Berlin. Hausärztinnen und Hausärzte sehen sich im Zuge der angelaufenen Corona-Impfungen mit einem steigenden Beratungsbedarf in ihren Praxen konfrontiert. „Aufklärung und Beratung sind wichtige Faktoren für die Akzeptanz der Impfung“, unterstrich Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, am Donnerstag (14.1.) online vor Journalisten. Zwar seien viele Informationen, etwa beim Robert Koch-Institut (RKI), vorhanden; da Versicherte diese jedoch an vielen Stellen “zusammenklauben” müssen, sei der Hausarzt als erster Ansprechpartner umso gefragter.
Wenn sich Versicherte bei der Terminvergabe für die regionalen Impfzentren jetzt etwa auch den Impfstoff aussuchen dürfen – dies ist beispielsweise in Hessen der Fall -, dann sehe er dabei weiter steigenden Beratungsbedarf auf die Praxen zukommen, so Weigeldt. „Oft münden die Beratungen dann auch gar nicht unbedingt in eine Impfung.“
Die zusätzlichen Beratungsleistungen im Zusammenhang mit den Impfungen gegen SARS-CoV-2 müssten daher “unabhängig davon, ob danach eine Impfung erfolgt“, vergütet werden.
Skepsis versus Interesse – bei knappem Impfstoff
Dabei skizziert Weigeldt Beratungsbedarf in verschiedene Richtungen: Einerseits gehe es aktuell noch nicht darum, einen lange erwarteten “Ansturm” zu handlen, sondern vielmehr darum, Skepsis aus dem Weg zu räumen und Menschen von der Impfung zu überzeugen. Anderseits könne sich dies ändern, wenn die Impfung bald in den Praxen stattfinden wird.
Gleichzeitig müssten Impfwillige aufgrund fehlender Impfstoffe zurückgewiesen werden. „Sehr viele Menschen wollen sich aktuell erfreulicherweise impfen lassen, und wir Hausärztinnen und Hausärzte bestärken sie darin, indem wir sie beraten und ihnen verlässliche Informationen rund um die Impfung zur Verfügung stellen”, so Weigeldt. “Aber selbst das größte ärztliche Engagement kann nur dann den erhofften Erfolg zeitigen, wenn genügend Impfstoff vorhanden ist! Es ist nicht die Schuld der Bürgerinnen und Bürger, dass die Regierung viel zu spät und dann auch noch viel zu wenig Impfstoff bestellt hat, der nun nicht für alle reichen kann.”
Einer Impfpflicht erteilte Weigeldt daher eine klare Absage; vielmehr müsse es eine Stärkung der Beratung und Aufklärung in den Praxen geben. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe am Vortag als „unnötig und kontraproduktiv“ bewertet.
Impfungen schon im Februar in den Praxen?
Wann in Praxen geimpft werden kann, hänge in erster Linie von Zulassung und Verfügbarkeit des logistisch deutlich einfacher zu handhabenden AstraZeneca-Impfstoffs ab, so Weigeldt. Dies könnte “vielleicht im Februar, spätestens im März” der Fall sein, sei jedoch so unsicher hervorzusagen wie die Lottozahlen. Fest steht unterdessen: “Wir Hausärzte stehen Gewehr bei Fuß!”
Aus Sicht der KBV sollten die Schutzimpfungen so schnell wie möglich in die Praxen verlagert werden. Die niedergelassenen Ärzte stünden bereit, sobald ausreichend Impfstoff verfügbar sei, betonte der Vorstand am Mittwoch (13.1.) auf einer Pressekonferenz und appellierte zugleich an die Bundesländer, in der jetzigen Phase statt allgemeiner Aufrufe gestufte Einladungsverfahren durchzuführen.
Dies könnte auch im Zuge der vom Deutschen Hausärzteverband wiederholt kritisierten Priorisierungsdebatte helfen. Solche Diskussionen müssten auf jeden Fall aus dem laufenden Praxisbetrieb rausgehalten werden, unterstrich Weigeldt am Donnerstag. Gleichwohl hoffe er darauf, dass die Debatte weniger bedeutend werden könnte, sobald mehr Impfstoffe zur Verfügung stehen. Idealerweise würden damit sogar die vorgesehenen Attests bezüglich Vorerkrankungen für die späteren Phasen des Impfplans der Regierung obsolet, so der Hausärzte-Chef.
Für realistischer halte er eine „intrinsische Priorisierung“ durch die Hausärzte, die ihre Problempatienten in den Heimen und in der häuslichen Pflege kennen und anderen Patienten gegenüber offen kommunizieren könnten, dass sie etwa erst “nächste Woche dran seien, weil heute erst einmal Oma Meier beim Hausbesuch geimpft werden muss, da sie ein höheres Risiko hat”. “Im Arzt-Patienten-Gespräch können wir das gut kommunizieren.”
Im Moment gebe es mit der aufsuchenden Impfung alleinlebender Pflegebedürftiger das Problem, dass einmal verdünnter Impfstoff nicht weitertransportiert werden könne, mithin die Gefahr bestehe, dass viele Impfdosen verworfen werden müssten. Im Kern benötige man aber mehr mobile Impfteams.
Beratungsbedarf resultiert auch aus Fehlern der Politik
Der Beratungsbedarf steige aktuell nicht zuletzt aufgrund politischer Fehlentscheidungen, skizzierte Weigeldt beim Pressegespräch – beispielsweise der zu geringen Zahl bestellter Impfstoffe, der Terminvergabe oder dem zu lang versäumten Schutz besonders vulnerabler Gruppen.
Deutliche Kritik formulierte Weigeldt am Versäumnis, Hochbetagte in Alten- und Pflegeheimen umfassend zu schützen. Sie machten rund 1 Prozent der Bevölkerung (850.000 Menschen) aus, erinnerte er. Schon im Sommer und wiederholt hatte der Deutsche Hausärzteverband auf diese Notwendigkeit hingewiesen. „Doch es ist nichts passiert.“
„Extrem ärgerlich“ sei, dass sich nun immer mehr abzeichne, dass dieser Schutz an vielen Stellen an finanziellen Streitigkeiten gescheitert sei. DRK, ASB und andere hätten bereitgestanden, um etwa Antigen-Schnelltests als Einlasskontrolle in Pflegeheimen durchzuführen. „Doch es ist nicht passiert, weil sie nicht oder nicht ausreichend bezahlt wurden.“ Gerade vor dem Hintergrund der Milliardenhilfen für Unternehmen sei das „ein ärgerliches Versäumnis“. Denn: Die Durchführung von Antigen-Schnelltests sei im Vergleich zu den andernfalls fälligen Intensivbehandlungen „lächerlich billig“.
Konsequenter Schutz von Heimbewohnern
An dieser Stelle sei besonders deutlich geworden, dass „Expertenwissen“ aus Politik und Virologie an vielen Stellen nicht der Realität entspreche. „Hausärzte und auch Pflegefachkräfte, die die Versorgung Tag für Tag stemmen, hätten deutlich mehr einbezogen werden müssen.“ So sei beispielsweise eine Maskenpflicht bei Dementen nicht zu realisieren. „Sprich: Es müssen alle anderen geschützt sein, um diese Menschen nicht zu gefährden.“
Ambulante Pflegedienste jedoch seien bislang “außen vor” gelassen worden beim Testen, was die heute so hohen Todesfallzahlen mitbedinge. Das gleiche Versäumnis dürfe nun nicht bei den Impfärzten, die Heime aufsuchen, geschehen, mahnt Weigeldt.