“Ärzte brechen ständig Tabus”, sagt Prof. Anne Simmenroth. Das zeige sich bereits bei der Anamnese. Sei es die Frage nach dem Stuhlgang oder nach den sexuellen Gewohnheiten – Ärzte sind geübt darin, Tabus zu thematisieren. Aber wie reagieren, wenn Patienten von sich aus über etwas sprechen möchten, das ihnen unangenehm ist?
Tabus erkennen
Was Patienten als Tabu empfinden, hängt von vielen Faktoren ab, etwa vom kulturellen Hintergrund, dem Lebensalter und der Sozialisation in der eigenen Familie. Häufig tabuisiert werden Themen, die mit Sexualität zusammenhängen. Weitere gängige Beispiele sind Suchterkrankungen, Essstörungen und psychische Erkrankungen wie Zwangsstörungen oder beginnende Demenz.
Verschiedene Signale können darauf hinweisen, dass Patienten ein Gesprächsthema unangenehm ist. Typisch sind etwa die Vermeidung von Blickkontakt, Bagatellisieren und Witzeln. Manche Patienten zögern das Ende der Konsultation hinaus, gefolgt von einem “Was ich auch noch sagen wollte…”. Deuten Ärzte diese Signale richtig, können sie entsprechend reagieren. Dazu gab Simmenroth bei der practica einige Ratschläge.
Tipps für die Gesprächsführung
Loben: Loben Sie Patienten, wenn sie ein Thema ansprechen, das ihnen sichtlich unangenehm ist. Das kann schon zu Beginn des Gesprächs geschehen, eventuell gefolgt von einem “Möchten Sie ein bisschen mehr erzählen?”. Betonen Sie Ihre Professionalität im Umgang mit diesen Themen und Ihre Schweigepflicht, die für den nötigen Schutz sorgt.
Ideale Gesprächsbedingungen schaffen: Das Gespräch sollte ungestört und ohne Zeitdruck ablaufen – gegebenenfalls kann es auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Unterbrechen Sie Patienten nicht und lassen Sie auch Gesprächspausen zu.
Paraphrasieren und Spiegeln: Paraphrasieren bedeutet, dass Ärzte die Worte der Patienten mit ihren eigenen Worten wiedergeben; Spiegeln, dass sie die Emotionen, die bei ihnen angekommen sind, zum Ausdruck bringen (“Ich merke, dass Sie das Thema belastet”). Paraphrasieren und Spiegeln sind für den Gesprächsfortgang sehr hilfreich.
Ice-Breaker: Vermitteln Sie Patienten, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind. Phrasen wie “Andere Patienten schildern häufig, dass…” oder “Wir sehen häufig Patienten, die… Ist das bei Ihnen auch so?” erleichtern das Weitersprechen.
Abschließend Tabuzone verlassen: Ist das Gespräch über das “Tabu” beendet, empfiehlt es sich, noch ein paar Worte zu einem für die Patienten angenehmeren Thema zu verlieren. Bedanken Sie sich außerdem bei den Patienten für das entgegengebrachte Vertrauen.
Wenn Patienten schweigen
Nicht immer schaffen es Patienten, belastende Themen anzusprechen. Haben Ärzte eine entsprechende Vermutung, können sie diese selbst zur Sprache bringen: Oft wünschen sich Patienten insgeheim, dass Ärzte das “Tabuthema” erwähnen. Dies kann zum Beispiel bei Anorexie und Suizidgedanken der Fall sein, aber auch bei sexuellen Problemen und Kinderlosigkeit.
Quelle: Simmenroth A, Seminar: Kommunikation über “Tabu-Themen” in der hausärztlichen Praxis; 24.10.2019, Practica Bad Orb