© Privat Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IHF)
„Unsere stärkste Karte ist das Vertrauenverhältnis“
Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IHF)
1. Wie nähern sich Hausärztinnen und Hausärzte beim Thema Impfen ihren Patientinnen und Patienten an?
In unserer Praxis erfassen wir strukturiert den Impfstatus aller Patientinnen und Patienten. Aktuell bedeutet das: Wir fragen ganz offen, ob er oder sie gegen das Coronavirus geimpft ist oder nicht. So wird relativ rasch klar, ob ein Informationsdefizit vorliegt. Dann frage ich ganz offen, wo Bedenken liegen oder Unsicherheiten bestehen.
2. Ist das mit jedem Patienten möglich – oder sind manche gar nicht erst gesprächsbereit?
Bei dieser gezielten Ansprache spüre ich, wenn mir ein grundsätzlicher Impfgegner gegenübersteht. Das betrifft in meiner Praxis etwa jeden zehnten aktuell noch Ungeimpften. Das hat dann aber nichts mehr mit Covid-19 zu tun, sondern es handelt sich um eine grundsätzliche Ablehnung von Impfungen. Da steige ich nicht weiter ins Gespräch ein, sondern nehme diese Haltung einfach zur Kenntnis. Sobald ich jedoch eine gewisse Offenheit spüre und mangelnde Aufklärung vermute, spreche ich das direkt an.
3. Wie können Sie diesem Informationsdefizit im Gespräch entgegenwirken?
Viele berichten mir, wenn ich nach Unsicherheiten frage, erst einmal von anderen Fällen: vom Nachbarn etwa, der nach der Impfung drei Tage lang flachgelegen hat. Dann erkläre ich, was typische Nebenwirkungen sind und dass diese nicht nur negativ sind. Im Gegenzug kann ich von schwierigen Verläufen berichten. Wir hatten in unserer Praxis Fälle, die wirklich schwer betroffen waren und noch immer sind. Das kann ich dann auch sehr authentisch darstellen. Daraufhin muss der Patient oder die Patientin abwägen. Ich überzeuge nicht jeden zur Impfung – im Gegenteil –, aber basierend auf diesen Informationen kann mein Gegenüber für sich eine Entscheidung fällen. Darum geht es.
4. Was ist in diesem Gespräch denn das beste “Instrument”: Evidenz, möglichst einfache Worte, die eigene Vorbildrolle?
Unsere stärkste Karte als Hausärztinnen und Hausärzte ist das Vertrauensverhältnis. Wenn ich als Hausarzt sage “Ich an Ihrer Stelle würde das machen”, wirkt das meiner Erfahrung nach besser, als wenn ein Professor Evidenzen vorträgt. Das gilt übrigens auch für unsere Medizinischen Fachangestellten (MFA) und Versorgungsassistenzen in der Hausarztpraxis (VERAH): Auch ihre Meinung zählt dank ihres oft langjährigen Vertrauensverhältnisses viel.
LINK-TIPP
Der Bayerische Hausärzteverband stellt seinen Mitgliedern Poster und Praxis-Flyer zur Impf-Motivation zur Verfügung. Sie können kostenfrei nachbestellt werden: www.hausaerzte-bayern.de im Bereich Service -> Bestellservice
PODCAST-TIPP
Das gesamte Interview mit Dr. Hans-Michael Mühlenfeld zum Anhören: www.hausarzt.digital/podcast oder unter dem Suchbegriff “HörBesuch” in Ihrem gewohnten Player (Apple, Google Podcasts, Spotify, Deezer). Hörzeit: 15 Minuten
Unsicherheit Lieferengpässe: Ausweichen auf Kombi-Impfstoff jetzt möglich
Auch immer wieder auftretende Lieferengpässe können Vertrauen in die Impfungen ankratzen. Denn gerade, wenn Impfungen öffentlichkeitswirksam beworben werden, zeigen sich Patientinnen und Patienten mitunter verunsichert, wenn die entsprechenden Impfstoffe fehlen, wie Hausarztpraxen nicht zuletzt jede Grippe-Saison aufs Neue beobachten.
Der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) hat daher im August die Schutzimpfungs-Richtlinie angepasst, basierend auf neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO). Bei Lieferproblemen können demnach auch Kombinationsimpfstoffe mit einem zusätzlichen Antigen zur Anwendung kommen – auch wenn diese nicht wirtschaftlich wären.
Wichtig in der Praxis: Sind Impfstoffe gegen Tetanus/Diphtherie/Keuchhusten (Pertussis), Masern/Mumps/Röteln oder Hepatitis B für Arztpraxen nicht verfügbar, kann alternativ auf eine Impfstoffkombination mit einem zusätzlichen Antigen ausgewichen werden, um eine zeitgerechte Impfung zu ermöglichen. Bei Impfungen gegen Pneumokokken und Herpes zoster sollen Ärzte dagegen die Impfung verschieben.
Mehr dazu online unter www.hausarzt.link/UHaDP
Fazit fürs Arzt-Patienten-Gespräch
“Unsichere Zögerer” sollten über den individuellen Nutzen und die Wichtigkeit beispielsweise hoher Impfquoten informiert werden, raten die Autoren der Cosmo-Studie [1]. Argumente können im Fall von Covid-19 der eigene Schutz vor schweren Verläufen und Hospitalisierung, aber auch der Schutz anderer sowie die Rückkehr in ein normales Leben sein.
Skeptische Menschen suchen oft nach Evidenz, um ihre Meinung zu bilden. Im Gespräch kann es daher helfen, die Evidenz jeder Diagnostik, Therapie oder Impfung hervorzuheben. Hilfreich kann sein, schriftliche Informationen an die Hand zu geben. Tipp: “Der Hausarzt” und das IHF stellen eine Reihe qualitätsgesicherter Patienteninformationen, auch rund um die Corona-Impfung, bereit: www.hausarzt.digital/covid19 .
Hausärztinnen und Hausärzte sind Vertrauenspersonen. Gehen sie offen mit der eigenen Impfung und möglicherweise auch Unsicherheiten um, so kann das überzeugen.