Welche Strecke man in einem Zeitraum von sechs Minuten zurücklegen kann, hängt neben neuromuskulären Faktoren hauptsächlich von der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit ab. Schon Mitte der 1980er-Jahre wurden globale Tests zum Messen der Distanz beschrieben, die ein Patient in einer vorgegebenen Zeitspanne schafft. Durchgesetzt hat sich der Zeitraum von sechs Minuten. Die American Thoracic Society (ATS) hat den Test 2002 standardisiert. Seither wird er vor allem bei Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Lungenfibrose und Lungenhochdruck (pulmonalarterielle Hypertonie, PAH) eingesetzt. Aber auch zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Prognose von Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK), Herzinsuffizienz oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) ist der Test geeignet.
Was wird gemessen?
Ursprünglich beschränkte sich der 6-Minuten-Gehtest auf die Messung der in dieser Zeit zurückgelegten Wegstrecke. Je nach Fragestellung werden heute darüber hinaus der Puls (vor und nach Zurücklegen der Gehstrecke), der Blutdruck, die Sauerstoffsättigung oder auch das Laktat bestimmt sowie das subjektive Anstrengungsempfinden (rate of perceived exertion, RPE) des Probanden gemäß der Borg-Skala erfragt.
Wie wird gemessen?
Die Teststrecke muss eben sein. Gut geeignet ist ein Parcours mit bekannter Länge, etwa ein langer breiter Korridor, der mehrfach durchlaufen werden kann. Schmale Gänge, auf denen abrupt gewendet werden muss, verfälschen dagegen das Messergebnis. Die Probanden werden aufgefordert, so schnell zu gehen, wie es ihr aktueller Gesundheitszustand erlaubt. Sie dürfen zwischendurch anhalten. Empfohlen wird, dass minutenweise angesagt wird, wie viel Zeit noch bleibt, damit sich die Probanden darauf einstellen können und motiviert bleiben.
Wie errechnet sich das Ergebnis?
Gesunde untrainierte Personen schaffen in 6 Minuten etwa 700 bis 800 Meter. Wer mehr als einen Kilometer zurücklegt, gilt als sehr gut trainiert. Generell erreichen Frauen kürzere Wegstrecken als Männer und die zurückgelegte Entfernung sinkt mit dem Alter. Anhand zweier Formeln lässt sich für Männer und Frauen im Alter von 40 bis 80 Jahren berechnen, welche Strecke im Einzelfall als Referenzwert gilt. Berücksichtigt werden Körpergröße, Gewicht und Alter.
Für Männer gilt:
(7,57 × Größe in cm) – (5,02 × Alter in Jahren) – (1,76 × Gewicht in kg) – 309 m : 6-Minuten-Gehstrecke in Metern
Den Mindestwert erhält man, indem von diesem Ergebnis 153 Meter abgezogen werden.
Für Frauen lautet die Formel:
(2,21 × Größe in cm) – (5,78 × Alter in Jahren) – (2,29 × Gewicht in kg) + 667 m : 6-Minuten-Gehstrecke in Metern
Werden davon 139 Meter abgezogen, erhält man den Mindestwert.
Demnach errechnet sich für eine 63-jährige Frau (mit denselben Körpermaßen wie im obigen Beispiel für den männlichen Patienten) ein Referenzwert von 517 Metern und eine Mindeststrecke von 378 Metern.
Was sagt das Testergebnis?
Da die gemessenen Distanzen auch von den Eigenschaften der Teststrecke abhängen, sind Absolutwerte, die in unterschiedlichen Settings erhoben werden, nur eingeschränkt miteinander vergleichbar. Zu beachten ist auch, dass es keine allgemein akzeptierten Cut-off-Werte gibt, anhand derer sich normale von pathologischen Zuständen eindeutig abgrenzen lassen. Wiederholte Messungen unter den gleichen Bedingungen liefern jedoch ein recht zuverlässiges Bild über den Verlauf einer Erkrankung und den Erfolg einer Behandlung.
