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Nationale VersorgungsleitlinieRücken- und Tumorschmerzen: Leitlinie trifft Realität

Schmerzpatienten sollten möglichst frühzeitig behandelt werden – und zwar angepasst auf die jeweiligen Bedürfnisse und unter Berücksichtigung der möglichen medikamentösen Nebenwirkungen. All diesen Ansprüchen gerecht zu werden ist in der täglichen Praxis gar nicht so einfach, doch es lohnt sich, diese Herausforderung anzunehmen.

Rückenschmerz kennen viele Patientinnen und Patienten.

Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sind laut Dr. Johannes Horlemann aus Kevelaer drei Grundsatzfragen zu klären: Liegt eine ursächliche systemische Erkrankung vor – beispielsweise eine rheumatoide Arthritis? Gibt es soziale oder psychologische Risikofaktoren? Bestehen neurologische Defizite?

Vor diesem Hintergrund ist die Diagnose “Rückenschmerz” wenig sinnvoll. “Besser wäre, anhand der zugrunde liegenden Pathomechanismen von Knochen-, Gelenk-, Nerven-, Muskel- oder auch somatoformen Schmerzen zu sprechen”, erklärte Horlemann.

Die “Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz” verweist auf zahlreiche Risikofaktoren, die das Risiko für eine Chronifizierung der Schmerzen erhöhen [1].

Meist handelt es sich um eine Kombination aus physikalischen und psychosozialen Faktoren. Diese gilt es zu identifizieren – denn nur so kann man Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko frühzeitig behandeln und ihnen womöglich einen langwierigen Krankheitsverlauf ersparen.

Risikofaktoren berücksichtigen

“Eine Therapie chronischer Rückenschmerzen kann nicht gelingen, wenn wir mit den Patienten nicht über Depressivität und Di-stress sprechen und diese nicht aktiv behandeln”, gab Horlemann zu Bedenken. Gleiches gelte für weitere psychosoziale Faktoren (“yellow flags”).

Dazu zählen beispielsweise die Neigung zur Somatisierung und zu schmerzbezogener Kognition sowie ein passives Schmerzverhalten mit ausgeprägtem Schon- und Angst-Vermeidungsverhalten und/oder ein überaktives Schmerzverhalten mit anhaltender Arbeitsamkeit trotz Schmerzen [1].

Neben psychosozialen Risikofaktoren spielen auch arbeitsplatzbezogene Faktoren eine Rolle bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen. Dabei reicht die körperliche Überlastung alleine oft nicht als Erklärung für die Schmerzentstehung aus.

Zwar werden ständiges schweres Heben oder Ganzkörpervibrationen (bei Straßenarbeitern) mit dem Auftreten von Kreuzschmerzen assoziiert, besonders “toxisch” sind diese jedoch, wenn psychische Belastungen wie Mobbing, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder geringe berufliche Qualifikation dazukommen [1].

Nur einen Risikofaktor zu behandeln – also nur die körperliche, psychologische oder berufliche Seite anzugehen – greift laut Horlemann immer zu kurz. Folglich sei es auch nicht zielführend, sich alleine auf somatische oder radiologische Befunde zu stützen, da dies die Patienten auf ein rein somatisches Konzept fixiere. Ein übertriebener Einsatz diagnostischer Maßnahmen erübrige sich ebenfalls.

Neuropathische Schmerzanteile erkennen

Je stärker der Rückenschmerz ist, desto eher liegen neuropathische Anteile vor. In einer Studie wiesen 52 Prozent der Patienten mit starken chronischen Rückenschmerzen eine wahrscheinliche neuropathische Komponente auf [2].

Für eine neuropathische Schmerzkomponente sprechen unter anderem eine relevante Läsion oder eine Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems, die zum Ausbreitungsmodus des beschriebenen Schmerzes passen. Zudem muss mindestens ein Kardinalsymptom für Neuropathie vorliegen, das neuroanatomisch erklärend ist. Neuropathische Schmerzen sind typischerweise elektrisierend, einschießend beziehungsweise lanzinierend.

Therapeutische Optionen neuropathischer Schmerzen

Zu den gängigen Therapeutika bei neuropathischen Schmerzen gehören trizyklische Antidepressiva. Diese wurden in einer Übersichtsarbeit mit dem Evidenzgrad “hohe Qualität” eingestuft [3]. Die number needed to treat (NNT) lag bei 3,6.

