Medizinische Leistungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) richten sich nicht mehr nur an chronisch Kranke, sondern zunehmend auch an gesunde, aber beruflich oder aus anderen Gründen stark belastete Beschäftigte. Denn das Flexirentengesetz hat seit Ende 2016 die Prävention unter dem Dach der DRV von der Ermessens- zu einer Pflichtleistung gewandelt. Der neue, erweiterte Grundsatz “Prävention vor Reha vor Rente” soll nun in der Praxis mit Leben gefüllt werden – ohne Hausärzte wird das jedoch nicht gelingen.
Wie bei den Reha-Anträgen müssen Hausärzte den Patienten dafür den Präventionsbedarf bescheinigen. Der ärztliche Befundbericht ist auch hier das zentrale Dokument, anhand dessen die DRV über die Bewilligung entscheidet. 2017 wurden rund 8.000 Anträge auf Präventionsleistungen bundesweit bei einem RV-Träger eingereicht. “Das sind viel zu wenige. Wir gehen davon aus, dass der Bedarf deutlich höher liegt”, sagt Nina-Tamara Moser von der Grundsatzabteilung der DRV Bund. Ein Grund für die geringe Nachfrage sei, meint sie, dass die neuen DRV-Präventionsangebote bei Hausärzten noch zu wenig bekannt seien.
40- bis 60-Jährige im Fokus
“Präventionsleistungen der DRV kommen für berufstätige Männer und Frauen in Betracht, die erste gesundheitliche Beeinträchtigungen spüren und bereit sind, aktiv etwas für ihre Gesundheit zu tun. Denn der Lebensstil im Alter zwischen 40 und 60 Jahren entscheidet mit darüber, wie wir altern und wie lange wir leistungsfähig bleiben”, sagt Moser. Die Prävention der DRV soll dafür sorgen, dass sich aus den ersten Beschwerden, wie etwa wiederkehrenden Rückenschmerzen ohne objektiven Krankheitsbefund, keine chronische Erkrankung entwickelt.
Für das Antragsverfahren müssen Hausärzte in einem zweiseitigen Befundbericht die gesundheitlichen Beschwerden, beginnenden Funktionsbeeinträchtigungen sowie tätigkeitsbedingten und sozialen Belastungsfaktoren der Patienten auflisten. Zudem wird nach den klassischen Risikofaktoren wie Alkohol und Rauchen gefragt sowie nach dem allgemeinen Zustand (Körpergewicht, Körpergröße und Herzfrequenz).
“Es geht nicht darum, mit vielen Diagnosen ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild zu zeichnen, sondern eher darum, erste Beeinträchtigungen wahrzunehmen und zu benennen”, betont Moser. Die Gutachter der DRV müssten erkennen können, dass eine Prävention ausreicht, um die Gesundheit zu stärken und nicht eine chronische Erkrankung vorliegt, für die eher eine medizinische Reha angezeigt wäre.
Reha in vier Phasen
Inhaltliche Themen sind die Klassiker der Gesundheitsförderung: Die Teilnehmer reflektieren und verändern den eigenen Lebensstil, erfahren, wie sie sich gesünder ernähren können, trainieren Ausdauer und Kraft. Und sie lernen mit Stress und seelischen Belastungen achtsamer umzugehen. Das Training erfolgt in Gruppen mit bis zu 15 Teilnehmern. Das DRV-Rahmenkonzept zur Prävention von 2012 räumt für diese Verhaltensänderung sechs Monate Zeit ein und hat den Ablauf in drei Schritte eingeteilt.
Die “Initialphase” von drei bis sieben Tagen findet ganztägig ambulant oder stationär in einer Reha-Einrichtung statt. Dort wird zu Beginn der Gesundheitszustand der Teilnehmer gecheckt, die besonderen Herausforderungen und Gesundheitsrisiken definiert und ein individuelles Präventionsprogramm erstellt. Danach folgt in der Regel ein dreimonatiges berufsbegleitendes Training mit ein bis zwei Terminen pro Woche in einer wohnortnahen Reha-Einrichtung. Daran schließt sich eine Trainingsphase von drei Monaten an, die in Eigenregie zu gestalten ist. Mit einem “Refresher” in den ausgewählten Reha-Einrichtungen enden die Präventionsprogramme. In ein bis zwei Tagen wird dann das erworbene Wissen nochmals aufgefrischt und gemeinsam Bilanz gezogen.
Teilnehmer loben nachhaltigen Effekt
“Teilnehmende unserer Pilotprogramme stufen den nachhaltigen Effekt der Präventionsleistungen als hoch ein”, sagt Moser. Zentrales Ziel sei es nicht, eine bestimmte Zahl an Kilos abzunehmen oder fit für den Halbmarathon zu werden, sondern vielmehr die Lust und die Freude an einem gesunden Lebensstil neu zu entdecken. “Hirnforscher gehen davon aus, dass ein bestimmtes Verhalten mindestens acht Wochen lang trainiert werden muss, damit sie es danach als selbstverständlichen Teil ihres Alltags weiter anstreben”, sagt Moser. “Die mehrmonatige Dauer unserer Leistung bestimmt daher die Nachhaltigkeit.”
Die Neuausrichtung hin zu einem frühzeitigeren Eingreifen hat auch mit der demographischen Entwicklung in Deutschland zu tun. Durch die niedrige Geburtenrate verkleinert sich der Anteil der Erwerbsfähigen an der Bevölkerung. Das zeigt sich teilweise bereits jetzt in einigen Regionen als Fachkräftemangel. Angebote, die längerfristig die Gesundheit und Teilhabe am Erwerbsleben sichern und verbessern, werden daher auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland immer wichtiger.
In Zukunft soll der neue Check-up 45 (“Der Hausarzt” 12) ein weiteres Instrument sein, um den Bedarf an medizinischer Intervention im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit festzustellen. Wie diese berufsbezogene Vorsorgeuntersuchung künftig in das Versorgungssystem integriert werden kann, testen aktuell verschiedene Modellprojekte. Langfristig soll darüber die Inanspruchnahme von Präventions- und Rehaleistungen der DRV sowie die Inanspruchnahme von akutmedizinischen Leistungen zielorientiert und effizient koordiniert werden.