IMPFEN
Aus Gründen der klareren Zuordnung wird die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut Berlin beginnend mit 2022 ihre Empfehlungen jeweils am Anfang eines Jahres veröffentlichen.
Darauf wies Dr. Anke Richter- Scheer in ihrem Vortrag “Vier Themen kurz und kompakt” im Rahmen der practica Ende Oktober in Bad Orb hin. Die STIKO-Impfempfehlungen sollen wie in den letzten Jahren als “Ausgabe 2021” im Heft 34 des Epidemiologischen Bulletins den Übergang zu diesem neuen Veröffentlichungszyklus herstellen.
Eine der wesentlichen inhaltlichen Änderungen und Ergänzungen zu den Empfehlungen 2020/2021 ist die Empfehlung eines Influenza-Hochdosisimpfstoffes für Personen im Alter von mindestens 60 Jahren.
Zudem wurden die FSME-Risikogebiete aktualisiert; neu hinzugekommen sind der bayerische Landkreis Dillingen an der Donau, der hessische Landkreis Fulda, die Landkreise Mittelsachsen in Sachsen und Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt sowie in Thüringen der Landkreis Weimarer Land.
Verstärkt werben sollten Hausärzte für die Influenza-Impfung. Von der avisierten Impfquote von 75 Prozent ist Deutschland mit einer Quote von zuletzt knapp 39 Prozent weit entfernt. Im Corona-Winter 2020/2021 gab es in Folge des Lockdowns praktisch keine Influenzawelle.
An die Impfbereitschaft der Generation 60 plus, die als besonders gefährdet gilt – 90 Prozent der Grippetoten sind älter als 60 Jahre –, sollte gerade deshalb aber explizit appelliert werden, um die generelle Wichtigkeit der Impfung zu betonen.
“Neben Covid 19 gilt die Influenza als die Infektionserkrankung, bei welcher der Anteil der verlorenen Lebensjahre am höchsten ist”, sagte Anke Richter-Scheer. Mit der Infektion einher gehe ein “10-fach erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder Apoplex”.
Die Allgemeinmedizinerin zitierte eine aktuelle dänische Studie, wonach die Gesamtmortalität bei Herzinsuffizienz nach Influenza-Immunisierung gesenkt sei.
Wichtig zu wissen: Aufgrund einer geringfügigen, aber signifikanten Überlegenheit der Impfeffektivität bei älteren Menschen wird für alle Personen, die mindestens 60 Jahre alt sind, ein inaktivierter quadrivalenter Hochdosis-Impfstoff mit aktueller von der WHO empfohlener Antigenkombination empfohlen.
Die Schutzwirkung soll länger anhalten, mit ausgeprägteren lokalen Impfreaktionen ist zu rechnen.
ANTIBIOTIKA
Im Hinblick auf die aktuellen Antibiotika-Empfehlungen erinnerte Anke Richter-Scheer daran, dass Viren mit Abstand die häufigsten Erreger einer akuten Bronchitis seien und eine Antibiotikagabe in diesen Fällen nicht indiziert sei.
Sie zitierte eine Umfrage aus dem Jahr 2017 unter Allgemeinärzten in Deutschland, wonach die Hälfte der Antibiotikaverordnungen bei Atemwegsinfektionen nicht leitlinienkonform verabreicht sei.
Eine italienische Studie aus dem Jahr 2018 komme zum Ergebnis, dass in 70 Prozent der Fälle ein Antibiotikum ohne medizinische Indikation verordnet werde. Angesichts zunehmender Resistenzen sei das ein gravierendes Problem.
Zu den häufigsten Konsultationsfällen, bei denen eine Antibiotikagabe im Raum steht, zählten im hausärztlichen Alltag pulmonale Erkrankungen, abdominelle Infektionen, Harnwegsinfekte sowie Haut- und Weichteilinfektionen.
Eine Pneumonie könne antibiotisch gut ambulant behandelt werden, bei nososkomialen Erkrankungen sei die Gefahr resistenter Keime im Blick zu behalten.
Verstärkt diskutiert werde in Deutschland eine ambulante parenterale Antibiotikatherapie (APAT). In den USA sei diese schon lange Usus, sagte Anke Richter-Scheer; in Deutschland gibt es trotz klarer Vorteile für den Patienten – gesteigerte Lebensqualität, höhere Zufriedenheit, Reduktion des Risikos einer nosokomialen Infektion – nur wenige darauf spezialisierte Zentren.
Kritisch zu sehen aus hausärztlicher Sicht seien der vergleichsweise große Aufwand und die enormen Kosten. Aktuell laufe an der Universität Köln eine Studie mit 120 Patienten, die das Potential einer APAT analysieren solle, um zu Struktur und Konzept beizutragen.
Fazit: Richter-Scheer empfahl, auf Breitspektrumantibiotika nach Möglichkeit ganz zu verzichten, die korrekte Dosierung mit dem Patienten zu besprechen, eine Therapie erst gezielt nach Erregerhinweis zu beginnen und als Entscheidungshilfe CRP und PCT heranzuziehen. Auch die Therapiedauer zu verkürzen könne in Erwägung gezogen werden.
VOLUMENMANGEL
Beim Thema Volumenmangel dürfte der Einsatz von SGLT-2-Inhibitoren eine der interessantesten aktuellen Entwicklungen sein. Sie können neueren Studien zufolge effektiv das Fortschreiten einer Nierenerkrankung verlangsamen, und zwar sowohl bei Patienten mit Diabetes als auch bei Nicht-Diabetikern.
Erfolge zeigt diese Therapie insbesondere auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz. “Empagliflozin führt zu einer deutlichen Zunahme des Urinvolumens ohne signifikante Zunahme der Natriumausscheidung”, sagte Richter-Scheer. Nicht eingesetzt werden dürfen die Präparate nach der aktuellen roten Liste bei Patienten mit Typ 1-Diabetes.
Wichtig zu wissen: Um stationäre Aufenthalte zu verhindern ist ein Monitoring von Trinkzufuhr, Körpergewicht und RR-Kontrolle wichtig. Bei chronisch Nierenkranken ist die Einschränkung der Kochsalzzufuhr effektiver als eine alleinige Flüssigkeitsrestriktion.
ÜBERVERSORGUNG
Ein großes Thema ist die Vermeidung von Überversorgung. Ziel sei immer der informierte Patient, der Nutzen von Verordnungen sei gegen einen möglichen Schaden abzuwägen. Der Wunsch, einzelne Erkrankungen optimal zu versorgen führe häufig zu einer Übermedikation.
Hier gelte es zu überlegen, welche Medikamente reduziert oder ganz abgesetzt werden könnten. Dies müsse nicht zwangsläufig eine Unterversorgung zur Folge haben.
Das Problem: “Evidenzen zur Reduktion von Multimedikation und Absetzen von Medikamenten gibt es kaum”, so Richter-Scheer. Sie zitierte eine kanadische Arbeitsgruppe, wonach bei kardial nicht vorbelastenden Personen ein Routine-EKG häufiger eine kardiale weiterführende Diagnostik einleitete.
Tipp: Als Entscheidungshilfen für den praktischen Alltag können die FORTA- und die Priscus-Liste zur Medikation im Alter dienen.