München/Hohenheim. Betrachtet man die Epidemiologie der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) in Deutschland, so scheint das Land zweigeteilt: Zwar wurden auch 2021 die meisten FSME-Fälle aus Bayern und Baden-Württemberg gemeldet, die Erkrankungszahlen haben hier insgesamt aber abgenommen. 2021 wurden aus Bayern 30 Prozent weniger Fälle gemeldet, aus Baden-Württemberg sogar 50 Prozent.
Nördlich der Mittelgebirgsschwelle dagegen scheint sich das FSME-Virus auszubreiten. So hat das Robert Koch-Institut (RKI) gerade sechs neue FSME-Risikogebiete definiert – drei in Brandenburg, zwei in Sachsen und eines in Nordrhein-Westfalen (wir berichteten). Woran liegt das?
FSME-Viren werden aus Dänemark und Polen eingeschleppt
Zum einen breiten sich im Norden Deutschlands offenbar aus Dänemark neu eingeschleppte FSME-Viren aus, im Osten Deutschlands werden die Erreger vor allem aus Polen eingetragen, berichtete Dr. Gerhard Dobler vom Konsiliarlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr bei einer Veranstaltung anlässlich des 6. Süddeutschen Zeckenkongresses. Der Kongress findet vom 28. bis 30. März an der Universität Hohenheim statt.
Zum anderen scheint es den Überträgern des FSME-Virus, in Deutschland ist das ja hauptsächlich die Zeckenart Ixodes ricinus (Gemeiner Holzbock), im Süden zu warm zu werden: „In den Tälern ist es den Zecken mittlerweile zu warm und zu trocken, wir sehen jetzt mehr FSME-Fälle in höheren Lagen zwischen 400 und 600 Metern“, sagte Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg.
Durch die insgesamt milderen Winter hat sich auch die Aktivität der Tiere in den Winter verschoben – schon der Februar kann zur Zeckensaison gezählt werden. Damit wird auch der Zeitraum größer, in dem FSME als meldepflichtiges Ereignis von Ärztinnen und Ärzten im Blick behalten werden sollte.
“Im Süden völlig andere Öko-Epidemiologie”
Allerdings: Nicht nur das Klima scheint eine Rolle zu spielen. „Es gibt auch in Bayern Regionen, in denen die FSME-Fallzahlen zunehmen. Es ist offenbar ein multifaktorielles Geschehen“, so Dobler. Trendanalysen zeigten, dass in den hoch-endemischen Landkreisen in Süddeutschland mit einer weiteren Zunahme der Fälle in den bekannten FSME-Hotspots zu rechnen ist.
„Grundsätzlich scheint der Süden Deutschlands eine völlig andere Öko-Epidemiologie der FSME aufzuweisen als FSME in den nördlichen Bundesländern“. Das habe Auswirkungen auf die Impfstrategie.
Dobler: „Wir müssen viel individueller, und zwar auf Kreisebene, auf die Risikosituation eingehen und beispielsweise auch im Norden Impfkampagnen fahren und die Menschen auf die Impfung ansprechen.“ Dobler erwartet in den kommenden Jahren in Nord- und im mittleren Deutschland steigende Erkrankungszahlen.
FSME-Impfung bei Kindern sinnvoll?
Hierzulande waren im Jahr 2019, je nach Risikogebiet, lediglich zwischen 7,7 und 38,6 Prozent der Erwachsenen und zwischen 13,3 und 50,5 Prozent der Kinder gegen FSME geimpft. Dobler machte darauf aufmerksam, dass zehn Prozent der jährlichen FSME-Fallzahlen in der Gruppe der 0- bis 15-Jährigen auftreten. „Es ist zwar selten, aber es gibt auch sehr schwere Erkrankungen bei Kindern, die dann ihr Leben lang unter den Folgen leiden.“
Die beiden für Kinder verfügbaren Impfstoffe sind ab dem Alter von zwölf Monaten zugelassen. „Da muss man das Risiko dann abwägen – für Kinder, die viel Zeit in der Natur verbringen, könnte eine Impfung aber sinnvoll sein“, sagte Dobler. „So haben wir zum Beispiel auch schon einmal einen Zecken-Fokus direkt neben einem Waldorfkindergarten entdeckt.“