Welche Medikamente kamen im vergangenen Jahr neu auf den Markt und wie ist ihr therapeutischer Nutzen im Vergleich zu den bisherigen Behandlungsoptionen zu bewerten? Prof. Dr. med. Lutz Hein, Freiburg, gab im Rahmen einer Fortbildung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) einen Überblick. Für die vier Indikationen Hepatitis C, Hämophilie, rheumatoide Arthritis und atopische Dermatitis stellte er die Therapieneuheiten vor und diskutierte sie kritisch. Jedes Jahr lässt die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) neue Arzneistoffe zu. Im vergangenen Jahr waren es 34, im Jahr 2014 sogar 46 [1]. Ein neues Medikament stellt aber nicht zwangsläufig eine Therapieverbesserung dar. Von den 31 Markteinführungen des Jahres 2016 ergab die Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) nur für 14 Medikamente tatsächlich einen Zusatznutzen, bei 11 wurde kein Zusatznutzen festgestellt, 6 wurden nicht bewertet.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt die Nutzenbewertung und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erstellt das entsprechende Dossier zum Arzneimittel. Allerdings kann das Fazit "kein Zusatznutzen belegt" einerseits bedeuten, dass das neue Arzneimittel tatsächlich nicht besser ist als bisherige Therapieoptionen, andererseits kann es aber auch nur heißen, dass das pharmazeutische Unternehmen nicht die geforderten Studiendaten vorlegen konnte, weil beispielsweise keine Vergleichsstudien durchgeführt wurden. Im Zweifel lohnt es sich, in das entsprechende Dossier zu schauen.
Hämophilie: neue modifizierte rekombinante Gerinnungsfaktoren
Die Hämophilie (Bluterkrankheit) kommt in zwei Formen vor: Bei der Hämophilie A liegt ein Mangel an Gerinnungsfaktor VIII vor und bei der selteneren Hämophilie B ist zu wenig Gerinnungsfaktor IX vorhanden. Die Therapie der Erkrankung besteht in einer Substitution des fehlenden Blutgerinnungsfaktors bei Bedarf oder auch prophylaktisch. Seit den 1990-Jahren stehen für die Hämophilie-A-Therapie humanplasmatische Faktor-VIII-Präparate zur Verfügung, die aus Spenderblut gewonnen werden. Zurzeit gibt es zehn solcher Faktor-VIII-Präparate. Seit 1999 sind zusätzlich auch rekombinante Gerinnungsfaktoren, die gentechnisch hergestellt werden, erhältlich (acht Arzneimittel). Für die Hämophilie-B-Therapie sind acht humanplasmatische und zwei rekombinante Faktor-IX-Präparate erhältlich. Allen Präparaten gemeinsam ist, dass sie aufgrund der kurzen Halbwertzeit von 12 – 19 Stunden relativ häufig injiziert werden müssen, wenn langfristig eine ausreichende Blutgerinnungsfähigkeit sichergestellt werden soll.
Die neueste Entwicklung sind rekombinante Faktoren, deren Halbwertszeit durch Kopplung mit beispielsweise Albumin oder Fc-Antikörpern deutlich verlängert werden konnte. Von diesen modifizierten rekombinanten Gerinnungsfaktoren stehen jeweils drei Präparate zur Hämophilie-A- bzw. -B-Therapie zur Verfügung. Die Halbwertszeit konnte auf rund 90 Stunden ausgedehnt werden, wodurch auch längere Applikationsintervalle möglich sind. Die neuen Präparate ermöglichen eine kontinuierliche prophylaktische Therapie der Hämophilie gegenüber der bisher überwiegend rein anlassbezogenen Gerinnungsfaktorgabe.
Nutzenbewertung des G-BA:Einer der neuen modifizierten rekombinanten Faktoren zur Hämophilie-A-Therapie ist z.B. Lonoctocog alfa (Afstyla®), der seit Februar 2017 erhältlich ist. Da die Firma keine Daten zum direkten Vergleich dieser Therapie mit einer herkömmlichen Behandlung vorlegen konnte, lautete das IQWiG-Fazit: "Zusatznutzen nicht belegt". Zum neuen modifizierten rekombinanten Faktoren Nonacog beta pegog (Refixia®), der seit Oktober 2017 erhältlich ist, liegt noch keine Bewertung zum Zusatznutzen vor.
