Seit mittlerweile zwei Jahren ist sie allgegenwärtig: Die Angst, sich und andere mit dem Coronavirus anzustecken, Angst vor einem schweren Krankheitsverlauf, Sorgen, dass Angehörige versterben oder gar man selbst. Durch die Medien gingen täglich in hoher Frequenz Bilder von überlasteten Intensivstationen.
Als später die ersten Impfstoffe auf den Markt kamen, kam die Angst, keinen Termin zu bekommen, während andere aus Angst vor Nebenwirkungen und Spätfolgen die Impfung ablehnten.
Neben all dem flößten Quarantäneanordnungen, Schul- und Kitaschließungen, Maskenpflicht und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zusätzlich Angst ein – nicht zuletzt wirtschaftliche Existenzängste und die Angst vor dem Jobverlust. Ab Februar kamen die Kriegshandlungen in der Ukraine hinzu – mit vielen neuen Sorgen und einer ganz neuen Dimension an Bedrohung.
Auch wenn diese sogenannten “Realängste” an sich nicht als “krank” gelten – auf Dauer können sie krank machen. Wichtig ist daher ein gesundheitsfördernder Umgang damit.
Blick auf die Psyche
Prof. Andreas Ströhle von der Spezialambulanz für Angsterkrankungen an der Berliner Charité empfiehlt Hausärztinnen und Hausärzten, neben der körperlichen Gesundheit den Blick verstärkt auf die psychische Befindlichkeit zu lenken: “Ob Patientinnen und Patienten unter Antriebslosigkeit, psychischer Schwäche oder einer verminderten Belastbarkeit leiden und inwiefern Erkrankungen oder die Folgen von Erkrankungen Einflüsse auf andere Lebensbereiche haben”.
Die Angstambulanz an der Berliner Charité hat eine Spezialisierung auf Panikstörung, Platzangst und auf soziale Ängste und stellt auch für Menschen mit anderen Ängsten ein breites Beratungsangebot zur Verfügung. Seit Beginn der Pandemie wurde hier das Angebot für Videogespräche und Videotherapien ausgeweitet:
“Das wurde gut angenommen”, sagt Ströhle und ist sich dabei bewusst, dass das in anderen medizinischen Bereichen nicht ohne weiteres zu realisieren ist: “Ich denke in der Hausarztpraxis ist es deutlich schwieriger, wenn körperliche Untersuchungen durchgeführt werden müssen und man sich auch einen Eindruck machen möchte vom allgemeinen Status des Patienten.”
Was hilft gegen die Angst?
Doch wie können Hausärzte und Hausärztinnen bei der Bewältigung von Ängsten helfen? Ströhle sieht sie in einer Vermittlerrolle: Je mehr Informationen zu einer Bedrohung vorliegen, umso weniger bedrohlich sei sie: “Hausärzte und Hausärztinnen sollten Menschen dabei unterstützen, sich zu informieren, um den richtigen Umgang mit der potenziellen Gefahr, z.B. der Pandemie zu finden und idealerweise die richtigen Konsequenzen zu ziehen – wie zum Beispiel, sich impfen zu lassen, Kontakte zu reduzieren oder sich an die Regeln zu halten, die sich inzwischen etabliert haben.”
Weitere Orientierung bieten folgende Tipps:
- “Aktiv statt passiv” Was Angst auslöst: Wenn man sich in einer Situation befindet, die einem das Gefühl vermittelt, nichts ändern zu können. Aber jeder von uns hat irgendwelche Begabungen oder kann Irgendwas, was er oder sie einbringen kann”, sagt die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Prof. Heide Glaesmer von der Uniklinik Leipzig. Sie empfiehlt, aktiv zu werden – mit Blick auf die Entwicklungen in der Ukraine z.B. zu spenden, auf eine Anti-Kriegsdemo zu gehen oder dabei zu helfen, Spenden zu organisieren, den ankommenden Geflüchteten zu helfen usw. Im Blick auf die noch immer andauernde Pandemie könnte es bedeuten, sich weiterhin an Schutzmaßnahmen zu halten.
