Gerade beim älteren Patienten sollte die Evaluation der Sexualität Bestandteil des Arzt-Patienten-Gesprächs sein, da sich beispielsweise Störungen der Erektionsfähigkeit nicht selten als erste klinische Symptome einer bis dahin unerkannten generalisierten Gefäß-Kreislauf-Erkrankung oder anderer pathologischer Prozesse zeigen können. Darüber hinaus können das Absinken des Testosteronspiegels und damit verbundene körperliche bzw. sexuelle und psychische Symptome die Lebensqualität des Patienten stark beeinträchtigen.
Metabolisches Syndrom
Vor allem im Rahmen eines metabolischen Syndroms (Tab. 1) kann es durch multiple Faktoren wie Gefäßschäden oder hormonelle Störungen zu signifikanten Beeinträchtigungen der Sexualfunktionen kommen. Bedingt durch den geringen Durchmesser der tiefen Penisarterien (1 – 2 mm) können sich Gefäßpathologien und Plaques schon früh durch eine Verminderung der Erektionsfähigkeit bemerkbar machen.
Testosteronmangel und Hypogonadismus
Als Hypogonadismus bezeichnet man eine endokrine sekretorische Insuffizienz der Hoden, die mit einer objektiven Erniedrigung des Testosteronspiegels im Serum und entsprechenden klinischen Symptomen verbunden ist. Bei Testosteronmangel kommt es zu charakteristischen Veränderungen am Schwellkörper: Die glatte Muskulatur bildet sich zurück, Fettzellen reichern sich an, ein fibrotischer Umbau und schließlich Erektionsstörungen können die Folge sein. Unter einer Hormonersatztherapie sind diese Veränderungen bis zu einem gewissen Grad reversibel. Testosteronmangel kann auf drei Ebenen zu Symptomen führen (Tab. 2).
Diagnose: Bei der initialen Beurteilung von Männern mit erektiler Dysfunktion – insbesondere mit Verminderung der Libido – ist eine Testosteronbestimmung unter Berücksichtigung eventueller Komorbiditäten wie dem Metabolischen Syndrom, Diabetesmellitus oder einem Prolaktinom sinnvoll. Zu berücksichtigen ist auch, dass bereits ab dem 40. Lebensjahr der Testosteronspiegel absinken kann,. In diesem Alter liegt bei etwa 10 Prozent aller Männer ein Testosterondefizit vor. Bis zum 70. Lebensjahr steigt dieser Anteil auf etwa 30 Prozent. Die Diagnose eines substitutionsbedürftigen Hypogonadismus erfordert das Vorliegen von körperlichen Symptomen und einen objektiven Testosteronmangel.
Daher stützt sich die Diagnose auf Anamnese, körperliche Untersuchung inklusive digital-rektaler Untersuchung, Laboranalysen und bildgebende Verfahren. Zur Labordiagnostik des Hypogonadismus hat sich die Bestimmung des Gesamttestosterons im Serum etabliert; die Abnahme sollte gemäß der zirkadianen Rhythmik des Hormons zwischen 7 und 11 Uhr morgens bzw. ca. 2 Stunden nach dem Aufstehen erfolgen, bei einem erniedrigten Wert ist eine zweite Bestimmung zur Bestätigung erforderlich.
Therapie: Derzeit existiert keine altersadaptierte bzw. allgemein akzeptierte untere Schwelle des Testosteronspiegels. Die andrologischen Fachgesellschaften haben sich jedoch in ihren Leitlinien darauf geeinigt, dass bei einem Testosteronspiegel > 12 nmol/l (350 ng/dl) kein Substitutionsbedarf besteht. Bei Testosteronspiegeln < 8 nmol/l (230 ng/dl) profitieren die Patienten für gewöhnlich von einer Substitution. Für die Substitutionstherapie eignen sich vor allem transdermale und intramuskuläre Applikationssysteme.
Die Entscheidung für ein Präparat sollten Arzt und Patient gemeinsam fällen. Bei Patienten > 50 Jahren mit Late Onset Hypogonadismus eignen sich zu Therapiebeginn kurz wirksame, gut steuerbare Präparate (z. B. Gelpräparate) besser als Depotpräparate. Im Sinn eines therapeutischen Gesamtkonzepts sollte neben der Ersatztherapie auch das Gesundheitsbewusstsein des Patienten gefördert werden; meist ist eine vermehrte körperliche Aktivität und eine Ernährungsumstellung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion anzuraten.
