Dr. med. Ernst Tabori ist Ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene (BZH), Freiburg
Worauf achten Sie, wenn Sie beurteilen sollen, wie gut es in einer Hausarztpraxis um die Hygiene steht?
Tabori: Da gibt es ganz allgemeine Aspekte, etwa wie Medikamente, Spritzen und anderes Verbrauchsmaterial gelagert werden, ob es für kühlpflichtige Medikamente einen eigenen Kühlschrank gibt oder ob die Arbeitsabläufe so organisiert sind, dass sie sich nicht gegenseitig behindern, sowie allgemein die Ausstattung der Praxis, zum Beispiel die Art der Bodenbeläge. Vor allem aber würde ich auf die Einhaltung der Handhy-giene schauen: Gibt es ausreichend Möglichkeiten, sich die Hände zu waschen und vor allem zu desinfizieren? Wie gut sind Desinfektionsmittelspender erreichbar, und – entscheidend – werden sie auch regelmäßig entsprechend den Empfehlungen genutzt?
Empfehlungskonform heißt …
… unter anderem vor und nach jedem Patientenkontakt bzw. zwischen zwei Patienten die Hände desinfizieren. Außerdem muss jede Praxis einen Hygieneplan haben, in dem festgehalten ist, was zu tun ist, wenn zum Beispiel Blut auf den Boden tropft, sich ein Patient übergibt, oder wie mit einem Patienten umzugehen ist, der mit einem multiresistenten Erreger wie MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) oder ESBL-Darmbaktierien (Extended-Spektrum-Betalaktamasen-bildende Enterobakterien) kommt. Welches Mittel ist für die Wischdesinfektion zu verwenden, in welcher Konzentration? Das schönste Poster eines Herstellers über die Anwendung von Desinfektionsmitteln nützt aber nichts, wenn die Praxis inzwischen Produkte eines anderen Herstellers verwendet.
Alle Mitarbeiter müssen wissen, wo der Hygieneplan zu finden ist und was darin festgeschrieben ist. Die Einweisung muss bei der Einstellung eines Mitarbeiters erfolgen und einmal jährlich aufgefrischt – und im Zeitalter des QM dokumentiert – werden.
Wann soll man die Hände waschen, wann ist Desinfizieren sinnvoller?
Primär ist die Händedesinfektion zu empfehlen. Waschen ist routinemäßig vor Arbeitsbeginn, nach der Toilette und ansonsten gezielt dann sinnvoll bzw. nötig, wenn eine Verunreinigung abgewaschen werden soll. Meistens macht man sich in der Praxis die Hände aber nicht schmutzig, sondern es geht im medizinischen Bereich beim Umgang mit Patienten darum, die Keimlast auf der Haut in kurzer Zeit wirksam zu verringern, sodass keine Infektionsübertragung stattfinden kann. Hierzu sind alkoholische Desinfektionsmittel nach wie vor unübertroffen. Wichtig ist, dass man die Hände konsequent über 30 Sekunden desinfiziert und insbesondere Fingerspitzen, Daumen und Fingerzwischenräume einbezieht.
Zu beachten ist ferner, dass keine Ringe getragen werden und die Fingernägel kurz und sauber sind und kein Nagellack aufgetragen wurde. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) hat in der kürzlich herausgegebenen Empfehlung „Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens“ erneut betont, dass insbesondere das Tragen künstlicher und gegelter Fingernägel verboten ist, weil diese wiederholt als Quelle nosokomialer Infektionen identifiziert wurden. Außerdem beeinträchtigen künstliche Nägel den Erfolg der Händehygiene und erhöhen die Perforationsgefahr für Einmalhandschuhe. Der Praxisinhaber ist dafür verantwortlich, dass diese Vorschriften im Praxisalltag konsequent eingehalten werden.
Welche rechtlichen Folgen kann ein Verstoß gegen Hygieneregeln haben, die in Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben sind?
Entwickelt sich nach einer Behandlung, zum Beispiel nach einem Verbandwechsel, eine Wundinfektion und stellt sich heraus, dass gegen Hygienestandards verstoßen worden ist – etwa weil es in der Praxis keine oder zu wenige Händedesinfektionsmittelspender gibt –, führt das Aufdecken dieses Verstoßes fast automatisch zur Haftung des Arztes. Laut Bundesgerichtshof (BGH) hat die Nichteinhaltung von Hygienestandards eine Beweislastumkehr zur Folge. Hygienemängel werden als „voll beherrschbare Risiken“ eingestuft, und zwar unabhängig davon, ob die Infektion tatsächlich durch die Behandlung verursacht worden ist, denn nach Ansicht des BGH muss der Fehler den Behandlungsschaden weder nahelegen noch wahrscheinlich machen. Welche Dynamik solch eine Urteilsbegründung hat, muss nicht explizit betont werden.
Sollte zum Schutz vor Infektionen darauf verzichtet werden, den Patienten die Hand zu geben?
