Berlin. Künftig ist nicht nur geregelt, wer in welcher Reihenfolge geimpft wird, sondern auch, welcher Impfstoff dabei vorrangig eingesetzt werden soll. Das geht aus der überarbeiteten Impfverordnung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hervor, die am Montag (8.2.) in Kraft getreten ist.
Demnach werden innerhalb der bereits geltenden Priorisierungsstufen die drei bislang einsetzbaren Impfstoffe – Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca – gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zugeordnet.
Eine genaue Übersicht über die Personen der drei Risikogruppen findet sich am Ende des Textes.
Konkret bedeutet das: Menschen unter 65 Jahren sollen durch die neuen Regeln vorrangig mit dem Impfstoff von Astrazeneca versorgt werden, der in Deutschland mangels ausreichender Studiendaten für Ältere vorerst nicht verwendet werden soll. Somit bleibt mehr von den anderen Impfstoffen für Menschen über 65. Hausärztinnen und Hausärzte hatten bereits die Sorge geäußert, dass der „schlechte Ruf“ der Astrazeneca-Vakzine zu Schwierigkeiten in der Arzt-Patienten-Kommunikation führen könnte.
Diabetiker rücken auf
Zudem kann von der Reihenfolge künftig in Einzelfällen abgewichen werden, etwa wenn dies “zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist”, wie es in der Verordnung heißt. Sprich: Bevor Impfdosen weggeworfen werden, sollen sie auch an Personen verabreicht werden, die eigentlich noch nicht an der Reihe sind.
Die Priorisierung selbst ist in großen Teilen gleich geblieben. Für Hausarztpraxen relevant ist jedoch, dass eine große Gruppe an Vorerkrankungen, die bislang nur in Gruppe 3 vorgesehen waren, nun in Gruppe 2 zu finden sind. Denn anders als bisher sollen auch Personen mit bestimmten schweren Krankheiten früher berücksichtigt werden. Mit “hoher Priorität” sollen nun auch zahlreiche Menschen geimpft werden, die in Hausarztpraxen als chronisch kranke Patienten betreut werden: etwa mit
- Diabetes mellitus (HbA1c über 58 mmol/mol beziehungsweise über 7,5 Prozent),
- Adipositas (BMI über 40) oder
- COPD;
außerdem Menschen mit Leberzirrhose, chronischen Lebererkrankungen sowie chronischen Nierenerkrankungen (s. Kasten unten). Bisher waren hier nur Menschen mit Demenz, geistiger Behinderung, Trisomie 21 sowie nach Organtransplantationen vorgesehen.
Wichtig: Bei zwei wichtigen Erkrankungen sind Trennlinien eingezogen: Diabetiker mit einem HbA1c unter 58 mmol/mol beziehungsweise unter 7,5 Prozent sowie Menschen mit Adipositas mit einem BMI über 30 fallen in Gruppe 3.
In Gruppe 2 fallen außerdem bis zu zwei enge Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen zuhause oder von Schwangeren. Schwangere selbst sollen wegen mangelnden Studiendaten nur in Ausnahmen geimpft werden.
“Impf-Atteste” früher relevant?
Damit könnten auch die „Impf-Atteste“, die der Deutsche Hausärzteverband als zusätzliche Bürokratie in den Praxen deutlich kritisiert hatte, früher als gedacht relevant werden. Zwar besteht mit den angekündigten Impfstofflieferungen weiterhin die Hoffnung, dass eine ausreichende Menge die Priorisierung weniger dringlich machen könnte – jedoch war das Ausstellen ärztlicher Zeugnisse im “großen Stil” bislang erst in der dritten Stufe der Impfhierarchie vorgesehen.
Wichtig für die Abrechnung: Die Vergütung für die “Impf-Atteste” beträgt unverändert pauschal 5 Euro zuzüglich 90 Cent, sofern ein postalischer Versand des ärztlichen Zeugnisses erfolgt. Dies ist nur möglich, wenn der Patient in der Praxis “unmittelbar persönlich bekannt” ist, heißt es in der Impfverordnung.
Deutscher Hausärzteverband kritisiert Mehr an Bürokratie
Die Arztpraxen rechnen die Leistung quartalsweise oder monatlich mit ihrer KV ab. Eine Umfrage von “Der Hausarzt” unter den KVen hat gezeigt, dass diese sich zum Großteil an die von der KBV gestellten Pseudoziffern
- GOP 88320 für die Ausstellung des Zeugnisses und
- GOP 88321 Porto
halten. Fragen Sie im Zweifel bitte bei Ihrer KV nach! Praxen sind verpflichtet, Angaben zu den ausgestellten Attesten bis Ende 2024 “unverändert zu speichern oder aufzubewahren”.
Der Deutsche Hausärzteverband mahnt an, dass die Impfung in keinem Stadium mit zusätzlicher Bürokratie für die Praxen einhergehen dürfe. Darüber hinaus müsse die Bevölkerung “umfangreich über alle verfügbaren Medien in für die Zielgruppen angemessene Art und Weise sowohl über die Funktionsweise und die Risiken der Impfung selbst als auch über die Priorisierungsempfehlungen der STIKO informiert werden”, heißt es in einem aktuellen Positionspapier. Hierzu müssten die Hausarztpraxen ergänzend entsprechendes Material erhalten, was bislang jedoch noch nicht angedacht ist.
Gesundheitsbehörden können Einzelfälle entscheiden
Zumindest in einem Punkt jedoch soll die Priorisierung nicht über die Hausarztpraxen, sondern “ausschließlich” über jene Einrichtungen laufen, “die von den obersten Landesgesundheitsbehörden oder den von ihnen bestimmten Stellen mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragt wurden”.
Sie können zusätzlich zu den genannten Indikationen nämlich Personen nach individuellem Ermessen bestimmen, “bei denen nach individueller ärztlicher Beurteilung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV2 besteht”. Diese Aufgabe soll aber explizit nicht in Arztpraxen stattfinden. Der Deutsche Hausärzteverband hatte darauf hingewiesen, dass eine Priorisierung in der Praxis nicht zuletzt negative Auswirkungen auf das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis haben könne.
Hausärzte rücken nicht vor
Nichts geändert hat sich an der Eingruppierung von Hausärztinnen und Hausärzten. Sie sind in der Corona-Impfverordnung – wie auch in der STIKO- Empfehlung – nicht mit höchster Priorität eingestuft. In der Regel dürften sie in die zweite Impfgruppe eingeordnet werden; als Teil der „Personen, die in Bereichen medizinischer Einrichtungen mit einem hohen oder erhöhten Expositionsrisiko in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 tätig sind, insbesondere Ärzte und sonstiges Personal mit regelmäßigem unmittelbaren Patientenkontakt, Personal der Blut- und Plasmaspendedienste und in SARS-CoV-2-Testzentren“.
Zu den Schutzimpfungen mit „höchster Priorität“, also Gruppe 1, dürften Hausärzte jedoch zählen, wenn sie in den sich gerade im Aufbau befindlichen Impfzentren tätig sind oder zu den mobilen Impfteams gehören, die zeitnah mit der Immunisierung in Alten- und Pflegeheimen betraut werden sollen. Denn dort eingesetzte Ärztinnen und Ärzte gehören explizit zu Stufe 1 (s. Kasten unten).
Die Bundesländer dürften einzelne Jahrgänge zudem nun zeitversetzt einladen, erläuterte Spahn. Somit könnten sie die Impfungen flexibler organisieren.