Das Leiden der Patienten
Bewegungstraining, soziale Kontakte, regelmäßige Tagesabläufe und Therapiekontrollen beim Arzt sind wichtige Bestandteile der Behandlung von Patienten mit Parkinson, waren aber mit dem Lockdown 2020 plötzlich ausgesetzt oder stark erschwert.
Die Reduktion der Bewegungstherapie hat zu einer messbaren Zunahme von motorischen und nicht-motorischen Symptomen bei den Patienten mit Parkinsonerkrankung geführt. Die Abnahme der Bewegung nimmt quasi den Krankheitsprogress vorweg, erläutert Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Kassel.
Sie empfahl, alle Patienten dazu aufzufordern, digitale Angebote zu nutzen. Beispiele sind die DVDs der Deutschen Parkinson Vereinigung, die MOVE-App des Neurologischen Fachkrankenhauses für Bewegungsstörungen/Parkinson Beelitz oder die Videos auf der Homepage der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel.
Videosprechstunden können die Präsenzsprechstunde bei Parkinsonpatienten nur teilweise ersetzen. Die Entfernung, Position und Qualität der Kamera können ebenso wie die Qualität der Internetverbindung erheblich den Eindruck beeinflussen. Bradykinese oder der Tremor der unteren Extremität werden laut Trenkwalder im Videogespräch meist unterschätzt.
Rigor oder posturale Stabilität sind gar nicht zu überprüfen – der Test durch Angehörige wäre viel zu gefährlich. Um auf Arztseite die Videosprechstunde zu optimieren, empfahl die Expertin die Einrichtung eines ruhigen Arbeitsplatzes, der gut ausgeleuchtet ist. Die Qualität der Ton- und Bildübertragung sollte vorab am besten schon von einer Mitarbeiterin geprüft werden.
Hausarzt gefragt
Bei einem Parkinson-Kongress treten überwiegend neurologische Spezialisten in Erscheinung. Die Einsicht in die Notwendigkeit der sektorenübergreifenden und interdisziplinären Versorgung ist aber groß.
Prof. Dr. Karla Eggert, Marburg, betonte, dass die individualisierte symptomatische Therapie der Parkinson-Erkrankung bei aller Spezialisierung weiter den Hausarzt braucht. Das zeigt auch das Beispiel der Subtypen-Einteilung nach nicht-motorischen Symptomen.
Solche Symptome sieht der Hausarzt oft als Erstes und sollte insbesondere bei gleichzeitigem Vorhandensein motorischer Hinweise eine Parkinson-Erkrankung und symptomspezifische Differenzialdiagnosen im Auge haben. Aktuell werde nach nicht-motorischen Symptomen unterschieden:
- Noradrenerger (Hirnstamm-)Subtyp: Orthostatische Dysfunktion, gastrointestinale Beschwerden, Dysphagie, Aspiration, gestörtes REM-Schlaf-Verhalten- oder andere Schlafstörungen.
- Serotonerger (limbischer) Subtyp: Exzessive Tagesschläfrigkeit, Fatigue, Schlafapnoe, Depression, Schmerz.
- Cholinerger (kortikaler) Subtyp: Einschränkungen der Kognition, Psychose, Osteoporose, Stürze, Verschlechterung der Versorgungssituation Zuhause.
Diese Subtypen einer Parkinson-Erkrankung erfordern oft spezifische Maßnahmen und Therapien über die Parkinson-Medikation hinaus.
Die umfassende Versorgung aller Parkinson-Patienten in der Fläche können die neurologischen Kollegen gar nicht leisten. “Gerade die geriatrischen Patienten können wir nicht alle abdecken, da spielen die Hausärzte eine besonders wichtige Rolle”, sagte Eggert.
Das gilt umso mehr, als neben motorischen und nichtmotorischen Symptomen auch Aspekte wie die räumliche und personelle Situation Zuhause oder die Komorbidität (z.B. orthopädisch, kardiovaskulär, pulmonal) und der Allgemeinzustand in die personalisierte Versorgung einfließen sollen. Neurologen können dabei mit Hausärzten über eine telemedizinische Beratung und Telekonsile zusammenarbeiten.
Zitterzentrum abkochen
Bei Tremor-dominierter Parkinson-Erkrankung kann die gezielte Erhitzung beteiligter Hirnzentren auf 60 Grad Celsius durch fokussierten Ultraschall das Zittern von Patienten deutlich verbessern.
Die Therapie unter MRT-Kontrolle ist aber komplizierter als es zunächst klingt. Weil der Schädel individuell sehr unterschiedlich ist, kann die Methode nicht bei allen Patienten angewandt werden.
In jedem Fall muss der Ultraschall an die jeweiligen Knochencharakteristika angepasst werden. Die fokussierten Ultraschallwellen erzeugen zudem nicht nur am gewünschten Ort erhöhte Temperaturen. Daher wird der Kopf für die Therapie geschoren und wassergekühlt. In Deutschland sind bislang Zentren in Bonn und Kiel an der Entwicklung beteiligt.
Mehr Krämpfe, mehr Schmerzen
Lockdown im März 2020 – das bedeutete für Patienten mit Dystonie und Spastik in Deutschland auch eine Verlängerung der Intervalle ihrer Botulinumtoxin-Injektionen um sechs bis sieben Wochen, berichtete Prof. Dr. Jörg Müller, Spandau.
Das führte zu einer Verstärkung von Muskelkrämpfen und Muskelschmerzen mit entsprechend verschlechterter Lebensqualität. 98 Prozent der in einer Studie befragten Patienten beurteilten die Lockdown-Maßnahmen entsprechend als inadäquat. Die meisten schätzen seitdem aber wieder viel mehr die Vorteile der Botulinumtoxin-Therapie.
Effektivität des Trainings ist entscheidend
Bei Parkinson-Erkrankung bedeutet mehr Training in jedem Stadium mehr Lebensqualität, erklärte Prof. Dr. Georg Eberbach, Beelitz. Gefragt ist eine Lebensstiländerung, nicht nur die gelegentliche Physiotherapie.
Das ParkFit-Programm setzt dafür auch einen Coach ein, der Edukation bietet, hilft, Barrieren zu überwinden und sich Ziele zu setzen und als Ansprechpartner dafür sorgt, das Training wirklich im Alltag umzusetzen. Entscheidend für die Effektivität des Trainings ist, dass die Patienten eine 80-prozentige Belastung vom maximal möglichen erreichen – jeder auf seinem Niveau.
Zu Hause ganz anders
Die aus der klinischen Sprechstunde bekannten Parkinson-Symptome können sich in der Videosprechstunde unter den Alltagsbedingungen daheim ganz anders präsentieren, berichtete Prof. Dr. Walter Metzler, Kiel. Das betrifft auch die Wirksamkeit der Medikamente auf die Symptome, wie Studien mit tragbaren Messgeräten (Wearables) zeigen.
In Entwicklung sind jetzt stärker an Alltagsaktivitäten angelehnte Kriterien zu Wahrnehmung, Kapazität und Leistungsfähigkeit, die eine Beurteilung des Zustands des Parkinsonpatienten in der Videosprechstunde verbessern sollen.