Sie können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und sogar zum Beziehungsaus führen: Sexuelle Störungen des Mannes. Ihre Klassifikation (s. Kasten) orientiert sich nach wie vor am Vier-Stufen-Modell der sexuellen Reaktion, das Masters und Johnson in den 60ern erstellt haben. Dieses lineare Modell geht davon aus, dass der Mann Schritt für Schritt vier Phasen durchläuft: Erregung, Plateau, Orgasmus und Ejakulation sowie die Resolution, die Erholung nach dem Orgasmus.
Leidensdruck entscheidend
Mit am häufigsten ist der vorzeitige Samenerguss (Ejaculatio Praecox): Er betrifft dauerhaft ungefähr ein Drittel aller geschlechtsreifen Männer. Eine einheitliche Definition existiert nicht, jedoch stehen bei den meisten Definitionen drei zentrale Aspekte im Vordergrund:
- die Empfindung, dass die intravaginale Ejakulationszeit (IELT) – die Zeit zwischen Penetration und Samenerguss – zu kurz ist
- keine oder eingeschränkte willentliche Ejakulationskontrolle
- der Leidensdruck des Betroffenen sowie die Belastung der Partnerschaft
Die IELT dauert laut einer internationalen Studie bei gesunden Männern durchschnittlich 5,4 Minuten. Beim vorzeitigen Samen-erguss haben sich Experten in einer Kon-sensuskonferenz auf eine Minute als inoffiziellen Cut-Off geeinigt. Auch beim verzögerten Samenerguss gibt es keinen offiziellen diagnostischen Zeitwert. Experten gehen von einer Dauer von 22 Minuten aus, jedoch spielt es vor allem eine Rolle, wie hoch der Leidensdruck ist.
Für die Diagnose aller Sexualstörungen gilt: Sie müssen mindestens sechs Monate bestehen, mit einer Häufigkeit von 75 bis 100 Prozent auftreten und zu persönlichem Leidensdruck führen.
Wenn Sex traurig macht
Neben diesen gängigen Sexualstörungen thematisieren und untersuchen Fachleute zunehmend die postkoitale Dysphorie (PD), im Volksmund auch “Post-Sex Blues” genannt. Die PD zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen nach befriedigendem und einvernehmlichem Sex Gefühle von plötzlicher Traurigkeit, Melancholie und manchmal auch Gereiztheit empfinden.
Die Forschung steht noch am Anfang, detaillierte Studien zu den Symptomen der PD und deren Häufigkeit fehlen. Unklar ist auch, ob es tatsächlich Menschen gibt, bei denen PD einen “Krankheitswert” hat und starkes Leiden mit sich bringt. Die wenigen vorhandenen Studien widmen sich hauptsächlich der Verbreitung von PD bei Frauen. Lediglich eine Studie hat sich jüngst auch mit dem Vorkommen von PD bei Männern auseinandergesetzt. Das Ergebnis: 41 Prozent der Männer haben bereits einmal eine Episode erlebt, drei bis vier Prozent tun dies sogar regelmäßig.
PD: Multifaktorielle Genese
Fachleute gehen von einer multifaktoriellen Entstehung der PD aus, bei der psychologische, emotionale/affektive und biologische Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung zusammenwirken. Nach dem Orgasmus wird eine Reihe von Hormonen und Neurotransmittern ausgeschüttet – möglicherweise herrscht bei PD hier ein Ungleichgewicht vor. Zudem haben Wissenschaftler einen Zusammenhang mit Missbrauchserfahrung aufgezeigt. Affekt-orientierte Theorien postulieren, dass die Bindung zum Partner während des Geschlechtsakts sehr stark ist und das Aufbrechen am Ende des Aktes zu den jeweiligen Symptomen führt.
Generell werden bei männlichen Sexualstörungen die physiologischen Faktoren oft viel stärker gewichtet als kontextuelle oder psychische Einflüsse. Dabei zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass nicht nur bei der Frau, sondern auch beim Mann kognitive, affektive und kontextuelle Faktoren die Sexualität maßgeblich beeinflussen und so zur Entstehung sexueller Probleme beitragen können – dies gilt nicht nur für die PD, sondern für alle Sexualprobleme.
Dem Behandler sollte bewusst sein, dass selten nur ein Faktor dem Problem zugrunde liegt: Um bei einer multifaktoriellen Ätiologie den maximalen Behandlungserfolg zu erreichen, ist oft eine interdisziplinäre Behandlung erforderlich.
Auch die Frau leidet
Gemeinsam ist allen erwähnten Störungsbildern, dass sie meist zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität bei den Betroffenen wie auch bei deren Partner führen. Dies untermauert, was klinische und wissenschaftliche Studien wiederholt aufgezeigt haben: Beziehungszufriedenheit und sexuelle Zufriedenheit stehen in starkem Zusammenhang.
Die meisten Studien zu den Auswirkungen männlicher Sexualprobleme haben sich vornehmlich der Sichtweise und des Leidensdrucks des Mannes angenommen. Etwa berichten Männer mit Erektionsproblemen vermehrt über eingeschränkte Lebensqualität sowie Gefühlen von Entmannung und vermindertem Selbstwert, die Prävalenz von Depression und Angststörungen ist erhöht. Ähnlich sieht es bei Ejaculatio Praecox aus: Einbußen der Lebensqualität, vermehrte zwischenmenschliche Beziehungsprobleme und Partnerschaftsstress sind häufige Konsequenzen.
Jedoch zeigen neuere Studien, wie sich die sexuellen Probleme des Mannes auch auf die Lebensqualität der Frau auswirken: Unzufriedenheit mit Sexualität und Beziehung, eingeschränktes Intimitätserleben, verminderter Selbstwert und vermehrtes Aufkommen von Sexualproblemen (vor allem Lustlosigkeit) sind nur einige der möglichen Folgen. Dies führt beim Mann zu weiterer Verunsicherung, Schuld und Scham. Auf Dauer sind beide Parteien verzweifelt und frustriert, vermeiden aus Furcht vor Zurückweisung und Enttäuschung zunehmend den sexuellen Kontakt und büßen damit signifikant an Lebensqualität ein. Aufgrund der starken psychischen Belastung und des angestauten Frustes endet so manchmal eine eigentlich harmonische Beziehung in einer Trennung.
Medikamente reichen nicht
Zwar sind aktuelle medikamentöse Behandlungen zur Wiederherstellung der Sexualfunktion relativ wirkungsvoll, doch zeigt die Studienlage, dass diese alleine meist nicht reichen, um Lebensqualität und Beziehungszufriedenheit zurückzubringen. Denn oft haben die Patienten und deren Partner multiple Erwartungen, die über die reine Wiederherstellung der Sexualfunktion hinausgehen. Deswegen ist es wichtig, dass die behandelnden Ärzte über ein umfassendes Verständnis der menschlichen Sexualität verfügen und sich deren Bedeutung für die Lebensqualität der Menschen bewusst sind. Die Überweisung an kompetente Sexual- und Paartherapeuten sollten sie in jedem Fall in Betracht ziehen.
Fazit
- Männliche Sexualstörungen belasten auch die Partnerin und wirken sich auf die Beziehung häufig negativ aus.
- Bei der Definition einer Sexualstörung ist der persönliche Leidensdruck ausschlaggebend.
- Meist spielen bei der Entstehung einer Sexualstörung neben physiologischen auch psychische und kontextuelle Faktoren eine Rolle. Daher ist oft eine interdisziplinäre Behandlung erforderlich.
Literatur bei der Verfasserin.
Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.