Welche Echtzeit-Effekte hat der Konsum von Cannabis in Form getrockneter Blüten bei Personen mit Kopfschmerzen oder Migräne? Dieser Frage ging eine US-amerikanische Studie mit 699 Teilnehmenden nach [1], die auf dem diesjährigen Medicinal Cannabis Congress vorgestellt wurde.
Diese zeichneten in 1.328 Kopfschmerz-Sitzungen und 582-Migräne-Sitzungen ihre Symptomintensität vor und nach der Cannabis-Anwendung anhand einer Skala von 0-10 Punkten auf. In einem zweistündigen Beobachtungsfenster erfuhren 94 Prozent der Teilnehmenden eine Symptomlinderung, wobei die durchschnittliche Verringerung der Symptomintensität bei 3,3 Punkten lag.
Männer und jüngere Konsumenten (unter 35 Jahren) vermerkten eine stärkere Symptomverbesserung. Zudem zeigte ein Regressionsmodell, dass der beste Effekt bei einem THC-Gehalt von über zehn Prozent erzielt wurde.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine vergleichbare Beobachtungsstudie, in welcher der Gebrauch von Cannabis-Extrakt mit einer länger andauernden Schmerzreduktion assoziiert war [2].
“Ich denke, dass wir sowohl den Vollspektrum-Extrakt zur Migräneprophylaxe als Dauertherapie benötigen, als auch die schnell anflutenden, inhalierbaren Blüten für die Migräneattacken”, erklärte Neurologe Dr. Thomas Vaterrodt, Saarbrücken, beim Medicinal Cannabis Congress in Berlin. Er engagiert sich auch beim Deutschen Zentrum für Medizinal-Cannabis, das nach eigenen Angaben pharmaunabhängig über diese Therapien aufklären will.
Schmerztrigger blockieren
Ein starker Schmerzreiz verursache eine Ausschüttung von Glutamat, was einen massiven Einstrom von Kalzium-Ionen in die Nervenzellen zur Folge habe. Das Endocannabinoid-System wirke diesem Schmerztrigger entgegen, indem es beispielsweise die Freisetzung von Glutamat und CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) vermindere und die Natriumkanäle exzitatorischer Bahnen blockiere.
“Bei chronischem Schmerz reicht das Endocannabinoid-System aber nicht aus. Was können wir also tun? Wir führen Cannabinoide von außen zu, um dem Körper zu helfen, sich gegen den Schmerz zu wehren”, erklärte Vaterrodt.
Effekte auf Kopfschmerz-Auslöser?
Zudem könnten Cannabinoide womöglich Auslöser von Kopfschmerzen, wie etwa Verspannungen, Schlafstörungen, Stress, Depression und Angst beeinflussen. Das zeige eine Studie, welche die Symptom-Veränderungen von Angst, Stress und Depression bei Patienten untersuchte, die medizinisches Cannabis konsumierten [3].
Nach dem Konsum nahmen die Probanden eine 50-prozentige Verringerung von Depressionen und eine 58-prozentige Senkung von Ängsten und Stress wahr.
Zwei Züge reichten bereits, um eine Verbesserung von Depressionen und Angstzuständen zu bemerken, bei Stress wurde die größte wahrgenommene Linderung nach mindestens zehn Zügen berichtet.
Die deutlichsten Veränderungen bei den Bewertungen von Depressionen waren mit Cannabis mit hohem Cannabidiol (CBD)-Gehalt (>9,5 Prozent) und niedrigem Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt (<5,5 Prozent) assoziiert. Bei Stress zeigte sich diese Veränderung insbesondere bei Cannabis mit hohem CBD-Gehalt (>11 Prozent) und hohem THC-Gehalt (>26,5 Prozent).
Chronische Schlafstörungen
“Schlafstörungen sind ein relevanter Faktor für das Auftreten von Migräne”, berichtete Vaterrodt. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie wurde die Wirkung von Medizinalcannabis bei chronischen Schlafstörungen untersucht [4].
Forscher am Zentrum für Schlafforschung der University of Western Australia analysierten das Schlafverhalten von lediglich 24 Patienten (durchschnittlich 53 Jahre), die eine Stunde vor dem Zubettgehen entweder einen sublingualen Cannabinoid-Extrakt oder Placebo einnahmen.
Ergebnis: Mit Cannabis verlängerte sich die Schlafdauer um gut eine Stunde, während sich die Einschlafzeit um im Schnitt fast neun Minuten verkürzte. Zudem wachten die Probanden erholter auf. Aufgrund der möglichen Nebenwirkung – Schwindel – rieten die Autoren zur Vorsicht bei älteren Menschen und solchen mit psychiatrischen Vorerkrankungen.
Aus eigenen Untersuchungen berichtete Vaterrodt, dass im Schlaflabor auf Medizinalcannabis eingestellte Patienten mit Schlafstörungen keine pathologischen Veränderungen etwa in der REM-Phase aufweisen, anders als bei vielen Schlafmitteln.
Literatur
- Stith SS et al. J Integr Med 2020; 18(5): 416-424
- Cuttler C et al. J Pain 2020; 21(5-6): 722-730
- Cuttler C et al. J Affect Disord 2018; 235:198-205
- Walsh JH et al. Sleep 2021; 44(11): zsab149
Quelle: “Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei den häufigsten Kopfschmerzarten”, 3. Medicinal Cannabis Congress, Berlin, 10.-11.6.22