Die Haupttodesursache von Frauen und Männern ist Herztod. Dieser war sehr lange männlich besetzt, vor allem die koronare Herzkrankheit (KHK). Hauptursache war wohl ein Awareness-Problem: Herzinfarkt galt als Managerkrankheit, obwohl seit Jahrzehnten in Europa etwas mehr Frauen als Männer pro Jahr am Herztod sterben.
Dies führte zu Nachteilen für Herzpatientinnen beim Zugang zur kardiologischen Diagnostik und Therapie. Die Frauengesundheitsforschung zeigte das Problem auf am bekanntesten ist wohl das „Yentl Syndrome“ von Bernadine Healy im New England Journal of Medicine 1991.
Zahlreiche Untersuchungen ergaben trendmäßig dieselben Befunde: Frauen haben längere Wege zur Spitzenmedizin. Frauen haben geringere Chancen auf alle Maßnahmen, sie sind älter beim Auftreten von koronaren Herzerkrankungen und erhalten in einem späteren Stadium eine Behandlung, was auch zu einem erhöhten Operationsrisiko führt.
Die Folge waren viele Awareness-Aktionen, etwa Go Red, der Herz-Frauentag und Frauengesundheitszentren. Das ernüchternde Ergebnis zwanzig Jahre nach „Yentl Syndrome“: Es war viel Öffentlichkeitsarbeit geleistet worden, es hatte sich auch viel geändert, die Trends aber blieben erhalten. Chancengleichheit ist auch in diesem Fall nicht wirklich eingetreten.
Für Chancengleichheit sorgen
Ist KHK bei Frauen und Männern dieselbe Krankheit? In der Regel bewährt sich in der Medizin der Gleichheitsanspruch nicht wirklich, da Krankheiten bei Männern und Frauen häufig in unterschiedlichen Prozentsätzen, unterschiedlichem Alter und unterschiedlichem Schweregrad auftreten und oft auch eine unterschiedliche Diagnostik und Therapie erfordern.
Zahlreiche Studien zeigen, dass es auch bei KHK Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt: So haben Frauen bei grundsätzlich schon kleineren Herzkranzgefäßen Verkalkungen häufig in kleinen Gefäßen, was die Möglichkeiten für Herzkatheter und Bypass-Operationen erschwert.
Zusätzlich kommt es bei ihnen öfter zu Spasmen und Plaques, die auch ruptieren können. Auch wissen wir seit der Framingham Studie, dass koronare Herzkrankheiten bei Frauen in der Regel um Jahre später auftreten als bei Männern und Frauen häufiger Komorbiditäten zeigen.
Das alles beeinflusst natürlich das Outcome. Durch die Einführung von Quoten ist das Problem somit nicht zu lösen: Frauen und Männer brauchen nicht Gleichbehandlung, sondern Chancengleichheit.
Leitlinien anpassen
Wir Gender-MedizinerInnen streben an, möglichst viel von dem gesicherten evidenzbasierten Wissen zu Geschlechtsunterschieden in Guidelines zu implementieren oder eigene Guidelines für Frauen zu erreichen.
Dies wäre eine wichtige Hilfe, um neue medizinische Erkenntnisse einzuführen. Allerdings bleiben hier noch viele Wünsche offen. Es gibt zwar vereinzelte Hinweise, aber viele Informationen zu Frauengesundheit und Gender-Medizin fehlen noch in den Leitlinien.
Gerade im niedergelassenen Bereich erschwert dies den Umgang mit Erkenntnissen der Gender-Medizin und die Information der PatientInnen: Hier ist es sehr schwierig, ohne entsprechende Richtlinien von Fachgesellschaften neue Empfehlungen auszusprechen.
Auch fordern viele Patientinnen, die durch Publikumsveranstaltungen oder Medien von den Erkenntnissen der Gender-Medizin erfahren haben, diese in ihre Behandlung einzubeziehen. Hier wäre mehr Engagement der Fachgesellschaften dringend erforderlich.
Ein zwischenzeitlich hilfreiches EU-Projekt ist GenCAD, dessen Ziel es ist, Factsheets zu Geschlechtsunterschieden in Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation von häufigen Krankheiten zu erarbeiten und die- se dann breit zu verteilen.
Das erste Factsheet erstellten die ExpertInnen zu KHK. Dafür erfassten sie etwa 1.000 Artikel der letzten 15 Jahre zu Geschlechtsunterschieden bei KHK und erarbeiteten daraus Empfehlungen. Die Factsheets sollen Leitlinien nicht ersetzen, sondern im Gegenteil dazu anregen, die Guidelines auch um alle Erkenntnisse zu Geschlechtsunterschieden zu ergänzen.
„DIE Frau“ gibt es nicht
Wenn wir über Geschlechtsunterschiede bei Herzkrankheiten diskutieren, dürfen wir auch die anderen Diversitas-Gruppen nicht außer Acht lassen – etwa Alter, Ethnie, soziale Situation, Migration, Flucht, sexuelle und religiöse Orientierung, chronische Krankheit und Behinderung.
Für alle diese Untergruppen brauchen wir wissenschaftliche Untersuchungen und Daten, wollen wir doch allen unseren PatientInnen maßgeschneiderte und auf Evidenz beruhende medizinische Empfehlungen anbieten.
Fazit
Frauen und Männer haben etwa dasselbe Herzrisiko. Prävention, Diagnose und Therapie sollten daher für beide Geschlechter in gleichem Ausmaß angeboten werden. Zwar gibt es nicht flächen-deckend getrennte Guidelines für Frauen und Männer bei Herzerkrankungen, aber es lohnt sich, bei den Fachgesellschaften danach zu suchen.
Zu empfehlen sind zudem die EU-Factsheets zu koronarer Herzkrankheit speziell für Frauen mit Empfehlungen zu Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation (s. Link-Tipp).
KOMMENTAR
LINK-TIPP
Die EU-Factsheets zu KHK finden Sie unter www.hausarzt.link/vjwAD, Eine Broschüre richtet sich an das Medizinpersonal, eine weitere an die PatientInnen.
Literatur bei der Verfasserin.
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.