KHK
In einer Studie mit 556 ambulanten Patienten wurden der 6-Minuten-Gehtest, ein Laufbandtest sowie eine Stress-Echokardiographie durchgeführt. In den folgenden acht Jahren wurde beobachtet, bei welchen Patienten es zu Herzinfarkt und/oder Herzinsuffizienz kam. Dabei zeigte sich, dass das Ergebnis des 6-Minuten-Gehtests kardiovaskuläre Komplikationen etwa so zuverlässig vorhersagen konnte wie die Laufbandanalyse und das Stress-Echokardiogramm. Patienten in der untersten Quartile der Gehstrecken (88 bis 419 Meter) hatten ein vierfach höheres Risiko als die Patienten in der obersten Quartile (544 bis 837 Meter). Rechnete man den Einfluss bekannter Risikofaktoren wie Diabetes oder Hypertonie heraus, ging jede Distanzminderung um 104 Meter mit einem 30- bis 55-prozentigem Anstieg des Risikos einher.
Lungenerkrankungen
Die häufigste Indikation für den 6-Minuten-Gehtest ist die COPD. Er eignet sich hier sehr gut zur Verlaufs- und Therapiekontrolle. Die 6-Minuten-Gehstrecke ist neben dem Body-Mass-Index, der 1-Sekunden-Kapazität und der subjektiv empfundenen Luftnot einer von 4 Parametern, die in den international etablierten BODE-Index zur Abschätzung der Prognose bei COPD eingehen. Patienten mit schwerer COPD schaffen selten mehr als 250 Meter in 6 Minuten. Auch bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose liefert der 6-Minuten-Gehtest statistisch zuverlässige Informationen zur Prognose. Bei pulmonalarterieller Hypertonie korreliert die zurückgelegte Wegstrecke eng mit invasiv ermittelten hämodynamischen Werten.
Was kann der Test nicht?
Naturgemäß erlaubt die in 6 Minuten zurückgelegte Distanz keine Aussage darüber, welchen Anteil kardiale, pulmonale und muskulär-metabolische Faktoren auf das Ergebnis haben. Differenzierte Tests wie die Spiroergometrie zur Diagnostik von Lungenerkrankungen kann er daher nicht ersetzen.
Wann ist der Test kontraindiziert?
Keinesfalls darf ein 6-Minuten-Gehtest erfolgen, wenn
- ein Herzinfarkt weniger als vier Wochen zurückliegt,
- eine instabile Angina pectoris besteht,
- die Patienten auf Sauerstoffkonzentratoren angewiesen sind oder
- in irgendeiner Form künstlich beatmet wird.
Als relative Kontraindikationen gelten:
- Gangstörungen neurologischer oder muskulärer Genese,
- schwere pulmonalarterielle Hypertonie,
- Ruhepuls > 120/Minute,
- starker Bluthochdruck (> 120 mmHg diastolisch bzw. > 180 mmHg systolisch).
Werden die Kontraindikationen beachtet, treten selten Komplikationen ein. Auf jeden Fall sollte der Test bei starker Erschöpfung des Patienten abgebrochen werden.
Abrechnung
EBM: Bei der Abrechnung des 6-Minuten-Gehtests ist der ökonomische Gewinn bei EBM-Abrechnung relativ überschaubar. Bei Erstkonsultation im Behandlungsfall käme neben den üblichen Leistungen (03000, 03040, 32001 und evtl. 03060) lediglich die Laktatbestimmung nach GOP 32232 mit 6,90 € dazu. Sowohl die Pulsoxymetrie als auch der Gehtest als solcher finden sich im hausärztlichen EBM nicht wieder. Abrechenbar ist, falls die Diagnose es hergibt, im Anschluss ein ärztliches Gespräch nach GOP 03020.
GOÄ: Bei Abrechnung nach GOÄ (Erstkontakt im Behandlungsfall) sind die Beratung nach GOP 1 sowie eine Untersuchung nach GOP 7 abrechenbar; letztere mit einem höheren Multiplikator (3,5-fach), Begründung: zusätzlicher Gehtest/Zeitbedarf. Weitere abrechenbare Leistungen sind die GOP 602, die Pulsoxymetrie sowie die Laktatbestimmung nach GOP 3781. Die Laktatbestimmung ist eine M III-Leistung, d.h. die Leistung muss unter Aufsicht und in Anwesenheit des Arztes erbracht werden (§ 4 Abs. 2 GOÄ). Bei Folgekontakt im Behandlungsfall (zur gleichen Diagnose) entfiele die GOP 1. In einem weiteren Kontakt ist bei entsprechender Diagnose dann die GOP 34 mit mind. 20 Minuten Erörterungsdauer abrechenbar.