Berlin. Die Diskussion um Manipulationsversuche zu Diagnosekodierungen einiger Krankenkassen sind für Hausärzte noch nicht vom Tisch. Nicht zuletzt das Faire-Kassenwahl-Gesetz, seit sechs Monaten vorliegend im Status des Referentenentwurfs, ist daher aufmerksam im parlamentarischen Verfahren zu beobachten. Darauf machte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, in seinem Bericht zur Lage zur Eröffnung des 40. Deutschen Hausärztetags in Berlin aufmerksam.
Am Vorabend hatte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Steffen, auf dem AOK-Herbstfest ein abgespecktes Faire-Kassenwahl-Gesetz angekündigt. Er stellte in Aussicht, dass sich „vermutlich der Name ändern wird“ sowie Änderungen möglich seien: Man werde sehen, ob die vorgesehene Öffnung der AOKen weiter im Gesetz vorhanden sei – oder auch nicht.
Im Zentrum stehe aber weiter die Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA).
“Kein Beweis für Upcoding durch Hausärzte”
Ausgangspunkt ist der Streit der Krankenkassen untereinander um Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich. Bereits bei seiner Frühjahrstagung hatte sich der Deutsche Hausärzteverband deutlich gegen Manipulationsvorwürfe gewehrt, die in diesem Zusammenhang laut geworden waren. „Bislang gibt es für das sogenannte Upcoding bzw. Manipulationen bei der Vergabe von Diagnosen nur Gerüchte, und es ist trotz mehrfacher Anforderung noch kein Beweis dafür vorgelegt worden, dass Hausärzte ihre Patienten mit unzutreffenden Diagnosen belegt hätten“, betonte Weigeldt nun erneut.
Mit dem Verbot der sogenannten Betreuungsstrukturverträge im Heil- und Hilfsmittelgesetz (HHVG) sei dem Prinzip „Geld gegen Diagnosen“ ein deutliches Ende gesetzt worden – was der Deutsche Hausärzteverband deutlich begrüßt. „Diagnosen sind unser Handwerkszeug um Therapien zu begleiten oder Abrechnungen auf Plausibilität zu prüfen, aber sie sind kein Instrument zur Geldverteilung“, brachte es Weigeldt vor den Delegierten auf den Punkt. „Ohne Diagnosen können wir nicht arbeiten.“
Umso mehr beschäftigen die Diagnosen den Verband auch weiter. „Uns gelingt es nur mühsam, mit viel Diplomatie und konstruktiven Kompromissvorschlägen zu den besonders im Fokus des Bundesversicherungsamts (BVA) stehenden Chronikerpauschalen, die HZV-Verträge anzupassen, ohne ihre Substanz zu beschädigen.“
Kein Gesetz verlässt den Bundestag unverändert
Ein Änderungsantrag für das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG), der eine „unnötige Verschärfung“ der Regelung im HHVG und eine „weit über das Ziel hinausschießende Entkoppelung von Diagnosen und Vergütung“ zum Kern hatte, habe – auch auf das deutliche Hinwirken des Hausärzteverbands – abgewehrt werden können. Leider ist dieser Passus im Faire-Kassenwahl-Gesetz wiederaufgetaucht, wogegen es vorzugehen gelte. Weigeldt erinnerte, wie am Vorabend bereits Staatssekretär Steffen, an das Strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlasse den Bundestag so, wie es hineinkommt.
Darüber hinaus erneuerte Weigeldt seine Kritik an einem weiteren Passus, der vorsieht, hausärztliche Diagnosen im Verhältnis zu gebietsärztlichen bei den Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich der Kassen geringer zu bewerten. „Das empfinden wir als eine Herabwürdigung unserer Arbeit“, machte Weigeldt deutlich und erntete dafür lauten Applaus der 120 Delegierten. Als er mit NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann über den Passus gesprochen habe, sei dieser „an die Decke gegangen“.
Hohe Schlagzahl an Gesetzen hält Ärzte auf Trab
Auch über das FKG hinaus wird für Hausärzte in den kommenden Monaten vor der hohen Schlagzahl der Gesetzgebung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wohl keine Zeit zu verschnaufen sein, stellte Weigeldt in Aussicht. So erneuerte er in seinem Bericht zur Lage beispielsweise seine klare Absage, dass Apotheker – wie im ebenfalls im parlamentarischen Verfahren befindlichen Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz vorgesehen – impfen dürfen. „Das ist eine Überschreitung der Heilberufsgrenzen, die absolut nicht hinnehmbar ist.“
Vorsicht ist aus hausärztlicher Sicht auch in Sachen Gesundheits-Apps gefragt: Wenn diese künftig wie im E-Health-Gesetz II geplant als Kassenleistung verschrieben werden können, sei damit ein neuer Versorgungsweg eröffnet – der mitunter an der Hausarztpraxis vorbeiführt. „Mit Patientensteuerung hat das dann wohl nichts mehr zu tun.“ Zumal er eine „Goldgräberstimmung“ unter den Anbietern elektronischer Anwendungen beobachte.