Allerdings zeigen trizyklische Antidepressiva häufig Nebenwirkungen wie Benommenheit, Müdigkeit, Schwindel, Hypotension und insbesondere Gewichtszunahme. Ihre Verschreibung ist daher beispielsweise bei Diabetikern mit Polyneuropathie problematisch.

Wie Horlemann betonte, könne man diesen Patienten nicht einerseits zur Gewichtsabnahme raten und gleichzeitig ein Medikament wie etwa Amitriptylin verschreiben, das sedierend wirkt und zur Gewichtszunahme führt.

Auch Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und die Antikonvulsiva Pregabalin und Gabapentin wurden in der Studie mit “hoher Qualität” eingeordnet, verursachen jedoch ebenfalls zentralnervöse Nebenwirkungen. Tramadol und starke Opioide erhielten den Evidenzgrad “moderate Qualität”, bei einem vergleichbaren Spektrum an Nebenwirkungen.

Eine Möglichkeit, systemisch Effekte zu vermeiden, ist die topische Therapie mit einem Capsaicin-8%-Pflaster. An Nebenwirkungen treten hier Schmerzen oder Erytheme am Applikationsort auf (Evidenzgrad: hohe Qualität, NNT: 10,6) [3]. Tapentadol stellt laut Horlemann eine weitere wichtige Option für Patienten mit neuropathischer Schmerzkomponente dar. Die Wirksamkeit des atypischen Opioids wurde in Studien vielfach belegt [4].

Für nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Training bei akuten und chronischen Rückenschmerzen liegen hingegen kaum Studien und daher keine Evidenz vor. Zudem fehlt eine pathophysiologische Erklärung, warum das Training per se Schmerzen reduzieren sollte.

Tumorbedingte Schmerzen

Über die Hälfte (55 Prozent) der Tumor-Patienten leiden während einer Anti-Krebstherapie unter Schmerzen und noch häufiger (66 Prozent) sind davon Patienten mit fortgeschrittener, metastasierender oder terminaler Erkrankung betroffen [5]. “Schmerzen aufgrund von Tumoren weisen nozizeptive und/oder neuropathische Schmerzanteile auf, in der palliativen Situation tritt häufig eine gemischte Schmerzform auf”, erklärte Norbert Schürmann, Moers.

Die WHO hat 2019 aktuelle Leitlinien für die Therapie von Tumorschmerz bei Heranwachsenden und Erwachsenen veröffentlicht [5]. Diese unterscheiden sich in einigen Punkten deutlich von den 1996 herausgegebenen Richtlinien.

Zum Beispiel findet sich das WHO-Stufenschema nur noch im Anhang und die Unterscheidung zwischen WHO-2 und WHO-3 Opioiden entfällt. Analgetika werden in Nicht-Opioide (Paracetamol und NSAR) und Opioide (schwach/stark) unterteilt.

Neben Morphin werden Hydromorphon und Oxycodon empfohlen. Weitere Substanzgruppen umfassen Stero-ide, Antidepressiva, Antikonvulsiva und Bisphosphonate.

Schon zu Beginn der Schmerztherapie können beziehungsweise sollten Opioide eingesetzt werden – abhängig von der individuellen Schmerzstärke. Dabei sind die individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen und für jeden Patienten der passende Wirkstoff zu ermitteln.

Bei der Einstellung der Opioidtherapie kann zwischen nicht-retardierten oder retardierten Präparaten gewählt werden. Begleitend zur Dauermedikation ist unbedingt eine schnell wirksame Bedarfsmedikation erforderlich. Insgesamt stehen bei der Therapieentscheidung patientenorientierte Verfahren im Vordergrund und die Lebensqualität der Patienten erhält mehr Gewicht [5].

Literatur:

  1. Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz 2. Auflage, 2017 Version 1 AWMF-Register-Nr.: nvl-007
  2. Freynhagen R et al. CMRO 2006; 22(10): 1911-20
  3. Binder A, Baron R Dtsch Ärztebl 2016; 113:616-626
  4. Steigerwald I et al. Curr Med Res Opin 2012; 28(6) 911-936
  5. WHO guidelines for the pharmacological and radiotherapeutic management of cancer pain in adults and adolescents. Geneva: World Health Organization; 2018. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 I

Quelle: Fortbildung der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)

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