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InterviewOrganspende: Beratung ab 1. März im EBM

Am 1. März geht es los: Mit dem aktualisierten Transplantationsgesetz können Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patienten zur Organ- und Gewebespende "ergebnisoffen" beraten, wie es heißt. Im EBM wurde dazu eine eigene Gebührenordnungsposition eingeführt, eine Beratung ist alle zwei Jahre möglich.

Mehr als 9.100 Menschen stehen auf der Warteliste. 2020 wurden etwa 4.900 Personen neu auf die Warteliste aufgenommen. 767 Personen auf der Warteliste sind 2020 verstorben. (Quelle BZgA)

Die Novellierung des Gesetzes hat zum Ziel, die Organspendebereitschaft und die dazugehörige Dokumentation zu erhöhen. Wird die Beratung die Organspende tatsächlich in Schwung bringen?

Über die Organspendereform hat “Der Hausarzt” mit Prof. Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrates, und Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, gesprochen. Buyx ist im Ethikrat unter anderem auch Ansprechpartnerin für das Thema Organ- und Gewebespende.

Hausärztinnen und Hausärzte sollen demnächst mehr zur Organ- und Gewebespende beraten. Glauben Sie, dass mit der Novellierung das gesteckte Ziel, nämlich die Spendebereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, erreicht wird?

Prof. Alena Buyx: Die Hoffnung besteht schon. Man weiß auch aus der sozialpsychologischen Forschung: Wenn Gesundheitsthemen im Fokus öffentlicher Diskussionen stehen, kann das die Spendebereitschaft erhöhen.

Das hat sich in der Pandemie bestätigt: Experten hatten erwartet, dass die Bereitschaft in den Keller gehen würde. Das ist aber überhaupt nicht erfolgt. Und natürlich stimmt die Änderung im Transplantationsgesetz, mit der die Bereitschaft explizit abgefragt wird, hoffnungsfroh, dass die Spendenkurve steigen könnte.

Ulrich Weigeldt: Ich habe eher Zweifel, ob mit diesem Gesetz eine ausreichende Zahl an Spendern, die wir eigentlich benötigen, gewonnen werden können. Wenn wieder mehr über die Organspende diskutiert wird, könnte es zwar geringe Erhöhungen geben.

Im internationalen Vergleich stehen wir jedoch so weit unten, dass wir – wenn wir auf die Warteliste schauen – es kaum schaffen werden, hier die nötigen Zahlen aufzuholen.

Was könnte denn eine erfolgversprechende Lösung sein?

Weigeldt: Ich persönlich bin ein Verfechter der Widerspruchslösung. Ich finde, das ist die vernünftigste Regelung. Das auch deshalb, weil wir in den Gesprächen mit den Patienten feststellen, dass diese sich oft gar nicht mit dem Thema Organspende beschäftigen wollen, selbst wenn sie der Organspende grundsätzlich positiv gegenüberstehen.

Prof. Buyx, was schätzen Sie, wäre die Widerspruchslösung der bessere Weg?

Buyx: Im Ethikrat haben wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigt. Bei der Widerspruchslösung gibt es einen entscheidenden Punkt, den Herr Weigeldt genannt hat: Es gibt eine deutliche Schere zwischen der in Befragungen bekräftigten Spendebereitschaft und dem, was dann tatsächlich passiert.

Studien haben gezeigt: Ein Großteil der Bevölkerung sagt: Ja, ich möchte spenden. Deutlich weniger erklären das jedoch schriftlich. Und Letzteres ist das, was man bei der in Deutschland gültigen Zustimmungslösung braucht.

Wenn man das Phänomen umdreht, sprich – man muss widersprechen und ist sonst Organspender – besteht die Hoffnung, dass man diejenigen Menschen abholt, die bekräftigt haben, ihre Organe spenden zu wollen.

Die sich aber im Anschluss scheuen, es zu dokumentieren. Hier setzt auch die Kritik an der Zustimmungslösung an, die darauf abzielt, dass die Menschen aktiv ihrer Selbstbestimmung Ausdruck verleihen müssen.

Die Zustimmungslösung gilt erst einmal weiterhin. Was raten Sie, Herr Weigeldt, Hausärztinnen und Hausärzten, die ab 1. März ihre Patienten zur Organspende beraten sollen?

