Serie "Cochrane-Evidenz für die Hausarztpraxis"Antidepressiva gegen Winterdepressionen?

Beugt eine antidepressive Therapie Winterdepressionen vor? Die Evidenzlage ist eher dünn, zeigt ein Cochrane Review. Hausärzte sollten vor allem die Patienten einbeziehen.

Wie lassen sich Winterdepressionen medikamentös therapieren?

Eine Cochrane Übersichtsarbeit [6] hat die Evidenzbasis der medikamentösen Therapie bei Winterdepressionen untersucht. Dabei geht sie auf Biasformen (S. 28) ein und ist in seiner Kernaussage relevant für Hausärzte. Wir stellen das Abstract zum Review „Antidepressiva der zweiten Generation zur Vorbeugung von saisonal abhängiger Depression bei Erwachsenen“ auf Deutsch vor.

Hintergrund

Winterdepressionen sind jahreszeitenabhängig wiederkehrende Depressionen, die am häufigsten im Herbst oder Winter auftreten und im Frühjahr wieder vergehen. Ihre Häufigkeit variiert je nach Breitengrad zwischen 1,5 und 9 Prozent. Aufgrund des vorhersehbaren, saisonalen Verlaufs der Winterdepression ist die Vorbeugung einer neuerlichen Winterdepression besonders vielversprechend. Dieser Review – einer von vier Reviews der Wirksamkeit und Sicherheit von Interventionen, um Winterdepressionen vorzubeugen – fokussiert sich auf Antidepressiva der Zweiten (second) Generation (SGA).

Ziele

Dieser Review soll die Wirksamkeit und Sicherheit von SGA (im Vergleich zu anderen SGA, Placebo, Lichttherapie, Melatonin oder Agomelatin, psychologische Therapien oder Lebensstil-Interventionen) zur Vorbeugung von Winterdepressionen und Verbesserung der Patienten-relevanten Endpunkte bei Erwachsenen mit Winterdepressionen in der Anamnese beurteilen.

Literatursuche

Eine Suche im Specialised Register of the Cochrane Depression, Anxiety and Neurosis Review Group (CCDANCTR) umfasste alle Jahre bis 11. August 2015. Die CCDANCTR enthält Berichte von randomisierten, kontrollierten Studien aus EMBASE (1974 bis heute), MEDLINE (1950 bis heute), PsycINFO (1967 bis heute) und vom Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL). Darüber hinaus suchten die Autoren im Cumulative Index to Nursing and Allied Health Literatur, Web of Knowledge, in der Cochrane Library und in der Allied and Complementary Medicine Database (bis 26. Mai 2014). Zudem wurde eine Suche nach „grauer Literatur“ durchgeführt und von Hand die Referenzlisten der eingeschlossenen Studien und einschlägigen Reviews durchsucht.

Auswahlkriterien

Im Sinne der Effizienz, schlossen die Autoren randomisierte, kontrollierte klinische Studien (RCT) ein, welche Erwachsene mit einer Winterdepression in der Vorgeschichte einschlossen, die zu Beginn der Studie symptomfrei gewesen sind. Bezüglich der unerwünschten Ereignisse, planten sie den Einschluss von nicht-randomisierten Studien. Studien, die SGA untereinander oder mit Placebo, Lichttherapie, Psychotherapie, Melatonin, Agomelatine oder Lebensstilveränderung verglichen, wurden eingeschlossen. Die Autoren planten auch den Vergleich zwischen SGA in Kombination mit einer der Kontrollinterventionen und der Kontrollintervention als Monotherapie.

