Berlin. Kurz nach den ersten Beratungen zum Gesundheitsetat im Bundestag twitterte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstagmittag: „Der Zusatzbeitrag wird wahrscheinlich für einen Durchschnittsbürger um etwa 3 Euro pro Monat steigen. Dafür bekommen wir bessere Medikamente, moderne Technologie, mehr Spezialisierung im Krankenhaus, mehr Digitalisierung. Das muss es uns wert sein.“
Die angekündigte Beitragserhöhung im GKV-Bereich trifft auf die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der fast überall Einsparungen durchsetzen will. Den Rotstift wird vor allen Dingen das Ressort Gesundheit zu spüren bekommen, dort soll der Etat von rund 25,5 auf rund 16,2 Milliarden Euro schrumpfen.
Das hier der größte Konsolidierungsbeitrag geleistet werden soll, begründete Lauterbach bei seiner Rede zum Gesundheitsetat im Bundestag am Donnerstagvormittag damit, dass die Pandemie zu Ende sei und die künftigen Corona-Kosten deutlich geringer ausfielen. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie wachse der Haushalt an.
Deutsches Gesundheitssystem “chronisch krank”
Es sei nun an der Zeit, „zurück zu den Alltagsaufgaben“ zu kommen. Denn das deutsche Gesundheitssystem sei „chronisch krank“. Einerseits gebe man im europäischen Vergleich hier das meiste Geld aus, die Ergebnisqualität sei hingegen leider nicht gut.
Vor allen Dingen die im Vergleich zu Frankreich, Italien, Portugal, Schweden, Finnland, Norwegen etc. geringere Lebenserwartung sei verheerend. Über die großen Defizite bei der Lebenserwartung in Deutschland werde bereits international geschrieben.
Zudem zeige sich eine große Schere zwischen arm und reich: Vergleiche man Männer, die sich finanziell im untersten Viertel bewegten mit denen im obersten Viertel, falle die Lebenserwartung um durchschnittlich zehn Jahre geringer aus.
Vorteile eines Schlusslichts nutzen
Die schlechten Ergebnisse führte Lauterbach auf einen Reformstau zurück. Es habe zwar in den vergangenen Jahren viele Reformen gegeben. Wenn man ehrlich sei, seien es im Großen und Ganzen aber „Bagatellreformen“ gewesen.
Beispielhaft führte er den Krankenhaussektor an: Es gebe sehr viel Bürokratie bei gleichzeitig – im internationalen Vergleich – geringer Qualität. Es handele sich um ein durch und durch ökonomisiertes System. Lauterbachs Versprechen: „Wir werden die Medizin wieder in den Vordergrund rücken.“
Auch bei der Digitalisierung hinke Deutschland hinterher, habe aber den Vorteil, die Erkenntnisse anderer Länder nutzen zu können und so „modernste Strukturen“ aufzubauen.
Höhere Lebenserwartung dank Institut für öffentliche Gesundheit?
Beim Thema Lieferengpässe versprach Lauterbach Besserung („Wir holen die Produktion nach Deutschland zurück), ebenso bei der Pharmaforschung („Wir sind zu langsam“ – mit dem Forschungsdatengesetz verspricht Lauterbach mehr Tempo) und der Notfallreform („Das System ist unübersichtlich, die Patienten warten stundenlang“).
Wichtigstes Thema, so Lauterbach weiter, sei die im Vergleich geringe Lebenserwartung in Deutschland. Hier müsse ein Institut für öffentliche Gesundheit her. Im Herbst wolle er dies auf den Weg bringen. Ziel des Instituts sei, die Bevölkerung über eine bessere Prävention zu informieren und aufzuklären.
Dass bei der Gesundheit gespart werden soll, stieß insbesondere bei der Opposition auf harsche Kritik. Statt Cannabis zu legalisieren und Präventionsausgaben (Anm. der Redaktion: Das betrifft die Zahngesundheit) zu kürzen, sei es wichtiger, in die Long-Covid-Forschung oder auch den Hitzeschutz zu investieren.
Holetschek: Kein Cannabis in Bayern
Eigens zur Bundestagsdebatte angereist war Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der an die schwierige Lage bei Medikamenten erinnerte. Briefe schreiben an den Großhandel, wandte sich Holetschek an Lauterbach, und diesen darum zu bitten, Mangelmedikamente zu bevorraten, könne nichts bewirken. Denn der Großhandel könne nichts bevorraten, was es nicht gebe. Man müsse sich an einen Tisch setzen und Maßnahmen gegen Lieferengpässe beschließen.
Holetschek forderte außerdem, gegen investorengesteuerte MVZ vorzugehen. Das “irrwitzigste” Projekt sei die Legalisierung von Cannabis. „Wir werden alles tun, dass es in Bayern keine Drogen gibt“, kündigte Holetschek an.
Die Beratungen um den Etat werden weitergehen, der endgültige Plan wird voraussichtlich im Dezember beschlossen.