Weigeldt: Ich glaube, es wird sich ab dem 1. März nicht so viel ändern. In vielen Praxen wird das Thema ja schon angesprochen. Häufig liegen die Organspendeausweise beispielsweise auf dem Tisch, das ist häufig der erste Anhaltspunkt für einen Gesprächseinstieg.

Dass aber die Beratungsintensität bald sprunghaft in die Höhe geht oder wir aktiv auf Patienten, die wegen eines umgeknickten Sprunggelenks in die Praxis kommen, mit der Organspende konfrontieren – ich glaube, das würden viele Patienten auch relativ unheimlich finden.

Wenn es um die eigenen Organe geht, haben die Menschen natürlich Ängste, die man ernst nehmen muss. Das geht nicht, indem man sie zur Beratung drängt.

Im EBM ist die neue Beratungsleistung mit fünf Minuten hinterlegt. Dass diese Zeit nicht ausreichen kann, muss man eigentlich gar nicht diskutieren. Was meinen Sie dazu?

Weigeldt: Zunächst: Dass Hausärzte beraten sollen, klingt ja erst einmal gut. Aber irgendwann müssen wir auch unsere Arbeit machen und wir haben eben auch nur einen 24-Stunden-Tag. Gar nicht zu reden davon, dass wir diese Beratung in fünf Minuten erledigen sollen. Da kann ich nur sagen: Derjenige, der das so bestimmt hat, der will anscheinend nicht, dass wir das machen.

Buyx: Die Organspende ist ein Thema, das für viele mit Vorstellungen von Leben und Tod, mit ganz individuellen Überzeugungen und Wertvorstellungen intensiv verknüpft ist. So etwas kann man natürlich nicht in fünf Minuten abhandeln.

Dabei ist die Information zur Organspende schon eine Aufgabe, die im Medizinsystem verortet sein sollte. Es geht schließlich um die Vermittlung komplexer Informationen. Gleichzeitig ist die Organspende ein absolutes Paradebeispiel für ein Nachdenken über einen solidarischen Gesundheitsakt, den man auch durchaus gesamtgesellschaftlich diskutieren kann.

Der Grund, warum die Beratung beim Hausarzt angesiedelt ist, ist doch, dass es immer heißt: Der Hausarzt kennt seine Patienten am besten und weiß, was sie wollen. Was meinen Sie dazu?

Buyx: An sich finde ich die Idee, dass Hausärzte die Aufgabe übernehmen sollen, gut. Wenn es eine Berufsgruppe gibt, denen die Patienten am meisten vertrauen, sind es nun mal tatsächlich die Hausärzte. Die können das aber zeitlich nicht machen und die Beratung ist prinzipiell mit fünf Minuten nicht zu machen.

Was die Hausärztin oder der Hausarzt vielleicht machen kann, ist die Einsortierung: Was braucht der Patient eigentlich? Ist das zum Beispiel jemand, der sich von der Website der BZgA dreißig Seiten zum Durcharbeiten runterlädt oder ist das jemand: “Setz Dich mal mit der Familie zusammen und rede darüber.”

Und vielleicht ist da der eine oder andere, dem man den Flyer rüberschieben kann und schafft das nebenher in zwei Minuten. Hausärzte könnten meiner Meinung nach die Rolle des Gatekeepers übernehmen.

Die Beratung soll “ergebnisoffen” erfolgen, heißt es. Aber im Grunde genommen ist das Ziel ja schon, dass der Mensch einen Organspendeausweis ausfüllt. Wie soll sich da der Arzt verhalten?

Weigeldt: Die Patienten dürfen nicht gedrängt werden, das ist ja klar. Ob jemand sich für eine Organspende entscheidet, obliegt natürlich demjenigen selbst. Natürlich ist es aber so, dass die persönliche Grundauffassung der Ärztin oder des Arztes das Beratungsergebnis auch ein Stück weit beeinflusst. Wir sind ja keine neutralen Roboter.

Frau Buyx, was raten Sie den beratenden Ärztinnen und Ärzten? Sollen sie eine neutrale Haltung einnehmen?

Buyx: Das ist etwas, was wir tatsächlich in der Medizinethik unterrichten. Es ist wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte sich ihrer eigenen Position bewusst sind. Problematisch wäre es vielmehr, wenn man sich nie darüber Gedanken gemacht hat und vage die eigene Meinung einfließen lässt.

