Beim diesjährigen Kongress in Leipzig wurde die interdisziplinäre Zusammenarbeit laut DGU-Präsident Prof. Martin Kriegmair ganz bewusst in den Fokus gerückt. “Denn die Urologie wird immer komplexer”. Das zeigt insbesondere der Blick auf die Uroonkologie: “Wir decken inzwischen 35 Prozent aller soliden Tumore ab und sind damit ganz vorne, wenn es um die Behandlung von Krebspatienten geht”.
Der zweite Schwerpunkt der Fachtagung betraf die gegenwärtige Gesundheitspolitik. Denn die von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach angekündigten “epochalen Veränderungen” geben auch den Urologen zu denken.
“Den Reformen und Transformationsprozessen wie etwa der Neuordnung der Krankenhauslandschaft werden wir uns nicht verschließen, stehen ihnen aber nicht ohne Kritik gegenüber”. Zumal, so Prof. Kriegmaier weiter, “angesichts der chronischen finanziellen Unterversorgung”.
“Praxen stehen vor dem Kollaps”
Eine der Warnungen, die auf dem 75. DGU-Kongress – der recht politisch war – laut wurden. “Einmischung einschließlich Gefährdung der Freiberuflichkeit, überbordende Bürokratie und nicht funktionierende Digitalisierung. Dazu folgt Reform auf Reform ohne Abstimmung mit den Beteiligten und meist unter Missachtung der niedergelassenen Ärzteschaft”.
Düstere Fakten, die Dr. Axel Belusa, Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Deutschen Urologie e.V., schildert und die fachärztliche wie hausärztliche Praxen gleichermaßen enorm belasten. “Die Stimmung in der Ärzteschaft ist aktuell so schlecht wie noch nie zuvor”.
Was die Situation weiter verschärft, ist dass sie ein fatales Signal an den fachärztlichen wie hausärztlichen Nachwuchs sendet. “Die Praxen, die heute schließen, werden morgen nicht wieder öffnen und fehlen für die Versorgung der Patienten”.
Dabei ist die niedergelassene Vertragsärzteschaft nach den Worten von Dr. Belusa die tragende Säule des Gesundheitssystems, “ohne die Corona nicht zu bewältigen gewesen wäre”. Diese Säule darf nicht ins Wanken geraten: “Unabhängig vom Geldbeutel muss weiter für jeden der Zugang zu einer flächendeckenden Versorgung gewährleistet sein”.
Prostatakrebs-Früherkennungsprogramm muss GKV-Leistung werden
Er ist der häufigste Tumor des Mannes und steht bei der Mortalität nach wie vor auf dem zweiten Platz: Prostatakrebs fordert bundesweit jährlich rund 15.000 Menschenleben. Das einzige Verfahren zur Früherkennung, das die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen, ist weiterhin einzig die rektale Tastuntersuchung.
“Der Finger im Enddarm ist jedoch der falsche Ansatz” gibt Prof. Stephan Michel, Direktor der Klinik für Urologie Universitätsklinikum Mannheim, klar zu bedenken: Die Rate an falsch-positiven Ergebnissen liegt bei 95 Prozent, zudem sind 86 Prozent der tatsächlich vorhandenen Tumore gar nicht tastbar. “Mithin ist die alleinige Tastuntersuchung obsolet zur Früherkennung”.
Deshalb appellierte die DGU auf ihrem 75. Kongress dringend dafür, dass die Empfehlung des EU-Rats für ein umfassenderes Prostatakrebs-Früherkennungsprogramm als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen auch hierzulande umgesetzt wird.
Einen entsprechenden Algorithmus für ein risikoadaptiertes, PSA-basiertes Screening mit einer je nach Ergebnis anschließenden multiparametrischen Magnetresonanztomografie (mpMRT) wurde auf dem Leipziger Kongress vorgestellt. “Es darf nicht sein, dass Deutschland die rote Laterne in der Hand hält und zum Schlusslicht bei der Früherkennung des Prostatakarzinoms in Europa wird”, so Prof. Michel.
Längst überfällig: Männliche Verhütung
1961, vor über sechs Jahrzehnten, wurde die Pille für die Frau auf dem deutschen Arzneimittelmarkt eingeführt. Diese steht laut Dr. Christian Leiber-Caspers, Medienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e.V., auch 2023 bei den Verhütungsmethoden unangefochten weiter auf Platz eins. “Die Tendenz ist allerdings aufgrund der Risiken und Nebenwirkungen vor allem bei jüngeren Frauen deutlich rückläufig”.
Auf die Pille für den Mann wartet die Welt bis heute. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die Auflagen inzwischen erheblich höher sind: “Präparate mit einem solchen Risikoprofil würden heute überhaupt nicht mehr zugelassen werden”, so Dr. Leiber-Caspers. Dabei wäre fast die Hälfte der Männer in westlichen Gesellschaften bereit, Verantwortung für die Verhütung zu übernehmen.
Als erfolgsversprechende Option zur hormonellen Verhütung für den Mann galt hochdosiertes Testosteron, da es die Spermiogenese unterdrückt. Wegen der starken Nebenwirkungen wurden die WHO-Studien dazu jedoch abgebrochen. Derzeit laufen einige Studien mit hormonellen Kombinationstherapien – bisher ohne konkrete Ergebnisse.
Was also derzeit an Verhütungsmethoden für den Mann bleibt, sind Kondom und Vasektomie. Kondome bieten zwar einen sicheren Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten, mit dem Pearl Index sieht es indessen mau aus: “Wird das Kondom korrekt angewendet, was fast nie der Fall ist, liegt er bei 2. Beim normalen Gebrauch sinkt der Index jedoch auf 18”.
Neben der Sicherheit hapert es auch bei der Akzeptanz von Kondomen. Die höchste Sicherheit mit einem Pearl Index von 0,10 gewährleistet die Vasektomie. Diese ambulant durchführbare und risikoarme Verhütungsmethode für den Mann ist allerdings dauerhaft. Entsprechend kommt sie nur bei einer abgeschlossenen Familienplanung in Betracht.
Alternative Maßnahmen wie etwa eine Hyperthermie der Hoden zur Reduktion der Spermienbildung stehen im Raum. Deren Effizienz ist jedoch fragwürdig und deshalb bislang nicht anerkannt. Fazit von Dr. Leiber-Caspers: “Bis zur Einführung der Pille für den Mann wird es wohl noch Jahre dauern”.
Quellen: Vorträge im Rahmen des 75. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) vom 20. bis 23.9.2022 in Leipzig.