Praxisnähe ist Pflicht
Anforderungen des Deutschen Hausärzteverbandes zur Digitalisierung im Gesundheitswesen
1. Die Digitalisierung muss die Arbeit der Hausärzte erleichtern!
Die fortschreitende Digitalisierung der Gesundheitsversorgung muss Mehrwerte für alle Beteiligten mit sich bringen. Vor allem aber muss sie die Arbeit der Hausärztinnen und Hausärzte erleichtern, denn die zeitlichen Ressourcen in der hausärztlichen Versorgung sind knapp! Bei der Unterstützung der Hausärztinnen und Hausärzte durch die Digitalisierung besteht dringender Handlungsbedarf, denn weder die aktuellen Anwendungen der TI noch die derzeit geplanten bringen substantielle Mehrwerte für die hausärztliche Versorgung mit sich.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert den Gesetzgeber sowie das BMG als Mehrheitsgesellschafter der Gematik auf, entsprechende rechtliche und operative Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass die TI-Anwendungen einen signifikanten Mehrwert für die Hausärztinnen und Hausärzte darstellen.
2. Die Aufwände der Digitalisierung müssen vollständig finanziert werden!
Die Frage der Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten sowie der personellen Aufwände für die Digitalisierung in den Arztpraxen bedarf einer grundsätzlichen Klärung. In den bisherigen kollektivvertraglichen Vergütungssystematiken (Pauschalen des EBM, TI-Finanzierungsvereinbarung, Weiterentwicklung des Orientierungswertes etc.) sind die Aufwände der Digitalisierung ungenügend abgebildet.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert die Gemeinsame Selbstverwaltung auf, die kollektivvertraglichen Vergütungssystematiken anzupassen, sodass der zeitliche und finanzielle Aufwand, der durch die Anbindung an die TI in den Hausarztpraxen derzeit anfällt, angemessen abgebildet wird.
3. Die digitale Infrastruktur muss funktionieren!
Mit dem stetigen Zuwachs an Anwendungen innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) wird diese zunehmend zu einer kritischen Infrastruktur für die Versorgungsprozesse. Der Ausfall des Versichertenstammdatenmanagements (VSDM) während der jüngsten Störung der TI hat Aufwände und Frustrationen in den Praxen ausgelöst, ist aber für die Versorgung der Bevölkerung völlig unkritisch. Wenn Rezepte, Verordnungen, Überweisungen etc. über diese Infrastruktur übermittelt werden, ist deren flächendeckender Ausfall intolerabel.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert das BMG als Mehrheitsgesellschafter der Gematik auf, Prozesse und Strukturen aufzubauen, die eine vergleichbare Störung für die Zukunft unmöglich machen. Dazu gehört neben einer rigorosen Fehleranalyse der jüngsten Störung auch der Aufbau ggf. erforderlich Backup-Prozesse.
4. Klare Verantwortlichkeiten und klare Kommunikation!
Während der jüngsten Störung wurde, anstatt direkt die Verantwortlichkeiten klar zu definieren, zunächst schwammig auf die Industriepartner verwiesen. Diese sind Dienstleister der Gematik, sodass die Letztverantwortung für die Störung und damit auch die Verantwortung für die Schadenbegrenzung und -behebung bei der Gematik selbst liegt.
Wenn Störungen vorliegen, ist es wichtig, dass die Betroffenen schnell und umfassend informiert werden. Eine klare Kommunikation muss aber gleichzeitig in Richtung der Gesellschafter der Gematik und der Spitzenorganisationen der Betroffenen erfolgen. Die Kommunikation darf sich dabei nicht nur auf Ursachen der Störung beschränken, sondern muss konkrete Aussagen zu den für die Fehlerbehebung erforderlichen Schritten enthalten. Die Aussage “Wenden Sie sich an Ihren IT-Dienstleister” genügt dafür nicht!
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert das BMG als Mehrheitsgesellschafter der Gematik auf, eine entsprechende Fehlerkultur im Unternehmen einzuführen, damit Störungen schnell erkannt und behoben werden. Dabei muss die Gematik auch die Verantwortlichen klar benennen.
5. Der Datenschutz muss handhabbar bleiben!
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen erfordert ein hohes Datenschutzniveau. Sozialdaten zur Gesundheit der Bevölkerung sind hoch sensibel und durch alle Beteiligten zu schützen.
Die hohen Anforderungen des Datenschutzes müssen jedoch auch in den Arztpraxen umsetzbar sein. Arztpraxen sind oft Kleinstbetriebe, sodass neben einer Vielzahl anderer administrativer Tätigkeiten auch die Verantwortung für die IT bei den selbstständigen Ärzten verbleibt. Dies ist keine ärztliche Aufgabe! Der substanzielle Zuwachs an Anforderungen und Verantwortungen im IT-Bereich verjagt viele ältere Kollegen aus der Versorgung und schreckt gleichzeitig die jüngeren davor ab. Vor allem mit der geplanten Umsetzung der IT-Sicherheitsrichtlinie nach § 75b SGB V wird eine neue Ebene der Komplexität erreicht werden.
Wenn eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung durch selbstständige Hausärztinnen und Hausärzte gewünscht ist, bedarf es eines Datenschutzes mit Augenmaß. Die systematische Zuweisung von Verantwortungen durch den Gesetzgeber an das BSI, das qua Amt den Goldstandard des Datenschutzes vertritt, ist dabei wenig zielführend.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert die KBV auf, bei der Erarbeitung der IT-Sicherheitsrichtlinie nach § 75b SGB V ein angemessenes und vor allem praktikables Schutzniveau zu beschreiben. Dies umfasst auch begleitende Informationen und Services, die die Hausärztinnen und Hausärzte bei der Umsetzung dieser Richtlinie unterstützen.
6. Hausärztinnen und Hausärzte sind keine IT-Servicedienstleister!
Wiederholt ist es in den vergangenen Monaten zu Versuchen gekommen, den Hausärztinnen und Hausärzten IT-Serviceleistungen zu übertragen. Zuletzt war dies bei der Anhörung zum Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) geschehen, als Vertreter der Krankenkassen die Aufklärung der Patientinnen und Patienten hinsichtlich der in ihrer Verantwortung liegenden elektronischen Patientenakte nicht übernehmen wollten. Die Hausärztinnen und Hausärzte sind für die medizinische Versorgung ihrer Patienten verantwortlich, nicht allerdings, um den Geschäftsstellen der Krankenkassen den Kundenservice abzunehmen.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert die Vertreterinnen und Vertreter der Gesetzlichen Krankenversicherung auf, die Verantwortung für etwaige Dienstleistungen, die mit ihren digitalen Angeboten einhergehen, selbst zu übernehmen und nicht mehr auf die Ärzteschaft zu übertragen.
7. Sofortige Streichung der Sanktionen
Am jüngsten Beispiel der Störung bei der Übertragung der Versichertenstammdaten wird sehr deutlich, wie haltlos Sanktionen sind, die nicht die Verantwortlichen selbst treffen (die Gematik und die Industriepartner), sondern die Nutzer der TI, die Ärztinnen und Ärzte. Ähnliche Erfahrungen gab es bereits im Rahmen der Lieferverzögerung der Konnektoren.
Der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes fordert den Gesetzgeber auf, die Sanktionen, die an die Anbindung an die Telematikinfrastruktur sowie das Angebot bestimmter Funktionalitäten gebunden sind, mit sofortiger Wirkung zu streichen.