Hausarzt Medizin“Screening macht Sinn”

Die neue S3-Leitlinie zu alkoholbezogenen Störungen enthält auch kontroverse Empfehlungen, gerade im Bereich der hausärztlichen Versorgung. Professor Dr. Karl Mann vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, der wissenschaftliche Leiter der Leitlinienkommission, nimmt Stellung.

Der Hausarzt: Die erste deutsche S3-Leitlinie zu alkoholbezogenen Störungen ist jetzt seit einem halben Jahr in Kraft. Wie ist Ihre Zwischenbilanz?

Prof. Karl Mann: Die Leitlinie hat ein sehr lebhaftes Echo gefunden und wurde gerade auch in den Medien stark aufgegriffen. Wir sind mit der Resonanz zufrieden. Einige Punkte werden kontrovers diskutiert, insbesondere die Frage des Screenings und die des Therapieziels. Das war nicht anders zu erwarten, denn über diese Punkte haben wir auch in der Leitlinienkommission intensiv debattiert.

Hausärzte sehen Patienten mit Alkoholproblemen in vielen Fällen vergleichsweise früh. Welche Möglichkeiten gibt es, im Rahmen des hausärztlichen Alltags präventiv tätig zu werden?

Der Hausarzt kann in den frühen Phasen alkoholbezogener Störungen einiges machen, und er sollte das auch. Die Leitlinie empfiehlt zunächst einmal ein Screening mit einem Fragebogen. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.

Der aus zehn Fragen bestehende AUDIT-Fragebogen ist sehr gut evidenzbasiert. In der Hausarztpraxis besser umsetzbar sein dürfte die Kurzform, der AUDIT-C mit drei Fragen. Wenn das bei allen Patienten ab etwa 14 Jahren regelmasig alle ein bis zwei Jahre gemacht würde, dann hätte der Arzt ein sehr viel besseres Bild über das Konsumverhalten seiner Patienten und könnte gezielter aktiv werden.

Die DEGAM wendet sich in einem Minderheitenvotum gegen das Screening.

Die haben eine andere Auffassung, das stimmt. Das kann im Rahmen einer solch breit angesetzten Leitlinie schon vorkommen, und es wird dann auch entsprechend dokumentiert. Die DEGAM ist der Auffassung, dass Hausärzte mit einem flächendeckenden Screening überfordert sind und pladiert deswegen für eine Art Case-Finding aus dem normalen Versorgungsalltag heraus. Aus Sicht der Mehrheit der Leitlinienkommission reicht eine solche Diagnose von riskantem Konsum nicht aus. Dabei werden zu viele Kandidaten für eine Kurzintervention übersehen. Screening macht Sinn. Und ich persönlich denke auch, dass das in der Praxis umsetzbar ist. Die drei Fragen konnten in einen allgemeinen Gesundheitsfragebogen integriert werden, den viele Praxen ohnehin nutzen.

Wenn der Hausarzt in einem Screening einen Patienten mit riskantem Konsum identifiziert, was ist der nachste Schritt?

Es gibt hervorragende Evidenz fur die Wirksamkeit von Kurzinterventionen. Kurzintervention heist: Der Arzt spricht das Thema auf nicht wertende Weise an und empfiehlt, die Trinkmenge zu halbieren oder auf ein Drittel zu reduzieren. Das dauert drei Minuten und ist außerordentlich erfolgreich. Ergänzend könnte noch die gamma-GT bestimmt werden. Wenn die erhöht oder im oberen Normbereich ist, gibt das einen Hinweis auf erste Schädigungen, und das kann im Gespräch gut genutzt werden.

Eine andere, auch durch neue Pharmazeutika gespeiste Diskussion betrifft das Therapieziel, also absolute Abstinenz versus Trinkmengenreduktion. Wie positioniert sich die Leitlinie dazu?

Es gibt sehr gute Gründe, dass die Abstinenz bei Menschen mit schwerer Abhängigkeit an allererster Stelle steht, und das betonen wir auch sehr nachdrücklich. Wenn das nicht geht, und das ist neu, dann kann auch mit guter Evidenz eine Trinkmengenreduktion empfohlen werden.

Für den Hausarzt zahlenmäßig relevanter sind ja die Patienten mit leichter bzw. früher Abhängigkeit oder mit schädlichem Gebrauch. Wie sieht es hier mit den Opioidantagonisten aus?

Trinkmengenreduktion bedeutet nicht zwangsläufig Medikamente. Wir wissen seit 40 Jahren, dass wir mit Verhaltenstherapie eine Trinkmengenreduktion erreichen können, das ist gut belegt. Die ärztliche Empfehlung, die Trinkmenge zu reduzieren, steht an erster Stelle. Das gelingt bei 20 bis 30 Prozent der Patienten, auch bei jenen, die schon die Kriterien der Abhängigkeit erfüllen. Erst wenn diese Maßnahme keinen Erfolg hat, folgen entweder Medikamente oder die Überweisung an eine suchtmedizinische Beratungsstelle. Wer ein Medikament einsetzt, sollte die Wirksamkeit etwa einen Monat lang beobachten. Hilft es bis dahin nicht, kann es wieder abgesetzt und der Patient überwiesen werden.

Drei Fragen fur ein effizientes Screening auf riskanten Alkoholkonsum:

  • Wie oft nehmen Sie alkoholische Getränke zu sich?

  • Wenn Sie alkoholische Getränke zu sich nehmen, wie viel trinken Sie dann typischerweise an einem Tag?

  • Wie oft trinken Sie sechs oder mehr Standardglaser Alkohol bei einer Gelegenheit?

Auswertung: Pro Frage werden 0 bis 4 Punkte vergeben.

  • Frage 1: nie / kleiner als 1 Mal pro Monat / 2-4 Mal pro Monat /2-3 Mal pro Woche / mehr 4 Mal pro Woche.

  • Frage 2: 1 bis 2 / 3 bis 4 / 5 bis 6 / 7 bis 9/ mehr als 10.

  • Frage 3: wie Frage 1.

Die deutsche S3-Leitlinie empfiehlt einen Cut-off von 5 Punkten für Männer und 4 Punkten für Frauen.

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