Monoklonaler Antikörper bei atopischer Dermatitis
Zur atopischen Dermatitis (Neurodermitis) kann es bei einer entsprechenden genetischen Prädisposition kommen. Kennzeichen ist eine Störung der Hautbarriere mit Symptomen wie Ekzem, Juckreiz, Hautinfektionen und -entzündungen. Neurodermitis tritt vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern auf (23 Prozent). Bei Schulkindern sind 8 Prozent betroffen und bei Erwachsenen 2 –4 Prozent. Die leitliniengerechte Neurodermitis-Behandlung erfolgt abhängig vom Schwergrad in 4 Stufen [2]:
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Stufe 1, trockene Haut: topische Basistherapie, Vermeiden von Triggern
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Stufe 2, leichte Ekzeme: + niedrig-potente topische Kortikoide und/oder topische Kalzineurin-Hemmer
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Stufe 3, moderate Ekzeme: + höher- potente topische Kortikoide und/oder topische Kalzineurin-Hemmer
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Stufe 4, schwere Ekzeme: + systemische immunmodulierende Therapie (z.B. Ciclosporin)
Seit Dezember 2017 ist zur Behandlung von Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis der humane, monoklonale Antikörper Dupilumab (Dupixent®) verfügbar. Dieser wird subkutan alle zwei Wochen verabreicht und greift gezielt in den der Neurodermitis zugrunde liegenden Entzündungsprozess ein (hemmt Interleukin-4-Rezeptor und Interleukin-13-Signalweg). Die zulassungsrelevanten Studien (SOLO I und II) an rund 1.400 Patienten zeigten u.a. einen deutlichen Rückgang von Ekzemen und Juckreiz [3].
Die Nutzenbewertung des G-BA zu Dupilumab beginnt gerade erst.
Neue Wirkstoffe bei rheumatoider Arthritis
Zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis wurden 2017 drei neue Wirkstoffe eingeführt: die Januskinasen-Inhibitoren Baricitinib (Olumiant®) und Tofacitinib (Xeljanz®) sowie der humane Antikörper Salirumab (Kevzara®). Alle drei Präparate sind zur Therapie bei mittelschwerer bis schwerer rheumatoider Arthritis, die auf DMARDs (disease-modifying antirheumatic drugs) nicht ausreichend angesprochen hat, zugelassen. DMARDs hemmen die Entzündung und das Fortschreiten der Erkrankung. Mittel der ersten Wahl bei den DMARDs ist Methotrexat. Die neuen Wirkstoffe gehören ebenfalls zu den DMARDs.
Die europäische Rheumaliga (EULAR) empfiehlt in den aktuellen Leitlinien den Therapiestart mit Methotrexat, falls keine Kontraindikationen vorliegen, in Kombination mit kurz wirksamen Glukokortikoiden. Wenn dieses Therapieregime nicht erfolgreich ist, kann bereits im zweiten Schritt bei ungünstigen prognostischen Faktoren auf ein biologisches DMARD oder einen Januskinasen-Inhibitor gewechselt werden.
Nutzenbewertung des G-BA:In der Baricitinib-Nutzenbewertung wurde weder im direkten Vergleich zum Antikörper Adalimumab noch im Vergleich zur Kombinationstherapie von Adalimumab plus Methotrexat ein Zusatznutzen belegt. Die zugrunde liegende Vergleichsstudie zeigte allerdings eine vergleichbar gute Wirksamkeit (Nicht-Unterlegenheit) bei einer angenehmeren Verabreichungsform: Baricitinib wird oral eingenommen. Auch bei dem oralen DMARD Tofacitinib sah das IQWiG "keinen Zusatznutzen des Arzneimittels im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie". Dem humanen Antikörper Salirumab attestierte das IQWiG zumindest bei einem bestimmten Patientenkollektiv einen erheblichen Zusatznutzen.
Hepatitis-C-Behandlung
Für die Therapie der Hepatitis C stehen bereits zahlreiche hochwirksame Präparate zur Verfügung. Diese werden abhängig vom Virus-Genotyp als Kombinationstherapie eingesetzt. Zum Teil wurden Ansprechraten von 100 Prozent belegt, wobei tatsächlich das Verschwinden des Virus nachgewiesen wird [4]. Im September 2017 kamen zwei neue Kombinationspräparate auf den Markt:
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In Maviret® wurden die beiden neuen Wirkstoffe Glecaprevir und Pibrentasvir kombiniert.
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Vosevi® besteht aus drei Wirkstoffen, dem 2014 zugelassenen Sofosbuvir, dem 2016 zugelassenen Velpatasvir und dem 2017 zugelassenen Voxilaprevir.
Nutzenbewertung des G-BA:Für beide neuen Hepatitis-C-Präparate ist der Zusatznutzen gemäß IQWiG nicht belegt.
Literatur:
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[1] Schwabe et al. (Hrsg.) Arzneiverordnungs-Report. Springer Heidelberg 2017
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[2] Leitlinie Neurodermitis, 2016, AWMF-Registernummer: 013–027
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[3] Simpson et al. N Engl J Med 2016;375:2335-48
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[4] Gane et al. Gastroenterology 2016;151:651–659
Quelle: Fortbildungsveranstaltung der AkdÄ "Neue Arzneimittel 2017/2018 – eine kritische Bewertung" während des "53. Ärztekongresses im Rahmen der Fachmesse MEDIZIN", 27. Januar 2018 in Stuttgart