über zehn Jahren gute Patientenversorgung durch Kooperation und sinnvolle Versorgungssteuerung, von der Haus-und Fachärzte und vor allem die Patienten profitieren. Hier ist eine sinnvolle und funktionstüchtige Digitalisierung unerlässlich.

Die ärztliche Versorgung ist vielfältig und muss in der Einzelpraxis wie auch in kooperativen Verbünden zukunftsfähig werden und bleiben. Dafür setze ich mich ein.

Darüber hinaus brauchen Themen wie Anstellung, Weiterbildung und Entwicklung von Delegation und lokalen Versorgungskonzepten personelle und finanzielle Ressourcen sowie langfristige Planungskonzepte.

Können Sie konkret zwei Projekte nennen, die Sie angehen wollen, wenn Sie in den Vorstand der KV gewählt werden?

Konkrete Projekte, die sehr gut gestartet sind und nun weiterentwickelt werden, sind die Services der 116 117 und das Dauerthema wohnortnahe gute Versorgung. Und diese Themen sind ganz unmittelbar verbunden.

Die medizinische Versorgung auf der richtigen Versorgungsebene sichert, dass die Ressource Gesundheitswesen und ärztliche und medizinische Versorgung erhalten und finanzierbar bleiben.

Gerade in der Pandemie haben die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit ihren Teams gezeigt, wie leistungsfähig und krisenfest die ambulante Versorgung ist. Aufgabe der KV ist es, die Rahmenbedingungen zu fördern und zu fordern, dass Versorgung stattfinden kann. Regressdruck und bürokratische Überregulierung gehören ganz sicher nicht dazu.

Es gibt neben der “Hausarztliste” auch eine Liste “junge Hausärzte”. Warum?

Wir möchten mit der “jungen Hausarztliste” aktiv für das Mitmachen in der ärztlichen Selbstverwaltung aufrufen, um die eigene berufliche Zukunft auch politisch selbst mitzugestalten.

Die jungen Hausärztinnen und Hausärzte können so Versorgungskonzepte für die Zukunft mitentwickeln. Es geht darum, heute die Weichen zu stellen und die ärztliche Selbstverwaltung zukunftsfähig weiterzuentwickeln.

Es gibt ja nicht nur die Listen des Deutschen Hausärzteverbandes,sondern auch andere hausärztliche Gruppen. Warum sollten Hausärztinnen und Hausärzte ihre Stimmen an die Kandidaten des Hausärzteverbandes vergeben?

Mit einem starken Berufsverband geben wir Hausärztinnen und Hausärzten in aller ärztlichen Vielfalt eine politische Identität und eine starke Stimme im Ländle und auf Bundesebene.

Die Stimme für die Hausarztliste und die junge Hausarztliste ist immer auch eine Stimme für unseren starken und politisch verlässlichen Berufsverband.

red

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