- Realitätscheck machen “Ängste sind wirklich etwas ganz Normales und letztlich gesund”, sagt Ströhle und nennt hilfreiche Fragen, um den Realitätsabgleich in Gang zu setzen: “Die allererste Frage sollte immer sein: ‚Wovor habe ich im Moment Angst? Was bedroht mich? Was ist die Situation?‘ Also erstmal die Analyse zu machen und dann im zweiten Schritt zu überlegen: ‚Ok, wie groß ist die Bedrohung wirklich? Welche Konsequenzen sollte ich ziehen, für mein Leben, für das von anderen Menschen und wie sollte ich am besten auf die Bedrohung reagieren?‘ Dann kann Angst eine sehr wichtige Funktion im Leben haben.”
- Ablenkung, soziale Kontakte & Selbstfürsorge “Alles, was ablenkt und einen ins Handeln bringt, hilft”, so Glaesmer. Ihr Kollege von der Berliner Charité sieht das ähnlich: “Die Pandemie hat gezeigt, dass allgemeine, gesundheitsförderliche Aktivitäten und Verhaltensweisen besonders in Ausnahmesituationen wichtig sind. Selbst, wenn soziale Kontakte unter der veränderten Situation anders aussehen. Dadurch ist es möglich, trotz einer Bedrohung ein gewisses Gleichgewicht beibehalten zu können”, sagt Ströhle. Aktivitäten, die die Aufmerksamkeit auf schöne Dinge lenken und aktiv Selbstfürsorge zu betreiben, stärken letztlich die Widerstandsfähigkeit in Bezug auf die Angst.
- Sport Ein wertvoller Tipp für mehr Lebensfreude: Sportliche Betätigung hilft gegen Ängste. “Mit der Pandemie haben wir eine Online-Studie begonnen zur Frage, welche Ängste beschäftigen denn die Menschen im Rahmen der Pandemie und wie verändern sich diese Ängste im Lauf der Zeit. Und wir haben eine vergleichende Studie gemacht mit behinderten und nicht behinderten Athleten und Athletinnen, wo wir zeigen konnten, dass diese Gruppe deutlich weniger belastet ist, als Menschen, die keinen Sport treiben”, erzählt Ströhle.
- Informiert sein – aber mit Maß Seriöse Informationen sind wichtig, um konkrete Bedrohungslagen einzuschätzen und damit umzugehen. Allerdings sei es wichtig, auf das richtige Maß zu achten. “Nicht den ganzen Tag Nachrichten schauen – einmal reicht!” rät Glaesmer, sich bewusst einer Überflutung mit negativen Informationen zu entziehen. Eine exzessive Mediennutzung könne sich zu einem Problem entwickeln, da sich das Stresslevel im Körper dadurch auf einem Dauerhoch befinde und auch das Gefühl vermittelt werde, dass nur noch Schlimmes passiere.
- Reden ist Gold Reden hilft. Besonders wichtig sei dies bei Ängsten in Bezug auf die Kriegshandlungen für Ältere, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben und nun möglicherweise durch die Bilder im Fernsehen retraumatisiert werden könnten, sagt Glaesmer. Viele hätten nie über ihre Erlebnisse und Ängste sprechen können. Und auch Jüngeren hilft es, sich auszutauschen.
Professionelle Hilfe für die Seele
“Nicht jedes Symptom und nicht jede Belastung ist pathologisch”, so Ströhle. “Aber wenn es dazu führt, dass Menschen in ihrer Aktivität eingeschränkt sind und aufgrund von Ängsten oder Depressivität nicht die Dinge machen können, die sie eigentlich machen möchten, kann professionelle Hilfe sinnvoll sein”.
Hausärztinnen und Hausärzte sollten Mut machen und Wege aufzeigen. Besonders interessant: Sowohl Ströhle als auch Glaesmer schätzen ein, dass die meisten Menschen, die jetzt psychotherapeutische Hilfe benötigen, bereits vor der Pandemie belastet waren oder sich in einer schwierigen Situation befanden und seelische Leiden durch wegfallende Routinen und die veränderte Situation nun stärker hervortreten.