Vor Beginn der Therapie sollte durch Bestimmung des PSA-Werts und mittels digitaler rektaler Untersuchung das Vorliegen eines Prostatakarzinoms ausgeschlossen werden; initial sollten möglichst alle 3 bis 6 Monate, nach 12 Monaten und danach jährlich diese Untersuchungen einschließlich eines transrektalen Ultraschalls erfolgen. Ein PSA-Anstieg unter einer Testosterontherapie sollte urologisch abgeklärt werden.
Ejaculatio praecox
Der vorzeitige Samenerguss (Ejaculatio praecox) ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung des Mannes. Die Prävalenz variiert je nach Definition zwischen 5 und 30 Prozent; bei sexuell aktiven Männern beträgt sie etwa 20 Prozent. Die Störung lässt sich nur schwer objektivieren. Insbesondere in Relation zu der mitunter viel längeren Zeit, die die Partnerin zum Erreichen eines Höhepunkts benötigt, kann die klinische Abgrenzung zwischen physiologischen und pathologischen Situationen erschwert sein.
Die Ejaculatio praecox beschreibt einen ungewollten vorzeitigen Samenerguss vor oder nach minimaler sexueller Stimulation, der zum Krankheitsgefühl beim Patienten und ggf. zu Störungen in der sexuellen Beziehung führt. Die durchschnittliche Zeit von Beginn der Penetration bis zur Ejakulation beträgt dabei unter 1 – 2 Minuten (deutlich verkürzte Latenzphase).
Das Krankheitsbild der Ejaculatio praecox kann ausgeschlossen werden, wenn die kurze Latenzzeit bis zur Ejakulation durch sexuelle Enthaltsamkeit, neue Partner, neue sexuelle Situationen, Alkohol, Drogen oder Medikamente erklärlich ist. Das Hauptmerkmal der Ejaculatio praecox ist der Verlust der Fähigkeit, den Zeitpunkt des Orgasmus und der Ejakulation zu steuern – unabhängig von Libido oder erektiler Funktion. Der klinische Verlauf ist variabel.
Man unterscheidet zwischen einer lebenslangen (primären) Ejaculatio praecox und einer erworbenen (sekundären) Form. Die primäre Ejaculatio praecox ist eher durch körperliche Ursachen bedingt und in der Regel chronisch, während für die sekundäre Ejaculatio praecox oft psychogene Komponenten in den Vordergrund rücken (Ängste, unzureichende Kommunikation zwischen den Partnern, unzureichende Techniken der Ejakulationskontrolle, psychodynamische Ursachen u. v. m.).
Diagnose: Neben der allgemeinen Anamnese sollte eine genaue Sexualanamnese erhoben werden, in deren Rahmen auch Frequenz, Techniken und Dauer des Geschlechtsverkehrs sowie das Verhältnis zum Partner und zur gemeinsamen Sexualität abfragt werden sollten. Ansätze zur quantitativen Erfassung einer Ejaculatio praecox beinhalten z. B. die Dauer zwischen Penetration und Samenerguss. Weiterhin wird mitunter auch die Zahl der Beckenbewegung mit einbezogen; diese sollte nicht unter 7 liegen.
Therapie: Die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Einen konservativen Ansatz stellt die Verhaltenstherapie dar. Sie verbessert die Kommunikation der Sexualpartner und kann über die Therapie der Ejaculatio praecox zu einer befriedigenderen Partnerschaft führen. Nachteilig sind die verzögerte und inkonstante Wirkung sowie ein hoher personeller bzw. finanzieller Aufwand. Außerdem setzt sie die Kooperation des Partners voraus.
In der Literatur finden sich mehrere Optionen zur Verzögerung des Samenergusses, die sich jedoch in der Praxis zum Teil nur als bedingt hilfreich bzw. umsetzbar erweisen: Bei der „Stop-Squeeze-Methode“ soll kurz vor der Ejakulation die sexuelle Stimulation durch eine Kompression der Glans penis unterbrochen werden, bis der Ejakulationsdrang nachlässt. Danach wird die sexuelle Stimulation fortgesetzt. Ähnlich funktioniert auch die „Stop-Pause-Methode“ nach Kaplan, bei der kurz vor der Ejakulation die sexuelle Stimulation ausgesetzt wird, bis der Ejakulationsdrang nachgelassen hat und eine weitere sexuelle Stimulation ohne Ejakulation möglich ist. Als lokale Therapien stehen Salben mit Lokalanästhetika (z. B. Lidocain) zur Senkung der Hypersensitivitat des Penis zur Verfügung. Die Applikation erfolgt 20 Minuten vor dem Geschlechtsverkehr, ggf. in Kombination mit einem Kondom.
