Hausarzt MedizinKardiovaskuläre Prävention: Gesamtrisiko wichtiger als Einzelwerte

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weiterhin die häufigste Todesursache in Deutschland. Wie diese am besten verhindert werden können, fasst die aktuelle DEGAM-Leitlinie zusammen.

Zielgruppe der Leitlinie sind Personen, die im Rahmen der kardiovaskulären Primärprävention beraten bzw. behandelt werden, d. h. ohne bereits manifeste kardiovaskuläre Erkrankung wie koronare Herzkrankheit (KHK), Schlaganfall oder eine klinisch manifeste periphere arterielle Verschlusskrankheit. Symptomfreie Personen mit sonografischem Kalknachweis in den Karotiden, pathologischem Knöchel-Arm-Index und ähnlichen Befunden fallen ebenso in den Geltungsbereich der Leitlinie.

Kardiovaskuläres Risiko

Zur Risikoabschätzung soll ein evaluiertes Instrument verwendet werden. Im hausärztlichen Bereich ist hierfür der arriba-Rechner geeignet. Außer bei Extremwerten (systolischer Blutdruck über 200 mmHg, Cholesterin über 360 mg/dl)sollen sich Therapieentscheidungen nach der Höhe des kardiovaskulären Risikos richten und nicht nach einzelnen Messwerten.

Nichtmedikamentöse Behandlung

Menschen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko sollen bezüglich gesundheitsbezogener Verhaltensweisen (Bewegung, Ernährung, Rauchstopp) beraten werden. Die Veränderungsbereitschaft wie auch psychosoziale Faktoren sollen erfasst und berücksichtigt, Folgekontakte vereinbart werden. Die Lebensstilberatung sollte nach dem 5-A-Schema erfolgen (Tab. 1).

Körperliche Aktivität sollte möglichst an 5 Tagen/Woche mindestens je 30 Minuten lang erfolgen. Dabei zählen alle Arten von körperlicher Bewegung. Bei allen Patienten sollte der Nikotinkonsum erfragt und dokumentiert werden. Es soll empfohlen werden, das Rauchen vollständig einzustellen. Der Anteil gesättigter Fette an den Nahrungsfetten sollte möglichst gering sein. Der tägliche Kochsalzkonsum sollte unter 6 g beschränkt werden. Vitamine und Antioxidanzien sollten nicht generell empfohlen, und Vitamin B und Folsäure nicht bei unselektierten Patienten zur Senkung des kardiovaskulären Risikos verwendet werden.

Bluthochdruck

Eine Blutdruckmessung sollte im Regelfall alle zwei Jahre im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung erfolgen. Ausreichende körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und Nichtrauchen sollen vor jeder medikamentösen Intervention besprochen werden bzw. diese begleiten. Die Indikation zur Blutdrucksenkung richtet sich nach Blutdruckwert und Gesamtrisiko (Tab. 2). Ziel der antihypertensiven Behandlung ist die Reduktion des kardiovaskulären Gesamtrisikos. Im Allgemeinen soll ein Blutdruck von maximal 140 mmHg systolisch angestrebt werden.

Bei kardiovaskulärem 10-Jahres-Risiko unter 20 Prozent sollte ein Behandlungsversuch mit einer Lebensstiländerung für 4 bis 6 Monate (systolischer Blutdruck 140–159 mmHg) oder für einige Wochen (systolischer Blutdruck 160–179 mmHg) empfohlen werden. Eine medikamentöse antihypertensive Therapie sollte bei Nichterreichen des Blutdruckzielwertes nach diesem Intervall empfohlen werden sowie bei einem kardiovaskulären 10-Jahres-Risiko von 20 Prozent und höher und einem systolischen Blutdruck von 140–179 mmHg. Bei Personen mit einem systolischen Blutdruck von 180 mmHg oder höher sollte eine zeitnahe medikamentöse Behandlung empfohlen werden. Die Auswahl des Antihypertensivums sollte nach Wirksamkeit, Verträglichkeit, Begleiterkrankungen und Kosten erfolgen. Bei Personen über 80 Jahren kann über Therapiebeginn bzw. -stopp individuell entschieden werden.

Lipidstoffwechsel

Vor Beginn einer lipidsenkenden Behandlung sollten sekundäre Hyperlipoproteinämien bedacht werden (z.B. Hypothyreose). Die Indikation für eine Statintherapie ist vom Risiko abhängig. Bei einem absoluten 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse über 20 Prozent sollte eine Statintherapie angeboten werden (Tab. 2). Bei Patienten mit einem absoluten 10-Jahres-Risiko von 10 bis 20 Prozent und deutlich erhöhtem altersbezogenem Risiko kann eine medikamentöse Behandlung nach individueller Beratung erwogen werden. Bei Erhöhung des Gesamtcholesterins über 8 mmol/l (über 310 mg/dl) sowie bei familiärer Hypercholesterinämie sollte eine lipidsenkende Therapie (primär: Statine) empfohlen werden.

