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Hausarzt MedizinNeue Entwicklungen in der Schlaganfall-Therapie

Der akute ischämische Schlaganfall zählt zu den häufigsten Ursachen für anhaltende Behinderung, Pflegebedürftigkeit und Tod. Dank erheblicher Fortschritte in der Akuttherapie sind die Chancen auf eine gute oder vollständige Rückbildung der neurologischen Defizite inzwischen weiter gestiegen.

Schlaganfall

Die wirkungsvollste, da kausale Therapie bei einem akuten ischämischen Schlaganfall ist die unverzügliche Rekanalisation des verschlossenen Hirngefäßes in der Akutphase. Neben der langjährig bewährten systemischen Thrombolysebehandlung profitieren Patienten mit proximalen zerebralen Gefäßverschlüssen von den Erfolgen der katheterinterventionellen mechanischen Neurothrombektomie.

Thrombektomie

Die mechanische Neurothrombektomie ist ein katheterinterventionelles Verfahren zur Rekanalisation akuter Verschlüsse der hirnversorgenden Gefäße. Die Wirksamkeit dieser Techniken wurde in fünf prospektiven, kontrollierten Studien nachgewiesen [1–5]. Dabei wurden überwiegend neuartige Thrombektomiesysteme (Stent-Retriever), beispielsweise das Solitaire-Device verwendet. Bei diesen Systemen verbleibt der Stent nicht im Gefäß, sondern wird genutzt, um das thrombembolische Material retrograd aus der zerebralen Zirkulation zu bergen (Abb. 1).

In die erste der fünf Studien wurden 500 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall entweder einer Gruppe mit konventioneller Therapie oder einer Gruppe mit Standardtherapie plus Thrombektomie zugeteilt (Tab. 1) [1]. Bei 92 Prozent der Patienten war die A. carotis interna oder die A. cerebri media vor ihrer ersten Aufteilung (M1-Segment) akut verschlossen. Die Patienten waren durchschnittlich 65 Jahre alt und litten bei Aufnahme ins Krankenhaus unter meist schwersten neurologischen Ausfallerscheinungen (mittlerer Punktwert auf der NIH-Schlaganfallskala: 17,5). Die Intervention musste spätestens 6 Stunden nach dem Einsetzen der Symptome beginnen.

Letztlich zeigte sich eine signifikante Überlegenheit der Interventionsgruppe: Nach 3 Monaten betrug der Anteil an Patienten ohne oder mit allenfalls geringen Defiziten in der Interventionsgruppe 33 Prozent, in der Kontrollgruppe hingegen nur 19 Prozent. Diese Ergebnisse wurden in vier weiteren internationalen Studien reproduziert (Tab. 1), wobei alle Studien aufgrund einer klaren Überlegenheit der Interventionsgruppe vorzeitig abgebrochen wurden. Die deutlichsten Unterschiede bestanden in der australischen EXTEND-IA Studie: Hier konnte auch die Mortalität von 20 auf 9 Prozent gesenkt werden [2].

Leitlinien-Empfehlung

Nach dem Bekanntwerden dieser Ergebnisse änderten sich weltweit die Therapieempfehlungen der neurologischen Fachgesellschaften. Auch die deutsche Gesellschaft für Neurologie hat aktualisierte Empfehlungen zur rekanalisierenden Therapie bei ischämischem Schlaganfall publiziert [6]. Demnach sind Patienten mit behindernden neurologischen Defiziten und großem Gefäßverschluss der vorderen Zirkulation, sofern keine Kontraindikationen bestehen, kombiniert mit intravenösem rt-PA und mechanischer Thrombektomie zu behandeln.

Das Zeitfenster ist gegebenenfalls sogar über 6 Stunden hinaus auszudehnen, wenn bildgebend noch vitale, aber minderperfundierte Hirnareale nachzuweisen sind (Mismatch-Konzept). Gefordert wird ein rascher Beginn der Intervention innerhalb von maximal 90 Minuten nach der Ankunft in der Klinik.

Verfügt das aufnehmende Krankenhaus nicht über die Möglichkeit der mechanischen Thrombektomie, wird ein Bridging-Konzept empfohlen, d. h. vor Ort erfolgt der Beginn der intravenösen Thrombolyse mit rt-PA, und der Patient wird unter laufender Thrombolyse ad hoc an das nächstgelegene neurovaskuläre Zentrum mit Interventionsbereitschaft verlegt.