Datenerhebung und -analyse

Zwei Review-Autoren screenten Abstracts und Volltexte und bewerteten das Risiko für Bias entsprechend dem Cochrane „Risk of Bias“ Tool (s. Kasten). Unterschiede in der Bewertung wurden durch Konsens oder Konsultation einer dritten Partei gelöst. Zwei Review-Autoren führten unabhängig voneinander Datenextraktion und die Bewertung des Risikos für Bias der eingeschlossenen Studien durch. Wenn die Daten ausreichten, erfolgte mit dem Random-Effects Modell (Mantel-Haenszel) eine Meta-Analyse. Die Autoren untersuchten die statistische Heterogenität mit Hilfe von Chi2 und Cochran Q. Um das Ausmaß der Heterogenität zu schätzen, nutzten sie I2 und untersuchten mögliche Quellen der Heterogenität mittels Sensitivitätsanalysen oder Subgruppenanalysen. Publikationsbias wurde anhand von Funnel Plots untersucht. Doch angesichts der geringen Zahl von Studien in den Meta-Analysen der Autoren hatten diese Tests eine geringe Sensitivität, um Publikationsbias zu erkennen. Die Qualität der Evidenz wurde nach dem GRADE (Grades of Recommendation, Assessment, Developement and Evaluation)-Ansatz beurteilt. Wesentliche Ergebnisse Die Autoren identifizierten 2.986 Zitate nach De-Duplizierung von Suchergebnissen und schlossen 2.895 im Titel- und Abstract-Screening aus. Sie untersuchten 91 Publikationen auf Einschluss in den Review, von denen vier Publikationen (drei RCT) mit Daten von 1.100 Personen Einschlusskriterien für diesen Review erfüllten. Alle drei RCT hatten methodische Einschränkungen aufgrund der hohen Ausfallraten. Insgesamt deutet Evidenz von moderater Qualität darauf hin, dass Bupropion XL eine wirksame Intervention ist, um einer erneuten depressiven Episode bei Patienten mit Winterdepression in der Vorgeschichte vorzubeugen (relatives Risiko (RR) 0,56, 95-Prozent-Konfidenzintervall (KI) 0,44 bis 0,72, drei RCT, 1.100 Teilnehmer). Allerdings birgt Bupropion XL im Vergleich zu Placebo ein größeres Risiko für Kopfschmerzen (moderate Qualität der Evidenz), Schlaflosigkeit und Übelkeit (niedrige Qualität der Evidenz). Die Zahl von Patienten, die für ein positives Ergebnis behandelt werden müssen („number needed to treat for benefit“, NNTB), variiert je nach Baseline-Risiko. Für eine Population mit jährlichen Rezidivraten von 30 Prozent beträgt die NNTB 8 (95 Prozent KI 6 bis 12). Für eine Population mit jährlichen Rezidivraten von 40 und 50 Prozent, betragen die NNTB 6 (95 Prozent KI 5 bis 9) und 5 (95 Prozent KI 4 bis 7). Die Autoren fanden weder Studien zu anderen SGA noch Studien, die SGA mit anderen Interventionen von Interesse (wie Lichttherapie, psychologische Therapien, Melatonin oder Agomelatin) verglichen. Schlussfolgerungen der Autoren Die verfügbare Evidenz zeigt, dass Bupropion XL eine wirksame Intervention sein kann, um einem erneuten Auftreten von Winterdepressionen vorzubeugen. Dennoch profitieren selbst in einer Population mit einem erhöhten Risiko für Winterdepressionen vier von fünf Patienten nicht von einer präventiven Behandlung mit Bupropion XL und sind dem Risiko von Schäden ausgesetzt. Ärzte müssen mit den Patienten Vor- und Nachteile der vorbeugenden SGA-Behandlung diskutieren und könnten andere potenziell wirksame Interventionen in Betracht ziehen, die ein geringeres Risiko von unerwünschten Ereignissen mit sich bringen. In Anbetracht der fehlenden Evidenz aus Vergleichen mit anderen Therapien, sollte die Entscheidung über eine vorbeugende Behandlung von saisonaler Depression und die Art der Behandlung stark von den Präferenzen des Patienten abhängen. Künftige Forscher müssen die Wirksamkeit und das Risiko von Schäden von anderen Antidepressiva der Zweiten Generation als Bupropion zur Vorbeugung von Winterdepressionen untersuchen. Die Forscher sollten auch Nutzen und Schaden von pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen vergleichen.

Relevanz für die Hausarztpraxis

Für die hausärztliche Praxis empfiehlt es sich, insbesondere bei der antidepressiven Therapie der saisonalen Winterdepression alternative Behandlungsmöglichkeiten (beispielsweise Lichttherapie, Psychotherapie oder Lebensstiländerung) und vor allem den Patientenwunsch mit einzubeziehen. Denn die Evidenzlage lässt nicht auf eine einzig wirksame medikamentöse Behandlung schlussfolgern. Zudem ist diese Therapie teils mit relevanten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Übelkeit verbunden.

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur:

  • Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA, Rosenthal R. Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. N Engl J Med. 2008 Jan 17;358(3):252-60.
  • Golder S, Loke YK, Wright K, Norman G. Reporting of Adverse Events in Published and Unpublished Studies of Health Care Interventions: A Systematic Review. PLoS Med. 2016 Sep 20;13(9):e1002127.
  • Chan AW, Song F, Vickers A, Jefferson T, Dickersin K, Gøtzsche PC, Krumholz HM, Ghersi D, van der Worp HB. Increasing value and reducing waste: addressing inaccessible research. Lancet. 2014 Jan 8;383(9913):257-66.
  • artlehner G, Nussbaumer B, Gaynes BN, Forneris CA, Morgan LC, Kaminski-Hartenthaler A, Greenblatt A, Wipplinger J, Lux LJ, Sonis JH, Hofmann J, Van Noord MG,
  • Winkler D. Second-generation antidepressants for preventing seasonal affective disorder in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 11. Art. No.: CD011268. DOI: 10.1002/14651858.CD011268.pub2
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