Hausarzt MedizinMehr als eine Verschleißkrankheit

Arthrose ist der häufigste Grund für eine Behinderung im Alter. Doch Auslöser können neben mechanischem Stress auch hormonelle oder genetische Faktoren sowie metabolische Störungen sein. Schleichende entzündliche Prozesse scheinen ebenso eine wichtige Rolle zu spielen. Neue dia- gnostische und therapeutische Verfahren erweitern heute das Behandlungsspektrum.

Arthrose sollte man als Erkrankung eines ganzen Organs betrachten, denn nicht nur der Knorpel schwindet, sondern auch die umgebenden Weichteile und die Muskulatur sind betroffen, erklärt Dr. Ingo Arnold, Rotes Kreuz Krankenhaus, Bremen. "Wir müssen weg von der monokausalen Betrachtungsweise, dass die Arthrose nur belastungsbedingt ist", forderte er. So hätten auch hormonelle Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf die Krankheitsentstehung: Frauen leiden neunmal häufiger unter Fingerpolyarthrosen als Männer. Darüber hinaus spielt die genetische Disposition eine Rolle: Das Arthroserisiko bei Nachkommen von Patienten mit Kniegelenkersatz ist erhöht [1].

Übergewicht triggert Entzündung

Adipositas ist ein wesentlicher Faktor für die Entstehung und Progression der Kniegelenksarthrose. Allerdings sei unklar, ob dies allein durch die Überlastung des Gelenks oder auch die, in weißem Fettgewebe enthaltenen, knorpelschädigenden Zytokine wie Leptin verursacht werde. Eine Gewichtsreduktion verringere daher nicht nur die mechanische Belastung, sondern wirke sich auch günstig auf den Knorpelstoffwechsel bzw. die schleichende Entzündung aus.

Ebenso scheint ein Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen zu bestehen: Studien zeigten, dass Patienten mit Arthrose überproportional häufig von Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder Myokardinfarkt betroffen sind [2]. Auch wenn die genauen Mechanismen noch unbekannt seien, scheint doch die stille Entzündung eine wichtige Rolle zu spielen, glaubt Arnold. Weitere Kombinationen könnten zytokin-gesteuert sein – so bestehen laut Arnold Korrelationen zwischen: Handarthrose und Übergewicht, Gonarthrose und der Intimadicke der Karotis sowie Arthrose der Finger-endgelenke (DIP) und Karotis-Plaques.

Sportarten mit Arthrose-Potenzial

Sportarten mit wiederholt hohen Stoßbelastungen wie Eishockey oder Basketball, können das Arthroserisiko erhöhen, wenn sie bereits im Jugendalter ausgeübt werden. Durch Scher- bzw. Extrembewegungen der Gelenke kommt es zu Veränderungen in den Wachstumsfugen [3]. Dies führt zum Aufspreizen der Wachstumszone im Oberschenkelbereich. Knöcherne Vorsprünge am gelenknahen Oberschenkelhalsknochen lösen dann Beschwerden aus (CAM-Impingement). "Wird das nicht rechtzeitig erkannt, kann der Sportler 10 bis 15 Jahre später unter Hüftgelenksarthrose leiden", so Arnold. Man sollte sich nicht mit der Diagnose "idiopathische Hüftgelenksarthrose" zufrieden geben, denn: "Die meisten Verschleißerkrankungen haben eine Ursache". Er riet, frühzeitig das Gelenk arthroskopisch zu überprüfen und gegebenenfalls präventiv zu operieren.

Mit grünem Gemüse punkten

Vitamin K beeinflusst proteinabhängige Schaltwege über das mineralisationshemmende Matrix-Gla-Protein. "Niedrige Vitamin-K-Spiegel sind mit einer höheren Arthroseinzidenz assoziiert", erklärte Arnold. So zeigten Patienten die über 10 Jahre einen Vitamin-K-Mangel hatten, eine erhöhte Gonarthroserate [4]. Der tägliche Bedarf an Vitamin K liegt bei 65 bis 80 μg, schon 10 g Petersilie decken den Tagesdarf.