Das kann etwas Beeinflussendes haben, ohne dass dies intendiert wäre. Wichtig ist nur, dass die Ärztin oder der Arzt kenntlich macht, dass es sich um seine eigene Position handelt. Bekannt ist im Übrigen, dass so gut wie alle Ärzte Befürworter der Organspende sind.

Weigeldt: Dass Ärztinnen und Ärzte sich ihrer Position bewusst sein müssen – diese Auffassung teile ich. Ich persönlich bin auch sehr dafür, dass man in der medizinischen Aus- und Weiterbildung lernt: Wie denkt der Patient, was nehme ich von ihm auf, was nimmt er auf? Das sind alles Dinge, die man in der Aus- und Weiterbildung lernen kann und lernen sollte, um einzeln und patientengerecht die Kommunikation zu führen.

Die Wartelisten sind lang; die Spenderzahlen in Deutschland nicht gut. Ist das ein spezifisches, deutsches Problem, dass Menschen Angst vor der Organspende haben?

Buyx: Angst ist, glaube ich, das falsche Wort. Es gibt Hürden – die kennt man aus allen Ländern. Dabei ist die Organspende sehr unterschiedlich in Europa geregelt. Die prinzipiellen Überlegungen sind die gleichen. Um ein klassisches Beispiel zu nennen: In Spanien ist die Organspende sehr positiv bewertet, die Zahlen sind sehr erfolgreich, das Land gilt als vorbildlich.

Nicht nur, weil die Organspende super organisiert ist und weil viele positive Anreizsysteme im Gesundheitssystem verankert wurden. Sondern auch, weil es durchaus hilfreiche öffentliche Diskussionen gab, bei denen die Organspende positiv bewertet wurde.

Aber auf der Patientenebene glaube ich, dass die spanischen Patienten ihre Ärztinnen und Ärzte nicht unbedingt andere Sachen fragen, sondern die Probleme schon relativ ähnlich sind.

Weigeldt: Dem kann ich nur zustimmen. Wir tauschen uns natürlich mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern regelmäßig aus und diskutieren die Erfahrungen. Und obwohl die Gesundheitssysteme teils sehr unterschiedlich organisiert sind, stellen wir immer wieder fest: Die Probleme sind ähnlicher, als man zunächst annehmen würde.

Vielleicht haben wir in Deutschland im Vergleich etwa zu Spanien eine nicht so gute Tendenz. Hier wird erst einmal geschaut, was alles schlecht ist oder was nicht funktioniert.

Organspende – was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Weigeldt: Für die hausärztlichen Praxen würde ich mir vernünftige Rahmenbedingungen wünschen. Zum einen muss den Praxen ausreichend Zeit eingeräumt werden, um die Beratungen durchzuführen. Die fünf Minuten alle zwei Jahre, die jetzt verankert sind, führen auch dazu, dass man sich als Hausärztin oder Hausarzt nicht ernst genommen fühlt.

Dabei führen die Praxen jetzt schon diese Beratungen durch. Mit besseren Rahmenbedingungen könnte das vielleicht etwas mehr Fahrt aufnehmen. Schließlich wissen wir ja auch, wie dankbar die Menschen sind, die ein Organ erhalten haben, auf das sie lange gewartet haben.

Buyx: Ich würde mir wünschen, dass dieser enorme Fokus auf Gesundheitsthemen in der Pandemie genutzt wird, um die Aufmerksamkeit auf die Organspende zu lenken. Es warten so viele Menschen auf ein Organ, denen es einfach schlecht geht oder die versterben, weil schlichtweg kein Organ da ist.

Prinzipiell könnten wir in Deutschland eigentlich eine sehr gute Behandlung anbieten. Das geht aber nicht, weil Organe absolut knapp sind. Deshalb finde ich, wir sollten in Deutschland nicht nur zu Aufklärungs- und Strukturfragen diskutieren, sondern die größeren Fragen in den Blick nehmen.

Ich finde es jedenfalls bedenklich, dass wir in Deutschland einfach akzeptieren, dass die Spenderaten sehr niedrig sind – auch im internationalen Vergleich.

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