Eine Statinbehandlung sollte in einer Standarddosierung erfolgen (insbesondere Simvastatin oder Pravastatin 20–40 mg/Tag). Bei Muskelschmerzen unter Statingabe sollte eine Dosisreduktion oder ein Wechsel auf ein anderes Statin erfolgen bzw. sollten Statine abgesetzt werden.

Fibrate sollten nur bei Statin-Unverträglichkeit und dann nur bei Triglyzeridwerten über 2,3 mmol/l (über 200 mg/dl) und einem HDL-Cholesterin unter 1 mmol/l (unter 40 mg/dl) erwogen werden. Eine Kombination verschiedener Lipidsenker wird nicht empfohlen.

Gerinnungshemmung

Hochrisikopatienten (kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko über 20 Prozent) sollten ASS 75–100 mg angeboten bekommen. ASS sollte nicht eingesetzt werden, wenn der Blutdruck unkontrolliert erhöht ist (systolisch über 180 mmHg). Clopidogrel sollte nur bei ASS-Unverträglichkeit eingesetzt werden. Eine duale Plättchenhemmung soll in der Primärprävention nicht eingesetzt werden.

Bei Vorhofflimmern soll mit dem Patienten das Schlaganfallrisiko und das einer gerinnungshemmenden Therapie anhand eines validierten Risikoscores besprochen und auf dieser Grundlage gemeinsam über eine Behandlung entschieden werden. Bei einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten wegen Vorhofflimmern sollte in der Regel eine Ziel-INR von 2–3 angestrebt werden.

Diabetes

Ein generelles Screening auf Diabetes sollte nicht erfolgen. Wenn Erwachsene dennoch auf Diabetes untersucht werden sollen, kann dies alle 2 Jahre im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung geschehen. Orale Glukosetoleranztests sollten in der Hausarztpraxis nicht routinemäßig durchgeführt werden. Auch bei Menschen mit Diabetes soll das kardiovaskuläre Risiko (Herzinfarkt und Schlaganfälle) kalkuliert werden.

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte nicht regelmäßig das Mikroalbumin im Urin bestimmt werden. Dagegen soll bei Menschen mit Typ-1-Diabetes jährlich das Mikroalbumin im Urin bestimmt und bei Vorliegen einer Mikroalbuminurie das kardiovaskuläre Risiko in dreifacher Höhe kalkuliert werden.

Eine medikamentöse Senkung des HbA1c unter 6,5 Prozent bringt keinen Nettonutzen und soll daher nicht zur kardiovaskulären Prävention eingesetzt werden. Zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte Metformin eingesetzt werden, wenn mit Veränderungen des Lebensstils keine befriedigende HbA1c-Senkung erzielt wird. Zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Menschen mit Typ-1-Diabetes soll eine HbA1c-Senkung auf 7,0 Prozent angestrebt werden.

Fazit

Die DEGAM-Leitlinie zur kardiovaskulären Prävention legitimiert an vielen Stellen, was Hausärzte ohnehin tun: nicht einzelnen Messwerten zu sehr vertrauen, sondern einen Blick auf die Gesamtheit der Risikofaktoren werfen. Viele hausärztlich Tätige tun sich zu Recht schwer damit, bei Patienten mit leicht erhöhten Blutdruck- oder Cholesterinwerten eine antihypertensive bzw. Statin-Behandlung zu beginnen, wenn keine weiteren Risikofaktoren bestehen.

Neu dürften für einige der hausärztlich Tätigen folgende zentralen Aussagen der Leitlinie sein:

  • Die Notwendigkeit von Lipidkontrollen entfällt unter der Einnahme eines Statins.

  • Auch bei Patienten mit Diabetes lohnt die Risikokalkulation. Diabetes bedeutet nicht per se ein hohes Risiko.

  • Die zusätzliche Aussagekraft eines Mikroalbumin-Nachweises bei Diabetespatienten ist gering. Die routinemäßige Bestimmung dieses relativ teuren Laborwerts, der zudem bei pathologischem Resultat einen Bestätigungstest braucht, ist entbehrlich.

  • Setzen Sie zur Lipidsenkung in der Primärprävention regelhaft keine anderen Substanzen ein als Statine in Standarddosis – meist Simvastatin oder Pravastatin.

  • Nutzen Sie arriba, wenn Sie oder Ihre Patienten sich unsicher sind, ob eine primärpräventive medikamentöse Behandlung sinnvoll ist.

Literatur: DEGAM S3-Leitlinie "Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskularen Prävention" (Download unter www.degam.de/degam-leitlinien-379.html)

Mögliche Interessenkonflikte: Beide Autoren haben seit Jahren für die DEGAM an der S3-Leitlinie "Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention" teilgenommen. Sie verdienen mit jeder Gesundheitsuntersuchung nach §25 SGB V extrabudgetäres Honorar von 32,98 Euro und haften mit ihrem Honorar für die von ihnen verursachten Medikamentenverordnungen. Weitere Interessenkonflikte haben sie nicht.

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