Berlin. Einmal ausgiebig ferne Länder und Kontinente besuchen, länger als bei den klassischen zwei Wochen Sommerurlaub: Viele junge Eltern erfüllen sich diesen Traum mit Baby. Denn wann, wenn nicht in der Elternzeit, kann man mehrere Monate am Stück als Familie verreisen? Alles scheint so leicht: Babys verschlafen die meiste Zeit, können unterwegs gestillt und in der Trage gut transportiert werden. Und sie stellen an das Reiseprogramm noch keine eigenen Ansprüche.
Auch Ilka Schmeling war unterwegs – vor elf Jahren mit Mann und neun Monate altem Sohn etwa fünf Wochen lang auf der Seidenstraße, in der Türkei, Syrien, Iran. „Heute klingt das absurd, damals war es noch möglich“, erzählt die Hamburgerin. Nach der Geburt der Tochter sah die Reise ganz anders aus: ein Monat lang Kopenhagen in einer Ferienwohnung. „Es war ein ganz anderes Reisen, aber der inzwischen vierjährige Bruder hatte andere Bedürfnisse, wollte Laufrad fahren und auf Spielplätze gehen“, erinnert sie sich die Autorin eines Ratgebers zu Elternzeitreisen.
Stress für die Kleinsten
Bei kaum einem anderen Familienthema gehen die Meinungen so weit auseinander wie beim Reisen mit Baby. Auch bei Ärzten. Der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Josef Kahl, hält längere Fernreisen mit Säuglingen für unverantwortlich und lehnt sie ab. „Kinder unter drei Monaten sollten nach Möglichkeit gar nicht verreisen. Es ist für sie enormer Stress.“ Er rät, auch mit älteren Babys nur eingeschränkt zu reisen. Für Familienbesuche seien Flugreisen über wenige Stunden akzeptabel, schließlich sei die familiäre Bindung von Anfang an wichtig.
Risiko Neugier
Sarah Kotsias-Konopelska vom Vorstand der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP) ist anderer Ansicht. Sie sagt: „Generell möchte ich jede Familie dazu ermutigen, zu verreisen.“ Sie empfehle aber, Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden absoluten Vorrang zu geben. „Eltern sollten genau überlegen, was sie ihren Kindern zumuten können, um sie vor Gefahren zu schützen“, so die Medizinerin. Wer mit einem krabbelnden Säugling verreise, der sich noch alles in den Mund stecke, werde große Mühe haben, das Baby vor Krankheiten durch Parasiten oder Durchfallerreger zu schützen.
Elternreisen boomen
Die Elternzeit ist für immer mehr Eltern Reisezeit. Zahlreiche Blogs oder Ratgeber mit Titeln wie „Vier um die Welt“, „Mit Ella durch Europa“ oder „Mut für Zwei – Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt“ versprechen Familienabenteuer.
„Elternzeitreisen sind unglaublich am Wachsen“, sagt Viola Ehrig-Bülters. Die zweifache Mutter und Tourismus-Fachfrau hat eine spezielle Reiseagentur für Familienreisen gegründet. „Noch vor einigen Jahren hat man für längere Reisen erstaunte bis vorwurfsvolle Blicke geerntet, jetzt verreisen immer mehr Eltern, vor allem in den zwei Monaten, in denen auch viele Väter Elternzeit nehmen“, sagt sie. „Etwas langsamer, manchmal anstrengend, aber vor allem unglaublich spannend“, so beschreibt sie das Reisen mit Kindern.
Sehr beliebt: Wohnmobile. Das beobachtet auch der Caravaning Industrie Verband. „Wir sehen, dass mehr und mehr Mutter und Väter gemeinsam in Elternzeit gehen und mit Reisemobil, aber auch Caravan längere Reisen von vier bis acht Wochen mit dem Neugeborenen unternehmen“, sagt Geschäftsführer Daniel Onggowinarso.
Reisen bringen Unruhe
Kinderarzt Josef Kahl hat die Erfahrung gemacht, dass Väter bei der Auswahl der Reisedauer und -entfernung oft großzügiger sind als die Mütter. „Die Mütter spüren eher, dass manches nicht geht. Da muss man dann Kompromisse finden“, so Kahl. Er sieht Reisen mit Säuglingen sehr kritisch, da Kinder die Unruhe in der Vorbereitungszeit spürten, die neue Umgebung ungewohnt sei, die Kleinen mit vielen fremden Menschen und mitunter auch anderen klimatischen Verhältnissen konfrontiert würden. Für Babys ist das aus seiner Sicht zu anstrengend. Selbst längere Autofahrten seien Stress für sie.
„Die kleinen Würmer müssen sich sehr umstellen, das fällt ja oft auch schon uns Erwachsenen schwer. Ich finde so etwas verwerflich“, sagt Kahl mit Blick auf Reiseziele in anderen Klimazonen. Außerdem müsse man überlegen, ob eine gute medizinische Versorgung gewährleistet sei. „Die Kinder können in bestimmten Regionen auch an Krankheiten erkranken, gegen die man noch nicht impfen kann“, warnt der Arzt.
Besondere Schutzvorkehrungen
„Idealerweise werden Reisen so geplant, dass zumindest die Grundimmunisierung abgeschlossen ist und dass sie in den Zeitraum zwischen zwei U-Untersuchungen fallen“, sagt Kotsias-Konopelska. Es sei auch möglich, solche Vorsorgeuntersuchungen im Ausland durchführen zu lassen, am einfachsten bei deutschsprachigen Kinderärzten. Selbst Impfungen seien im Reiseland möglich. Inka Schmeling sagt, auch ihr seien die Impfungen wichtig gewesen. Außerdem sei es von Vorteil gewesen, dass ihr Sohn noch gestillt wurde.
„Regionen ohne Zugang zu sicherem Trinkwasser, mit klimatischen Extrembedingungen und mit einer Infrastruktur, die keine sichere Unterkunft und keine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleisten kann, sollten auf jeden Fall gemieden werden“, betont Kotsias-Konopelska.
Besser nicht in den Dschungel
„Viele Eltern möchten auf der sicheren Seite sein und wählen Länder mit guter Infrastruktur. Vielen ist auch wichtig, die Sprache zu verstehen“, weiß Agentur-Inhaberin Ehrig-Bülters. Besonders beliebt seien die USA, Kanada, Neuseeland und Australien. Sie empfehle immer auch, vorher mit dem Kinderarzt über eine Reise zu sprechen und eine gute Versicherung abzuschließen. Passieren könne überall auf der Welt etwas. Das hat sie selbst schon erlebt: Ihr neun Monate alter Sohn kam bei einer USA-Reise ins Krankenhaus. „Das war eine Ausnahmesituation“, erinnert sich die Mutter. Für sie aber kein Grund, nicht wieder zu verreisen.
Reisen ist nicht alles
„Die Reisen haben uns unglaublich viel gebracht, man zehrt lange davon“, sagt Inka Schmeling. Doch aus ihrer Sicht sollte man nicht die ganze Elternzeit nur unterwegs sein. „Wenn man sich die Verantwortung künftig im Familienleben teilen möchte, sollte man schon die Elternzeit so nutzen, dass beide Elternteile einmal allein die Verantwortung tragen“, sagt die zweifache Mutter.
Quelle: dpa