Berlin. Weil Patienten allein aus Angst vor einer Corona-Infektion Praxen und Kliniken fernbleiben, könnten in der ambulanten Versorgung neben der Identifizierung und Betreuung von Verdachtsfällen neue Schwierigkeiten entstehen. „Es darf nicht sein, dass am Ende mehr Menschen an Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie sterben als am Virus selbst“, appellierte Dr. Stephan Hofmeister, Vize-Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Mittwoch (8. April). Die KBV beobachtet eigenen Angaben zufolge, dass sowohl Akutpatienten – schlimmstenfalls etwa nach einem Herzinfarkt – als auch chronisch Kranke den Gang in Arztpraxis oder Klinik aus Sorge vor einer Infektion mit dem Coronavirus scheuten. Dies berichten auch Hausärzte in verschiedenen Teilen Deutschlands.
„Gehen Sie weiterhin zum Arzt!“, appellierte Hofmeister entsprechend. Wichtig sei, vorher in der Praxis anzurufen und das korrekte Prozedere, beispielsweise den Besuch während einer eigens dafür eingerichteten Infektsprechstunde, telefonisch zu erfragen.
Einer Beispielrechnung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), die KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Mittwoch online vor Journalisten präsentiert hat, werden von 10.000 Covid-19-Fällen 8560 ambulant versorgt. Rund 1700 davon sind Risikogruppen zuzuordnen.
“Andere Krankheiten warten nicht”
„Andere Krankheiten warten nicht, bis die Corona-Pandemie abgeebbt ist”, betonen in einem aktuellen Rundschreiben auch Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, und Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). “Ein verzögerter Zugang zur hausärztlichen Versorgung kann schwerwiegende Auswirkungen haben, zum Beispiel weil abwendbar gefährliche Verläufe nicht erkannt werden.”
So lautet die aktuelle Empfehlung zwar, Patientenkontakte – soweit medizinisch möglich – auf Telefon und Video zu verlegen. Laut KBV hat die Videosprechstunde jüngst etwa ein Plus von 1047 Prozent zu verzeichnen. Wichtig ist jedoch auch, Patienten weiter einzubestellen, wenn nötig. Dies findet sich so auch in bestehenden Ausnahmeregelungen; die jüngst beschlossene Aussetzung der DMP-Dokumentation ist beispielsweise explizit an eine entsprechende Risiko-Nutzen-Abwägung geknüpft.
Antikörpertests noch “weit” von guter Aussagekraft entfernt
Kritisch schätzt die KBV zudem den Einsatz von Antikörpertests zum Nachweis durchgemachter Infektionen ein. Vor allem aufgrund der bislang niedrigen Spezifität und damit einhergehenden hohen Quote an falsch-positiven Tests sowie aufgrund der Tatsache, dass die Immunität wohl erst 14 Tage nach Erkrankungsbeginn nachweisbar ist, seien die bislang erhältlichen Tests als äußerst problematisch zu bewerten.
Nur in zwei Fällen sehe man Antikörpertests daher als medizinisch vertretbar an:
- ab der dritten Woche nach Symptomen einer Covid-19-Erkrankung, wenn keine Testung erfolgt ist
- nach ärztlichem Ermessen, wenn kein PCR-Test indiziert ist, aber Beschwerden auftreten und ein Kontakt mit einem Covid-19-Fall drei Wochen zurückliegt
Grundsätzlich gelte „Ohne Symptomatik keine Antikörpertestung“, so Gassen. “Aus unserer Sicht sind die vorliegenden Antikörpertests noch weit davon entfernt, gute Aussagen zu treffen.”
100 Labore testen
Nicht zuletzt binden Labortests Ressourcen, die in anderen Bereichen aktuell nicht zur Verfügung stehen, erinnerte Gassen. In der 14. Kalenderwoche waren laut KBV 33.242 PCR-Tests durchgeführt worden, ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zur Vorwoche.
100 Labore testeten aktuell, darunter auch große Kliniklabore wie jenes der Charité. Die technischen Kapazitäten könnten aufgrund erster Lieferengpässe, etwa bei Abstrichtupfern, nicht voll ausgeschöpft werden, so Gassen. Trotzdem erachte er die deutsche als eine der höchsten Testkapazitäten der Welt.
Auch ein angekündigtes Angebot sogenannter Corona-Immunitätsausweise durch Unternehmen habe die KBV “mit großem Erstaunen” aufgenommen. Immerhin sei die Frage einer Immunität nicht einmal abschließend geklärt. Der KBV-Vorstand erinnerte in diesem Zusammenhang an Influenza-Viren, die jede Saison Veränderungen unterliegen und daher jährlich eine neue Impfung nötig machen.
Ein “Freitesten“ oder Immunitätsbescheinigungen sei vor dem Hintergrund dieser noch offenen Fragen noch weit entfernt von einer Anwendung in der Praxis.