Bewusst wurde auf eine obere Altersgrenze für diese Therapie verzichtet, ein höheres Alter per se ist also kein Grund, auf die rekanalisierende Therapie zu verzichten.

i.v. Thrombolyse bleibt Standard

Trotz der exzellenten Wirksamkeit der mechanischen Thrombektomie bei proximalem Gefäßverschluss darf nicht übersehen werden, dass alle genannten Studien eine Kombination von intravenösem rt-PA mit der mechanischen Rekanalisation vorsahen. Zudem ist zu beachten, dass der Einsatz der mechanischen Rekanalisation auf Gefäßsegmente beschränkt bleibt, die mit der Kathetertechnik erreicht werden können. Für die große Mehrzahl der ischämischen Schlaganfälle, die auf distale Gefäßverschlüsse zurückzuführen sind, ist sie daher ungeeignet. Die intravenöse Thrombolyse mit rt-PA bleibt deshalb das seit vielen Jahren bewährte Standardverfahren bei ischämischem Schlaganfall.

Anders als bei der Behandlung von Patienten mit akutem Myokardinfarkt stehen die beiden Strategien (intravenöse Thrombolyse und katheterinterventionelle Behandlung) also in einem synergistischen Verhältnis: Die intravenöse Thrombolyse ist die Basis der rekanalisierenden Therapie, die bei Nachweis eines großen Gefäßverschlusses durch die mechanische Thrombektomie erweitert wird. Im umgekehrten Fall kann die mechanische Thrombektomie primär ohne systemische Thrombolyse zum Einsatz kommen, wenn ein proximaler Gefäßverschluss vorliegt und Kontraindikationen gegen die systemische Thrombolyse bestehen, z. B. eine wirksame orale Antikoagulation.

Akuttherapie: Jede Minute zählt

Der Erfolg der rekanalisierenden Therapie ist umso größer, je schneller behandelt wird. Aus Studien zur Thrombolyse ist bekannt, dass die Chance auf eine vollständige oder sehr gute Erholung auch innerhalb der relevanten 4,5 Stunden nach Symptombeginn mit der Zeit abnehmen [7]: Wird innerhalb von 3 Stunden behandelt, beträgt die Odds Ratio 1,75, im Zeitfenster zwischen 3 und 4,5 Stunden hingegen nur noch 1,15.

Die Versorgung von Patienten mit akutem Schlaganfall muss daher ohne jede zeitliche Verzögerung erfolgen und erfordert eine reibungslose Verzahnung der prähospitalen Versorgung mit der innerklinischen Rettungskette. So ist es möglich, durch Optimierung und Standardisierung der Abläufe die Zeit von der Ankunft im Krankenhaus bis zum Beginn der Thrombolyse ("door to needle") auf Werte unter 30 Minuten zu senken [8]. Auch die Zeit bis zum Beginn der mechanischen Thrombektomie kann durch organisatorische Verbesserungen verkürzt werden. Interessanterweise zeigten sich dabei auch in den neuen Studien zur Thrombektomie relevante Unterschiede: Die mittlere Zeit vom Symptombeginn bis zum Beginn der Intervention (Leistenpunktion) variierte in den genannten Studien zwischen 185 und 260 Minuten.

Offene Fragen

Derzeit ungeklärte Fragen betreffen das anästhesiologische Management der Patienten während der mechanischen Thrombektomie. Hier werden zwei konkurrierende Strategien verfolgt, nämlich die primäre Intubationsnarkose versus eine oberflächliche Sedierung des spontanatmenden Patienten ("awake sedation") [9]. Viele Patienten leiden in der Akutphase des Schlaganfalles unter Sprachstörungen und anderen neuropsychologischen Defiziten, die eine sinnvolle Kommunikation behindern und während der Intervention ohne Intubationsnarkose Unruhe, Angst und psychomotorische Erregungszustände zur Folge haben können. Zudem besteht die Gefahr der Aspiration bzw. der akuten respiratorischen Insuffizienz. Die primäre Intubation birgt hingegen neben dem allgemeinen Risiko einer Notfallnarkose auch die Gefahr, die Thrombektomie zeitlich zu verzögern. Bereits laufende klinische Studien werden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahren genauer identifizieren.

