DiagnoseMehr Sicherheit bei der Leichenschau

Müssen Sie immer sofort zu einer Leichenschau? Gibt es einen natürlichen Tod unklarer Ursache? Und was ist eine nosologische Kausalkette? Dr. Carsten Köber gibt Tipps zu häufigen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Leichenschau.

In schöner Regelmäßigkeit bekommt die Leichenschau ein Forum in der Laienpresse. Oft lamentieren Rechtsmediziner über “schlampige Leichenschauen”, “überforderte Hausärzte” oder “unerkannte Morde”.

Dabei ist die ärztliche Leichenschau für den Niedergelassenen bei weitem keine Seltenheit, steht sie doch gerade im Bereitschaftsdienst auf der Tagesordnung.

Der leichenschauende Arzt sieht sich dabei häufig in einem Spannungsfeld zwischen eigener diagnostischer Unsicherheit, Forderungen von Polizeibeamten und der Notwendigkeit, einen korrekten Leichenschauschein zu erstellen.

Alles stehen und liegen lassen?

Eine Leichenschau hat “unverzüglich” und damit aus juristischer Sicht “ohne schuldhaftes Zögern” zu erfolgen [1]. Dabei muss ein alsbaldiges Handeln jedoch subjektiv zumutbar sein – die gerade durchgeführte Behandlung müssen Sie also nicht zwingend abbrechen.

Vorsicht ist dennoch geboten. Ein Gericht stellte fest, dass der Arzt “die Feststellung des Todes (…) nicht einem Laien überlassen” kann. Nach einer Todesnachricht – besonders im KV-Bereitschaftsdienst – tun Sie gut daran, die Anfahrt nicht allzu weit nach hinten zu disponieren. Letztlich sollte der alarmierte Arzt im Telefonat zumindest Zweifel ausräumen können, ob Reanimationsmaßahmen einzuleiten sind.

Todesursache und Todesart

Die Begriffe “Todesart” und “Todesursache” werden regelmäßig verwechselt. Dabei kann bei einer aus medizinischer Sicht nicht eindeutig klärbaren Todesursache juristisch dennoch eine natürliche Todesart vorliegen [2].

Während sich die Todesursache allein auf die medizinische Ursächlichkeit bezieht, geht es bei der Todesart um die Umstände des Todes. Der natürliche Tod tritt aus einer inneren, nicht beeinflussbaren Ursache ein, der nicht natürliche Tod hingegen hat immer einen äußeren Einflussfaktor wie Fremdeinwirkung oder Unfall.

Todesursache: Detektivarbeit gefragt

Gerade die vom Leichenschauer festgestellte Diagnose hat tiefer greifende Bedeutung, fließt sie doch maßgeblich in die Todesursachenstatistik ein. Da sich mehr als 50 Prozent der Todesfälle im ambulanten Bereich ereignen [3] und die Obduktionsquote unter 5 Prozent [4] liegt, kommen ernsthafte Zweifel an der statistischen Aussagekraft dieser Erhebung auf.

Umso wichtiger, sich bei den Diagnosen im Leichenschauschein auf Fakten zu beschränken. Die Todesursache folgt aus Ermittlung und Zusammenschau von anamnestisch objektivierbaren medizinischen Daten wie Arztbrief, Medikationsplan oder Pflegedokumentation, der Angabe von Dritten und dem Untersuchungsbefund der Leichenschau.

Die Umstände des Todes sollen Sie als “nosologische Kausalkette” dokumentieren: “A als Folge von B bei der Grundkrankheit C”. Auf Endzustände wie zum Beispiel “Herz-Kreislaufstillstand” ist zu verzichten [5].

Gerade bei Multimorbiden lässt sich aber eine einzige todesursächliche Erkrankung oft nicht benennen.

Zur besseren Einordnung der Erkrankungen in eine mögliche Kausalkette kann eine Einteilung nach “Sterbenstypen” [6] beitragen (s. Abb. Sterbenstypen). Dabei ist besonders beim divergierenden und beim komplexen Sterbenstyp eine “unvermeidbar zum Tode führende Krankheit” nicht eindeutig zu benennen.

Für solche Zwecke kann es sinnvoll sein, einen “Natürlichen Tod unklarer Ursache [R96.0]” zu wählen und in den nachgeschalteten Abschnitten des Leichenschauscheines (“als Folge von” und “Grundleiden”) die beitragenden Erkrankungen genauer zu dokumentieren (s. Abbildung Beispiel-Dokumentation).

Todesart: natürlich, nicht-natürlich oder ungeklärt?

Ein natürlicher Tod liegt dann vor, wenn

  • kein Zeichen für ein von außen beeinflussbares Geschehen spricht
  • und anamnestisch ausreichende Hinweise für mindestens ein Grundleiden oder Erkrankungsmuster, das zum Tode führen kann, vorliegen.

Konkret könnte einer multimorbiden Pflegeheimbewohnerin, die ohne vorangehende Akutsymptomatik plötzlich verstirbt, bei fehlenden Hinweisen auf eine äußere Ursache wegen der schwerwiegenden Vorerkrankungen im Einzelfall dennoch ein natürlicher Tod attestiert werden.

Tritt ein vergleichbarer plötzlicher Todesfall ohne vorangehende Akutsymptomatik bei einem weitgehend Gesunden ein, wird die Einschätzung schon schwieriger.

Zumindest eine ungeklärte Todesart ist anzugeben, wenn zwar

  • keine Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod zu finden sind,
  • die medizinische Todesursache aber unbekannt ist
  • und Sie trotz sorgfältiger Untersuchung und Einbeziehung der Vorgeschichte keine konkreten Befunde einer lebensbedrohlichen Krankheit ermitteln können.

Vergleichsweise leicht ist die Einordnung als nicht-natürlicher Tod. Bei klaren Zeichen eines Suizids oder Gewaltverbrechens, bei vorhandenem Abschiedsbrief oder Hinweisen auf einen stattgehabten Unfall können Sie diese Einschätzung dokumentieren.

Eine Herausforderung kann die Einordnung eines Todesfalles nach ärztlicher Behandlung darstellen. Damit hier ein nicht-natürlicher Tod vorliegt, müssen wenigstens entfernte Anhalts- punkte für einen ärztlichen Kunstfehler oder Belege für sonstiges Verschulden des behandelnden Personals vorliegen, zum Beispiel fehlende Einwilligung [7]. Eine Lungenembolie nach Hüft-TEP ist bei korrekt erfolgter Thromboseprophylaxe also dennoch ein natürlicher Tod.

Literatur:

  1. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB
  2. Staatsanwaltschaft Stuttgart, Staatsanwaltschaft Tübingen, Polizeipräsidium Reutlingen: Merkblatt für Ärzte zum Verhalten bei ungeklärter Todesart und nicht natürlichen Todesfällen.
  3. Bertelsmann-Stiftung: Sterbeort Krankenhaus – Regionale Unterschiede und Einflussfaktoren.
  4. Madea B, Rothschild M. Ärztliche Leichenschau. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(33): 575–88. 575–88 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0575.
  5. Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): Todesursachen in der Todesbescheinigung – Eine kurze Anleitung. https://www.dimdi.de/static/.downloads/deutsch/totenscheinanleitung.pdf
  6. Thieke C, Nizze H. Sterbenstypen: Thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und Todesursache. Pathologe 1988; 9: 240–244.
  7. Meyer-Goßner L, Schmidt B. Kommentar zur StPO, § 159 StPO. C.H. Beck, 2018.

Interessenskonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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