Berlin. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat die bedingte Marktzulassung für den Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Konzerns Astrazeneca in der EU empfohlen. Die Zulassung soll für Personen ab 18 Jahren gelten. Das teilte die EMA am Freitag (29.1.) in Amsterdam mit. Die EU-Kommission setzte schließlich den finalen Haken an die Zulassung, wie Kommissionschefin Ursula von der Leyen noch am gleichen Tag auf Twitter mitteilte.
Damit rückt neben den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna der dritte Impfstoff gegen Covid-19, und für Hausärztinnen und Hausärzte damit der Startschuss für die Impfungen in ihren Praxen, in greifbare Nähe. Denn der Vektorimpfstoff von Astrazeneca (AZD1222) ist preiswerter als die beiden anderen bereits zugelassenen Vakzinen und ist deutlich einfacher zu handhaben; beispielsweise ist keine Tiefkühlung nötig und der Impfstoff soll weniger „stoßempfindlich“ sein.
Trotz zuvor lautgewordenen Bedenken empfehlen die EMA-Experten die Zulassung für Menschen aller Altersstufen ab 18 Jahren. Auch wenn nur es nur vergleichsweise wenige Testpersonen über 55 Jahre gegeben habe, sei dies zu vertreten. Die EMA begründet diese Entscheidung mit den guten Test-Resultaten bei den übrigen Altersgruppen sowie Erfahrungswerten mit anderen Impfstoffen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) hingegen empfiehlt den Einsatz explizit nur bis 64 Jahre; für die älteren Altersgruppen reiche das vorhandene Datenmaterial nicht aus, heißt es in der aktualisierten Empfehlung zur Corona-Impfung (Epidemiologisches Bulletin 5/2021, 29.1.2021).
Der Hersteller hatte zuvor Berichte als falsch zurück gewiesen, dass der Impfstoff bei über 65-Jährigen nur zu acht Prozent wirksam sei.
Dabei ist gerade die jüngste Debatte über die möglicherweise schlechtere Wirksamkeit bei höheren Altersgruppen ein Knackpunkt, der die Kommunikation bezüglich der Impfungen erschweren könnte. Das berichten Hausärztinnen und Hausärzte gegenüber „Der Hausarzt“. Einzelne Stimmen aus der Praxis befürchten, dass die neue, deutlich leichter händelbare Vakzine zwar die Impfung in die Praxen bringt, zu Impfende jedoch aufgrund der Medienberichte vor einer Impfung mit Astrazeneca zurückschrecken könnten. Im Worst Case würden die Impfstoffe damit zum “Ladenhüter”. Ein Hausarzt berichtete als Reaktion im Kurznachrichtendienst Twitter, dass Patienten bereits angaben, “lieber zu warten”, weil sie die Astrazeneca-Vakzine nicht wollten.
STIKO empfiehlt Einsatz nur bis 64 Jahre
Die STIKO verweist darauf, dass in den Zulassungsstudien in der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen eine Wirksamkeit von 71 Prozent gegen eine laborbestätigte COVID-19-Erkrankung ermittelt worden sei. Die derzeit verfügbaren Daten reichten nicht aus für eine Zulassung für Ältere. “Abgesehen von dieser Einschränkung wird der Impfstoff ebenfalls als geeignet zum Individualschutz und zur Bekämpfung der Pandemie angesehen”, heißt es aber. Direkte Vergleichsstudien zwischen den verschiedenen Impfstoffen fehlten.
Wichtig in der Praxis: Für die Impfung sind zwei Dosen erforderlich, die nach STIKO bei der Astrazeneca-Vakzine im Abstand von neun bis zwölf Wochen verabreicht werden sollen. Begonnene Impfserien müssen weiterhin mit demselben Produkt abgeschlossen werden!
“Verunsicherung und Misstrauen sind fatal”
Ebenfalls Sorge bereitet weiterhin das Lieferproblem. Astrazeneca hatte angegeben, wegen Produktionsproblemen etwa 60 Prozent weniger liefern zu können als anfangs zugesagt. Daher könnten große Mengen des Impfstoffes für Deutschland und andere EU-Länder erst Wochen oder Monate später zur Verfügung stehen. Die EU hatte insgesamt 400 Millionen Impfdosen geordert und besteht auf die Lieferung (s. Kasten unten).
„Die aktuellen Meldungen über Lieferverzögerungen reihen sich in eine Folge unerfreulicher Nachrichten rund um die Organisation der Corona-Schutzimpfung ein”, sagt dazu Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. “Das rückt nicht nur das Ziel einer schnellen Immunisierung der Bevölkerung in immer weitere Ferne, es sorgt auch für Verunsicherung und Misstrauen. Das ist fatal, bedenkt man, dass die Impfung der Hoffnungsschimmer der Menschen nach diesem schwierigen Jahr ist.”
Ärzte vornehmlich mit Astrazeneca impfen?
Nach der Zulassung des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca arbeiten Bund und Länder an einer Anpassung der bisherigen Impfstrategie. Ein Ergebnis zeichnete sich in einer Videoschalte der Gesundheitsminister von Bund und Ländern am Samstag (30.1.) bereits ab: Das Präparat soll, entsprechend der STIKO-Empfehlung, lediglich an 18- bis 64-Jährige geimpft werden. Das sagte der derzeitige Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU), auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in München. Die Detailberatungen sollen allerdings am Montagabend fortgesetzt werden.
Abgesehen davon zeichnete sich nach Worten Holetscheks grundsätzlich bereits ab, dass es bei der bisherigen Priorisierungs-Reihenfolge bleiben werde.
Bislang wird die Priorisierungsstrategie in großen Teilen über das Alter gesteuert. Künftig könnte mit der Altersgrenze für Astrazeneca der Beruf mehr Gewicht erhalten: SPD-Vorsitzende Saskia Esken und FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderten in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (29.1.) etwa, Klinik- und Pflegepersonal prioritär den Astrazeneca-Impfstoff zu verabreichen. FDP-Chef Christian Lindner empfahl, Erzieher und Lehrer eher zu impfen. Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach erwartet, dass Medizinpersonal und Polizisten schneller geimpft werden, weil die ersten zwei Risikogruppen hauptsächlich aus über 70-jährigen bestünden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erinnerte am Freitagnachmittag an eine klare Reihenfolge in der Debatte: Zuerst entscheide die EMA über die Zulassung, dann lege sich die STIKO bezüglich ihrer Empfehlung fest, und erst dann würden “entsprechende Schlussfolgerungen” in der Impfverordnung gezogen, unterstrich Spahn.
Einzelne Länder, darunter Bayern und Hamburg, haben bereits spezielle Impfkommissionen angekündigt oder eingerichtet, um über besondere Einzelfälle entscheiden zu können.
Mit Material von dpa