Bei der pharmakologischen Therapie der vorzeitigen Ejakulation können Antidepressiva (SSRI, trizyklische Antidepressiva) zum Einsatz kommen. Problematisch sind jedoch die Nebenwirkungen und die fehlende Zulassung für die Indikation Ejaculatio praecox. Seit Mitte 2009 besitzt Dapoxetin als kurz wirksamer SSRI die Zulassung für eine Bedarfsmedikation, jedoch müssen klinische Wirksamkeit und eventuelle Nebenwirkungen kritisch abgewogen werden, die frühzeitige urologische bzw. andrologische Überweisung ist hier ratsam.
Erektile Dysfunktion
Die Diagnose Erektile Dysfunktion ist zu stellen, wenn eine chronische Storung der Erektionsfahigkeit besteht, die seit mindestens 6 Monaten andauert und einen zufriedenstellenden Geschlechtsverkehr in den meisten Fallen (kleiner gleich 70 Prozent der Versuche) nicht zulässt. Erektionsstörungen des älteren Patienten sind häufig subjektiv und werden nicht selten in Relation zu Erinnerungen aus der Jugendzeit gesehen, tatsächlich kommt es auch mit zunehmendem Alter physiologisch zu Veränderungen der Sexualfunktionen.
Diagnose: In der täglichen Praxis gilt es, altersbedingte Veranderungen der Sexualitat von krankheitsassoziierten Symptomen zu unterscheiden. Validierte Fragebögen wie der International Index for Erectile Function (IIEF) und der Aging Male Symptom Score (AMS) können die Anamnese unterstützen und bei der Objektivierung sexueller Störungen helfen.
Stets ist zu bedenken, dass das Nachlassen der Erektionsfahigkeit auch als unerwunschte Wirkung bei verschiedenen Medikamenten auftreten kann. So führen Präparate wie Antihypertensiva, Antihyperlipidamika, Protonenpumpeninhibitoren, diverse Psychopharmaka und viele andere Substanzgruppen unter Umständen zu Beeinträchtigungen der Gliedsteife und des sexuellen Verlangens. Im individuellen Fall sollten daher die Indikationen uberpruft und dann ggf. Dosisreduktionen, Stoffgruppenwechsel oder die symptomatische Therapie unter Fortführung der Medikation überlegt werden. Auch urologische Erkrankungen wie z. B. das benigne Prostatasyndrom und operative Eingriffe konnen Auslöser für eine erektile Dysfunktion sein.
Für die Therapie von Erektionsstörungen stehen eine Vielzahl von oral und lokal applizierbaren Substanzen sowie mechanische Hilfsmittel zur Verfügung. Zur Firstline-Therapie gehören die oralen Präparate Avanafil, Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil sowie die Androgenersatztherapie und die Sexualtherapie. Klinisch relevante Unterschiede der PDE5-Inhibitoren bestehen hinsichtlich ihrer Pharmakokinetik und ihrer Wirkdauer, je nach Präparat und individueller Indikation kommen bedarfsorientierte oder tägliche Applikationen in Betracht. Das Nebenwirkungsspektrum ist dosisabhängig und meist nicht sehr ausgeprägt. Bei schwersten kardiovaskulären Vorerkrankungen sowie bei der Medikation mit Nitraten bzw. NO-Donatoren ist die Einnahme kontraindiziert.
Bei Kontraindikationen oder mangelnder Wirksamkeit konnen Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT), intraurethrale oder meatale Applikationen, Vakuum-Erektionshilfen oder schlieslich die Schwellkörper-Endoprothetik wichtige Beiträge zur Behandlung von Erektionsstörungen leisten. Die Indikationsstellung fur ein Schwellkörperimplantat sollte dem spezialisierten Urologen bzw. Andrologen vorbehalten bleiben. Gerade beim älteren Patienten müssen intra-, peri-, und postoperativen Risiken ausführlich gegen das Ausmaß des Therapiewunsches abgewogen werden.
Fazit
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Das Ansprechen sexueller Störungen des (älteren) Mannes sollte Teil der alltäglichen Praxis und des Arzt-Patienten-Gespräches sein.
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Da diese Thematik von vielen Patienten nach wie vor als Tabu empfunden wird, ist gezieltes Nachfragen notwendig.
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Zur anamnestischen Evaluation sind keine Spezialkenntnisse notwendig. Schon das Ansprechen dieses Lebensbereichs kann beim Patienten unter Umständen diesbezüglich lange gehegte Bedenken lösen und weitere diagnostische Maßnahmen auf den Weg bringen.
Literatur beim Verfasser
Interessenskonflikte: keine