Zunächst ist es herausfordernd, zu erkennen, ob ein Patient bald stirbt. Es gibt keine exakten Möglichkeiten, die Sterbephase zu bestimmen. Es ist eher klinische Erfahrung gefragt und das Achten auf zum Teil subtile Zeichen. Manchmal ist es eher ein „Bauchgefühl“. Insgesamt sind Teamentscheidungen hier „treffsicherer“ als Entscheidungen einzelner Akteure. Tabelle 1 enthält vage Zeichen, die auf einen baldigen Tod hindeuten können, aber letztlich alle vieldeutig sind.
Schmerzmedikation anpassen
Es kann in der Sterbephase sowohl ein geringerer als auch ein höherer Bedarf an Schmerzmedikamenten vorliegen. Deshalb ist eine Dosisanpassung unter engmaschiger Schmerzerfassung/-beobachtung zwingend erforderlich. Durch Stoffwechselfaktoren wie z.B. eine Hyperkalzämie, Ausdehnung der Grunderkrankung (z.B. Tumor) und vermehrte psychische Anspannung kann es zu einer Schmerzverstärkung kommen.
Die meist vorliegende Dehydratation führt zur vermehrten Endorphinausschüttung mit der Folge eines geringeren Schmerzmittelbedarfs. Deshalb ist die Dehydratation in der Sterbephase ein durchaus sinnvoller Vorgang. Die Verstoffwechselung und Elimination mancher Analgetika ist in der Sterbephase reduziert, was zu einer stärkeren Wirksamkeit führt.
Zusätzlich kommt es in der Sterbephase durch zunehmende körperliche Schwäche, Ausdehnung der Grunderkrankung häufiger zu (einer Zunahme der) Atemnot. In der Sterbephase geht die Fähigkeit, abzuhusten oft verloren, mit der Folge, dass eine Rasselatmung auftritt oder sich verstärkt. Durch Multiorganversagen und Ausdehnung der Grunderkrankung sind Delirien in der Sterbephase gehäuft anzutreffen.
Schmerzerfassung
Für die Schmerztherapie in der Sterbephase gelten die gleichen Grundprinzipien wie sonst in der Schmerztherapie. Schmerz ist auch in dieser Phase immer subjektiv, sprich: Das, was der Betroffene als Schmerz empfindet. Schmerz lässt sich daher auch in der Sterbephase nicht fremd einschätzen.
Schmerzerfassungen sollten sich daher auf die Einschätzung des Betroffenen konzentrieren. Dazu können Skalen, wie die Numerische Rangskala, bei der die Betroffenen die Schmerzstärke mit Zahlenwerten von 0 = kein Schmerz bis 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz oder die Verbale Rangskala, bei der vorgegebene Wörter wie „kein“, „leichter“, „mittelstarker“, „starker“, „sehr starker“, „unaushaltbarer Schmerz“ genutzt werden, um den Schmerz einzuschätzen.
Gelingt diese Selbsteinschätzung nicht mehr, so müssen Verhaltensmerkmale des Betroffenen, z.B. Stöhnen, verzerrte Mimik, angespannte Körperhaltung, Blutdruckanstieg, Pulsanstieg etc. genau beobachtet werden und die Veränderung dieser Merkmale auf eine (Erhöhung der) Analgetikagaben hin beobachtet werden.
Therapie nach Stufenschema
In der Schmerztherapie gilt auch in der Sterbephase das Stufenschema der WHO:
-
Auf Stufe 1 sind alle Nichtopioide eingeordnet, von denen nur Metamizol kontinuierlich subkutan verabreicht werden kann.
-
Auf Stufe 2 sind Opioide mit Ceilingeffekt wie Tramadol oder Tilidin zu finden, wobei Tramadol subkutan verabreicht werden kann.
-
Die meisten Opioide der Stufe 3 können auch subkutan verabreicht werden. Es sind alles starke Opioide, in der Regel ohne Ceilingeffekt, was die Handhabbarkeit in der Sterbephase verbessert, da bei Dosiserhöhungen nicht mehr im Stufenschema gewechselt werden muss. So können Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl und Levomethadon problemlos subkutan verabreicht werden. In Großbritannien bestehen für diese Applikationsform in der Sterbephase langjährige Vorerfahrungen, denn dort wird in den Pathways für die Sterbephase (Liverpool Care Pathway, Best Practice Pathway) die kontinuierliche subkutane Gabe der Medikamente zur Schmerz- und Symptombehandlung in der Sterbephase schon länger präferiert.
