Berlin. Hausärzte könnten der zentrale Faktor sein, um die Impfquoten in Deutschland zu erhöhen. Das sagten mehrere Experten bei einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates, der sich in Berlin mit der Impfpflicht beschäftigte. Die Experten betonten dabei unisono, dass zu wenig Menschen in Deutschland geimpft seien. Dem könne mit einer Impfpflicht wahrscheinlich aber nur bedingt begegnet werden. Besser sei es, Patienten aufzuklären – und besonders wichtig seien dafür die Hausarztpraxen.
Laut Prof. Claude Muller, dem Direktor des Europäischen Referenzzentrums für Masern und Röteln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Luxemburg, liegt “Deutschland im schlechteren Mittelfeld”, geht es um die Impfquote bei Masern. Nährboden für impfkritische Haltungen böten in Deutschland weit verbreitete anthroposophische Konzepte, Muller sprach in diesem Zusammenhang von “Steiner-Gruppen”. Zu einer eingefleischten Impfgegnerschaft führe das aber nur bei einer zu vernachlässigenden Minderheit: Hauptsächlich seien die Impflücken in Deutschland auf “opportunistische Verweigerer” zurückzuführen, die keine Zeit investieren wollten oder schlicht nur Spritzen fürchteten.
Diese Patienten müssten die Hausärzte in den Blick nehmen, da sie am ehesten von Impfungen überzeugt werden könnten. Allerdings gebe es auch Fälle, in denen die Ärzte die Impfgegner seien, sagte Muller. So begründete ein Drittel der Impfverweigerer in der Schweiz seine Haltung mit entsprechenden ärztlichen Empfehlungen, berichtete er aus einer WHO-Umfrage: “Es gibt wenige, aber laute Impfgegner im Gesundheitsbereich, vor allem in der Alternativmedizin.”
Kritik an “nachlässiger Impfpolitik”
Muller sprach sich nicht für eine Impfpflicht aus, wohl aber für eine stärkere Verpflichtung der Ärzte, auf Impfungen bei Patienten hinzuwirken. Die Politikwissenschaftlerin Dr. Katharina Paul, die sich an der Uni Wien mit Maßnahmen beschäftigt und ebenfalls vom Ethikrat angehört wurde, beklagte eine nachlässige Impfpolitik in Deutschland und Österreich. In beiden Ländern verließe man sich darauf, dass Ärzte oder Patienten sich kümmerten. “Es gibt keine geregelten Strukturen”, beklagte Paul.
Impfregister könnten helfen, meinte sie. Damit könnten gezielt Einladungen an Nicht-Geimpfte verschickt werden, außerdem durch “soziale Kontrolle” der Druck auf Praxen erhöht werden, die eigenen Patienten zu impfen. “Die Ärzteschaft ist bis jetzt etwas nachlässig in der Wahrnehmung dieser Verpflichtung”, sagte Paul.
Der stellvertretende Leiter der Infektionsepidemiologie am Robert Koch Institut (RKI), Dr. Ole Wichmann, sprach von “verpassten Chancen” in vielen Arztpraxen. Als Beispiel nannte Wichmann HPV-Impfungen, die bei deutschen Teenagern noch viel zu selten erfolgten. Allerdings läge die Quote bei jungen Patienten, die direkt auf die Impfung angesprochen würden, bei über 90 Prozent. Der persönliche Kontakt in der Praxis “ist ganz entscheidend”, sagte Wichmann. Nur etwa 60 Prozent der Hausärzte erinnerten ihre Patienten an ausstehende Impfungen, habe kürzlich eine Umfrage des RKI gezeigt. Aber immerhin 80 Prozent würden bei Neupatienten den Impfstatus erheben.
Ethikrat erarbeitet Stellungnahme zur Impfpflicht
Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, fasste die Vorschläge der Experten zusammen: „Wir brauchen erstens ein Impfregister als Forschungsressource und als Möglichkeit zur gezielten Kommunikation, zweitens Zurückhaltung gegen pauschale Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein und drittens eine Fokussierung der Maßnahmen auf die Verantwortungsträger, insbesondere die Ärzteschaft“. Alle drei Referenten waren sich einig, dass eine Impfpflicht erst in Erwägung gezogen werden dürfe, wenn alle anderen Strategien nicht zum Ziel führten. Die Stellungnahmen der Experten rund um die Impfpflicht sollen nun in eine Stellungnahme einfließen, die der Deutsche Ethikrat derzeit erarbeitet.