Jemanden bei der Begrüßung oder Verabschiedung die Hand zu geben, ist nach meinem Empfinden ein so wichtiger kultureller Akt, dass der Arzt nur im gegenseitigen Einverständnis mit dem Patienten darauf verzichten sollte, oder wenn der Patient von sich aus lieber nicht die Hand geben möchte. Allerdings ist diese Frage meiner Meinung nach zweitrangig, weil entscheidend ist, dass nach jedem Patientenkontakt die Hände korrekt desinfiziert werden müssen.
Keime können nicht nur zwischen Praxispersonal und Patienten übertragen werden, sondern auch zwischen Patienten, etwa im Wartebereich. Wie stark keimbelastet sind Zeitschriften oder Spielsachen?
Dieses Risiko lässt sich reduzieren, wenn im Eingangsbereich der Praxis oder im Wartezimmer ein Spender zur Händedesinfektion angebracht ist und die Patienten aufgefordert werden, ihn beim Betreten und Verlassen der Praxis zu benutzen – wie das in vielen Krankenhäusern bereits praktiziert wird. Das kann man humorvoll gestalten, etwa durch einen Satz in der Art „Keime müssen draußen bleiben“.
Offensichtlich verschmutzte Zeitschriften müssen entfernt werden. Doch halte ich die Gefahr, sich an Zeitschriften Keime in infektionsauslösender Dosis zu holen, für geringer als vielfach vermutet. Das gilt umso mehr, wenn sich die Patienten die Hände beim Kommen und Gehen desinfizieren. Spielsachen können dagegen problematisch werden, vor allem wenn Kleinkinder sie in den Mund nehmen. Deswegen sollten nur Spielsachen gewählt werden, die gut – am besten maschinell – aufbereitet werden können. Da man Spielsachen jedoch schwerlich nach jeder Verwendung desinfizieren kann, sollte man die Eltern bevorzugt dazu anhalten, für ihre Kinder das Lieblingsspielzeug von zu Hause mitzubringen. Oder man legt sich zumindest für die Infektionshochzeiten Einmalspielzeug zu, das die Kinder nachher mitnehmen dürfen.
Was sollte von einem Praxisteam speziell beachtet werden, wenn gerade wieder eine Erkältungswelle rollt?
Die klassischen Erkältungsviren haben es bekanntlich auf die Schleimhäute der Atemwege abgesehen. Neben konsequenter Händedesinfektion sollte man unbedingt darauf achten, sich nicht oder so selten wie möglich an bzw. in die Nase zu fassen oder mit den Fingern im Auge zu reiben. Wie wir wissen, können die Viren vom Auge über den Tränen-Nasen-Kanal auf kurzem Weg an ihr Ziel gelangen.
Darüber hinaus ist besonders wichtig, dass jedes Mitglied im Praxisteam einen kompletten Impfschutz hat. Dazu gehört eine vollständige Grund-immunisierung gegen die typischen impfpräventablen Infektionskrankheiten, wie sie die STIKO* empfiehlt, beispielsweise Windpocken, Masern, Diphtherie, Mumps, Röteln und Pertussis, um die wichtigsten zu nennen. Ganz wichtig ist außerdem die jährliche Grippeimpfung. Damit schützt man sich selbst und sein privates Umfeld. Da man Infektionen auch unbemerkt durchmachen und dabei unwissentlich zur Ansteckungsquelle werden kann, trägt konsequentes Impfen wesentlich zum Eindämmen gefährlicher Infektionen bei. Untersuchungen konnten belegen, dass die Personalimpfung ein wirksamer zusätzlicher Infektionsschutz für Patienten ist. Im Übrigen hat sich mit dem Präventionsgesetz, das als Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes seit 2015 gilt, die Rechtslage insoweit geändert, dass medizinische Einrichtungen die Einstellung von Beschäftigten vom Bestehen eines erforderlichen Impf- und Immunschutzes abhängig machen dürfen**. Meiner Meinung nach ist es jedoch entscheidend wichtig, dass der Praxisinhaber ein gutes Vorbild ist.
Welche Regeln gelten für das Reinigungsteam, müssen die Toiletten regelmäßig desinfiziert werden?
Die Praxisräume sind gründlich mit einem normalen milden Reinigungsmittel zu putzen. Eine Wischdesinfektion – keine Sprühdesinfektion – von Flächen ist immer dann erforderlich, wenn etwas mit potenziell infektiösem Material in Kontakt gekommen ist. Routinemäßig müssen Arbeitsflächen, auf denen Injektionslösungen vorbereitet werden, wischdesinfiziert werden. Entscheidend für die Wirksamkeit der Wischdesinfektion ist, dass die Lösung genau nach Vorgabe mit dem Messbecher dosiert wird und nicht etwa nach der „Schussmethode“. Die Toiletten gelten vielen Patienten als die Keimquelle schlechthin. Studien haben aber gezeigt, dass die Keimdichte – vor allem auch der Anteil an koliformen Erregern – auf einem Toilettensitz um Größenordnungen niedriger ist als etwa in einem Spülbecken oder einem Küchenschwamm. Entscheidend ist, dass man sich nach jedem Benutzen der Toilette die Hände gründlich wäscht. Auch hier sollte ein Desinfektionsmittelspender zur Verfügung stehen.
*http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2016/Ausgaben/34_16.pdf?__blob= publicationFile
**http://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/praeventionsgesetz.html