Viele fürchten die atemhemmende Wirkung der Opioide. Da Schmerz ein sehr starker Atemantrieb ist, kann man bei noch bestehendem „Restschmerz“ kaum eine Atemlähmung auslösen. Man merkt die durch eine erhebliche Überdosierung ausgelöste Atemhemmung auch an anderen Überdosierungszeichen, z.B. verminderte Bewusstseinslage.
Subkutane Infusion
Die subkutane Infusion erlaubt auch in fortgeschrittenen Krankheitsphasen bei den dann häufig bestehenden Schwierigkeiten zu schlucken eine schonende Gabe der meisten in der Palliativmedizin üblichen Schmerzmedikamente. Eingreifende und ärztliche Anwesenheit erfordernde Anlagen von Magensonde oder Venenverweilkathetern oder -kanülen können und sollten unterbleiben. Die Subkutannadel kann von einer Pflegekraft gelegt werden und muss meist nur einmal pro Woche erneuert werden.
Schmerzpflaster haben in der Sterbephase den Nachteil einer zum Teil schlechten und wechselnden Durchblutung, was die transdermale Resorption schwankend und unzuverlässig machen kann.
Typische Einstichstellen sind das mittlere äußere Oberschenkeldrittel, die mittlere äußere Oberarmregion, die Bauchdecke (nicht direkt am Bauchnabel) und oberhalb der Brust (Tabelle 2). Vom Autor selbst wird die Anlage oberhalb der Brust bevorzugt, da der Patient so normale Straßenkleidung tragen kann. Der Infusionsschlauch kommt unter dem Hals aus der Kleidung heraus. Bei Verwendung kleiner Pumpen mit Gasdruck ist der Betroffenen völlig mobil.
Es können sowohl Butterfly-Kanülen als auch kleine Venenverweilkanülen angelegt werden. Zu achten ist auf eine streng subkutane Injektion. Mit einem durchsichtigen Pflaster lassen sich Entzündungszeichen an der Einstichstelle frühzeitig feststellen. Die Subkutannadel darf nicht bei schweren Gerinnungsstörungen, in ein Lymphödem, in die Nähe von Aszites oder exulzerierenden Wunden gelegt werden. Über die Subkutannadel können problemlos 500 bis 1000 ml Flüssigkeit gegeben werden. Am besten eignen sich Ringerlösung oder Glukose (5 Prozent). Da die Flüssigkeit nicht direkt ins Venensystem gelangt, kann eine plötzliche Überwässerung nicht passieren. Das Fettgewebe dient sozusagen als Filter.
Die meisten Opioide (Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Levomethadon, Fentanyl) können problemlos subkutan verabreicht werden (Tabelle 3). Auch wenn dies zum Teil in Deutschland eine Off-Label-Anwendung ist, liegen international fundierte und gut publizierte Erfahrungen mit diesem Konzept vor. Falls Medikamente als Dauerinfusion gegeben werden, so ist eine Steuerung über eine Infusionspumpe oder eine andere Form der Flussregulierung erforderlich.
Fazit
Bei der Schmerzerfassung und Schmerztherapie in der Sterbephase sind einige Besonderheiten zu beachten:
-
Betroffene sind oft schläfrig oder delirant und können daher nur schlecht Angaben zu ihren Schmerzen machen. Schmerzen können daher unterschätzt werden.
-
Schmerzen können in der Sterbephase zu- oder abnehmen, da einige endogene Mechanismen (z.B. Endorphinausschüttung im Rahmen der terminalen Dehydratation) greifen.
-
Betroffene können häufig in der Sterbephase nicht mehr gut schlucken, weshalb nach internationalen Standards die kontinuierliche subkutane Schmerzmittelgabe für diese Phase der Goldstandard ist.
Literatur: Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin. Thieme Verlag Stuttgart 2015.
Mögliche Interessenskonflikte: Der Autor hat keine deklariert.