In den meisten der genannten Studien zur Thrombektomie wurden ausschließlich Patienten mit Verschlüssen der vorderen Zirkulation behandelt. Die neuen Erkenntnisse sind deshalb nicht ohne Weiteres auf Verschlüsse des vertebrobasilären Systems übertragbar. Da der akute Basilarisverschluss unbehandelt meist infaust verläuft, erfolgt an den meisten Zentren in diesen Fällen eine Therapieeskalation unter Kombination von Thrombolyse mit mechanischer Thrombektomie im Zeitfenster von bis zu 12 Stunden nach Symptombeginn [10].

Fazit

  • Jeder Verdacht auf Schlaganfall ist ein Notfall und erfordert die unverzügliche Alarmierung der Rettungskette.

  • Prähospitale Behandlungsversuche mit Heparin, ASS oder anderen gerinnungshemmenden Substanzen vor der zerebralen Bildgebung sind kontraindiziert.

  • Die Basis der rekanalisierenden Therapie bei einem ischämischen Schlaganfall bleibt die intravenöse Thrombolysebehandlung mit rt-PA im Zeitfenster bis 4,5 Stunden nach Symptombeginn.

  • Bei proximalen Verschlüssen der hirnversorgenden Gefäße erhöht die mechanische Neurothrombektomie zusätzlich die Chancen auf eine gute oder vollständige Rückbildung der neurologischen Defizite.

Interessenkonflikte: Keine

Literatur

  • 1 Berkhemer OA, Fransen PS, Beumer D, van den Berg LA, Lingsma HF, Yoo AJ, et al. A randomized trial of intraarterial treatment for acute ischemic stroke. The New England journal of medicine. 2015;372(1):11-20. Epub 2014/12/18.

  • 2 Campbell BC, Mitchell PJ, Kleinig TJ, Dewey HM, Churilov L, Yassi N, et al. Endovascular therapy for ischemic stroke with perfusion-imaging selection. The New England journal of medicine. 2015;372(11):1009-18. Epub 2015/02/12.

  • 3 Goyal M, Demchuk AM, Menon BK, Eesa M, Rempel JL, Thornton J, et al. Randomized assessment of rapid endovascular treatment of ischemic stroke. The New England journal of medicine. 2015;372(11):1019-30. Epub 2015/02/12.

  • 4 Jovin TG, Chamorro A, Cobo E, de Miquel MA, Molina CA, Rovira A, et al. Thrombectomy within 8 hours after symptom onset in ischemic stroke. The New England journal of medicine. 2015;372(24):2296-306. Epub 2015/04/18.

  • 5 Saver JL, Goyal M, Bonafe A, Diener HC, Levy EI, Pereira VM, et al. Solitaire with the Intention for Thrombectomy as Primary Endovascular Treatment for Acute Ischemic Stroke (SWIFT PRIME) trial: protocol for a randomized, controlled, multicenter study comparing the Solitaire revascularization device with IV tPA with IV tPA alone in acute ischemic stroke. International journal of stroke : official journal of the International Stroke Society. 2015;10(3):439-48. Epub 2015/03/18.

  • 6 Ringleb PAea. Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalles-Ergänzung 2015. Rekanailisierende Therapie. Leitlinien der DGN. 2016.

  • 7 Emberson J, Lees KR, Lyden P, Blackwell L, Albers G, Bluhmki E, et al. Effect of treatment delay, age, and stroke severity on the effects of intravenous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from randomised trials. Lancet. 2014;384(9958):1929-35. Epub 2014/08/12.

  • 8 Kohrmann M, Schellinger PD, Breuer L, Dohrn M, Kuramatsu JB, Blinzler C, et al. Avoiding in hospital delays and eliminating the three-hour effect in thrombolysis for stroke. International journal of stroke : official journal of the International Stroke Society. 2011;6(6):493-7. Epub 2011/05/26.

  • 9 Meyers PM, Heyer EJ. Stroke: sedation and anesthesia during endovascular stroke therapy. Nature reviews Neurology. 2010;6(9):474-5. Epub 2010/09/03.

  • 10 Mattle HP, Arnold M, Lindsberg PJ, Schonewille WJ, Schroth G. Basilar artery occlusion. The Lancet Neurology. 2011;10(11):1002-14. Epub 2011/10/22.

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