Hyaluronsäure frühzeitig einsetzen

Intraartikuläre Verfahren mit Injektionen von Kortikoiden, Hyaluronsäure oder plättchenreichem Plasma scheinen besser zu helfen als die orale Gabe von NSAR [5]. Hyaluronsäure (HA) wirke am besten im Anfangsstadium der Arthrose, sagte Arnold. "Die Schmierung des Gelenks ist ein sehr empfindlicher Prozess, für den nicht nur die HA, sondern auch Phospholipide und insbesondere das Lubricin entscheidend sind". So könne die Wirkung der frühzeitig injizierten HA durch die Zugabe von Lubricin um das 10fache gesteigert werden. Das Protein verhindere frühe Zerstörungen der superfiziellen Zone im Bereich der subchondralen Grenzschicht, die für die Druckverteilung auf Knorpel und Gelenk eine wichtige Rolle spiele. Lubricin soll nächstes Jahr als Tränenersatzflüssigkeit zugelassen werden.

Welche Prävention empfehlen Sie?

Dr. Ingo Arnold: Gewichtskontrolle und körperliches Training. Bewegung bewahrt vor Funktionseinbußen und schweren Schmerzen. Krafttraining ist dabei effektiver als Ausdauertraining. Beide Formen sollten nicht während einer Trainingseinheit gemischt werden, da sich ansonsten die günstigen Effekte aufheben. Auch über 70 -Jährige können durch Kraffttraining noch wesentlich Muskeln aufbauen und zum Beispiel mit gezielten Übungen (dreimal die Woche über mindestens drei Monate) den Kniestreckmuskel stärken. Bei der Gonarthrose geht der Schmerz meist mit einer Schwächung des Kniestreckmuskels einher, der das Kniegelenk führt.

Wie kann die Arthrose künftig früher erkannt werden?

Dr. Ingo Arnold: Das Röntgenbild kommt meist zehn Jahre zu spät. Verfeinerte MRT-Verfahren können die Knorpelmorphologie verfolgen und auf makroskopisch intakten Knorpeloberflächen bereits eine abnormale Struktur nachweisen. Die Messung des Gehalts an Glykosaminoglykanen, deren Verlust als initiales Ereignis in der Arthroseentstehung gilt, kann die Entwicklung der Arthrose anzeigen. Dies ist mittels der – allerdings noch recht kostenintensiven – dGEMRIC-Technik (delayed gadolinium-enhanced MRI of cartilage) möglich. Hiermit können Knorpelveränderungen zu einem Zeitpunkt dargestellt werden, zu dem diese potenziell noch reversibel sind. Darüber hinaus können die Abbauprozesse über Stoffwechselparameter – wie Abbauprodukte des Kollagen II (CtxII) – nachgewiesen werden. Risiko-Patienten können so schneller ermittelt und Medikamente früher und damit wirksamer eingesetzt werden.

Welche zukünftigen Therapien zeichnen sich ab?

Dr. Ingo Arnold: Neben dem Schmierfaktor Lubricin, der auf die Zulassung wartet, werden künftig auch Wachstumsfaktoren therapeutische Relevanz erlangen. Sie werden mit viralen Vektoren ins Gelenk gebracht oder direkt injiziert. Valide Untersuchungen existieren bereits zum Wachstumsfaktor FGF-18 (Sprifermin), der den Knorpelabbau im Kniegelenk deutlich verzögerte.

Wir versuchen inzwischen auch bei umschriebenem Knorpelschaden im Rahmen operativer Eingriffe mit Wachstumsfaktoren beladene Matrices einzubringen und sehen, dass sich dadurch die Knorpelregeneration deutlich verbessert. Mit dem Syndecan-4-Antikörper steht möglicherweise bald ein nutzbares Biologikum für die medikamentöse Hemmung des Abbaus von Knorpel-Aggrekan zur Verfügung.

Dr. Ingo Arnold, Facharzt für Orthopädie und Chirurgie, Rotes Kreuz Krankenhaus, Bremen

Literatur

  • 1 Khan HI et al. Osteoarthritis Cartilage 2015. doi:10.1016/j.joca.2014.11.016. Epub 2014 Nov 25.

  • 2 Rahman MW et al. BMJ Open. 2015.

  • 3 Siebenrock KA et al. J Pediatr Orthop. 2013 Suppl 1: 121–125.

  • 4 Shea MK et al. Osteoarthritis Cartilage 2014. doi: 10.1016/j.joca.2014.12.008.

  • 5 Bannuru RR et al. Ann Intern Med 162 2015: 46–54.

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