Auswertung des Robert Koch-InstitutsDeutschland: Impflücken wohin man schaut

Der Schutzschirm durch Impfungen gleicht in Deutschland einem Regenschirm mit großen Löchern, wie Professor Klaus Überla, ehemaliger Vorsitzender der STIKO, es formuliert. Kritisch ist derzeit vor allem der fehlende Schutz vor Polio und Pertussis bei Kleinkindern.

Bei Erwachsenen sind die Impflücken in Deutschland am größten.

Menschen aller Altersgruppen sind in Deutschland nur unzureichend vor Infektionskrankheiten geschützt. So lautet die Bilanz des Robert Koch-Instituts (RKI), das regelmäßig vertragsärztliche Kassendaten zu den in Deutschland empfohlenen Impfungen auswertet.

Aktuell wichtig: Polio- und Pertussis-Impfung

  • Besonders relevant ist derzeit die Polio-Impfung, nachdem im Abwasser mehrerer deutscher Städte Schluckimpfstoff-abgeleitete Polio-Viren nachgewiesen wurden („Der Hausarzt“ berichtete). Das RKI meldet, dass mehr als eine halbe Million Kinder eines Geburtsjahrgangs zum 1. Geburtstag noch keinen vollständigen Polio-Impfschutz aufweisen. Es bestehen große regionale Unterschiede im Polioimpfschutz, mit Impfquoten von weniger als 60 Prozent im Alter von zwei Jahren in manchen Landkreisen. Um Fälle von Kinderlähmung zu verhindern, müssen Impfserien möglichst zeitnah abgeschlossen und bestehende Impflücken dringend geschlossen werden.
  • Außerdem wichtig ist die Pertussis-Impfung: 2024 wurde mit über 22.000 Infektionen die bisher höchste Fallzahl seit Einführung der Meldepflicht verzeichnet („Der Hausarzt“ berichtete). Die Mehrheit der übermittelten Fälle war ungeimpft oder hatte keine von der STIKO empfohlene Auffrischimpfung erhalten. Bei 81 Prozent der Säuglinge wurde eine (von der STIKO empfohlene) Pertussis-Impfung der Mutter in der Schwangerschaft verneint. Säuglinge, bei denen eine Keuchhustenerkrankung tödlich verläuft, sind in der Regel Kinder, die weder durch eigene Impfung noch durch eine Pertussis-Impfung der Mutter in der Schwangerschaft geschützt sind.

Impfquoten bei Kindern

Die Impfquoten bei Kindern und Jugendlichen liegen laut RKI-Angaben insgesamt auf einem hohen Niveau. Allerdings werden Impfserien häufig erst später als empfohlen oder gar nicht abgeschlossen.

  • Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio und Hib: 2020 gab es bei der Sechsfachimpfung eine Änderung der STIKO-Impfempfehlung zum neuen 2+1-Schema: Damit entfällt eine Impfstoffdosis im Alter von drei Monaten. Die Gabe der 3. und letzten Impfstoffdosis der Grundimmunisierung wird nun mit elf Monaten statt zuvor mit vier Monaten empfohlen. Allerdings: „Seit dem Geburtsjahrgang 2020 ist ein Absinken der dritten DTP-Impfquote auf zuletzt (2021) 64 Prozent mit 15 Monaten zu beobachten“, fasst das RKI zusammen. 36 Prozent aller Kinder hatten also im empfohlenen Alter noch keine 3. Impfstoffdosis erhalten.
  • Hepatitis B und Pneumokokken: Im Alter von 24 Monaten sind nur 75 Prozent der Kinder vollständig gegen Hepatitis B geimpft und 74 Prozent gegen Pneumokokken. Rund jedes vierte Kind ist zum empfohlenen Zeitpunkt also nicht vollständig immunisiert.
  • Masern, Mumps, Röteln und Varizellen: Während die erste MMR-Impfung noch relativ viele Kinder erhalten (2022 und 2023 84 bzw. 87 Prozent), haben im Alter von 24 Monaten zuletzt nur 77 Prozent der Kinder die zweite Impfstoffdosis erhalten und sind damit vollständig geimpft. Die Varizellen-Impfung wird oftmals gleichzeitig mit der MMR-Impfung verabreicht, die 2. Impfstoffdosis wird als Kombinationsimpfung MMR-Varizellen (MMRV) empfohlen. Zuletzt lag die Impfquote für die 2. Impfstoffdosis gegen Varizellen mit 73 Prozent aber etwa vier Prozentpunkte unter der Masernimpfquote im Alter von 24 Monaten. Bei der MMR-Impfquote zeigen sich regionale Unterschiede besonders deutlich: Die Spannweite zwischen dem Bundesland mit der niedrigsten Impfquote (55 Prozent in Sachsen) und dem Bundesland mit der höchsten Impfquote (84 Prozent in Schleswig-Holstein) betrug zuletzt ganze 29 Prozentpunkte.
  • Rotavirus: Seit Einführung der Impfung stieg die Rotavirus-Impfquote von 54 Prozent im Jahr 2014 auf 69 Prozent im Jahr 2020 und bleibt seitdem stabil (zuletzt 68 Prozent im Jahr 2022).
  • Meningokokken C: Seit 2010 stiegen die Meningokokken-C-Impfquoten im Alter von 24 Monaten von 73 Prozent auf zwischenzeitlich 82 Prozent im Jahr 2021, um dann wieder auf einen Wert von zuletzt 77 Prozent zurückzugehen. Eine mögliche Erklärung für dieses Absinken ist eine potenzielle Konkurrenz durch andere Impfungen rund um den 1. Geburtstag und ausbleibendes Nachholen der Impfung im 2. Lebensjahr, schreibt das RKI.
  • HPV: Bei 15-jährigen Mädchen hat die HPV-Impfung 2021 ein Plateau erreicht und liegt aktuell bei 55 Prozent. Bei den 15-jährigen Jungen waren zuletzt nur 34 Prozent vollständig geimpft. „Diese Zahlen verdeutlichen, dass ein Großteil der Jugendlichen ohne ausreichenden Schutz vor HPV-assoziierten Krebserkrankungen ins Erwachsenenleben startet“, resümiert das RKI. Die Impfquoten variieren dabei regional erheblich: Unter den 15-jährigen Jugendlichen im Jahr 2023 waren im Landkreis Mühldorf am Inn, Bayern, gerade einmal 27 Prozent der Mädchen und nur 9 Prozent der Jungen vollständig geimpft. Im Stadtkreis Dessau-Roßlau, Sachsen-Anhalt, waren hingegen mit 81 Prozent bei den Mädchen und 72 Prozent bei den Jungen wesentlich mehr Jugendliche vor HPV-assoziierten Krebserkrankungen geschützt.

Impfquoten bei Erwachsenen

Die Quoten bei den empfohlenen Impfungen für Erwachsene sind besonders schlecht:

  • Covid-19 und Influenza: In der Saison 2023/24 ließen sich nur 16 Prozent der Personen ab 60 Jahren wie empfohlen gegen Covid-19 impfen. Damit ließen sich deutlich weniger Senioren gegen Corona als gegen saisonale Influenza impfen (38 Prozent in der Saison 2023/24), obwohl beide Vakzinen gleichzeitig verabreicht werden können.
  • Pneumokokken: In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen (ohne impfrelevante Grunderkrankungen) stieg die Impfquote zunächst von 12 im Jahr 2016 auf 20 Prozent im Jahr 2020 und stagniert seitdem auf niedrigem Niveau.

Gründe für die schlechten Impfquoten

„Aufschlussreich für die geringe Agilität in Deutschland ist die Tatsache, dass die Einführung der Masern-Impfpflicht bislang zu keiner wesentlichen Steigerung der Impfquoten gegen Masern geführt hat, obgleich Verstöße mit Busgeldern von bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Möglicherweise gibt es hier keine Umsetzung der Strafandrohung. Ebenso wenig hat die neue Option der Grippeschutzimpfung in Apotheken die Impfquote gegen Influenza befördert. Mir scheinen daher andere, weniger aktivistische und publizitätsträchtige Maßnahmen wirkungsvoller“, fasst Professor Hartmut Hengel, ehemaliges Mitglied der STIKO, in einem Bericht des „Science Media Centers“ zusammen.

Dazu gehörten die Etablierung von Schulimpfungen gegen HPV, Catch-up-Impfprogramme durch Betriebsmediziner und die gezielte Einladung zum Hausarztbesuch für ältere Menschen. Bei Erwachsenen seien die Impflücken in Deutschland am größten. Sinnvoll sei daher auch die Einführung eines elektronischen Impfregisters, das bei jedem Arztbesuch Auskunft über individuelle Impflücken des gibt.

„Der Schutzschirm durch Impfungen gleicht in Deutschland weiterhin einem Regenschirm mit großen Löchern,“ fügt Prof. Klaus Überla, ebenfalls ehemaliges STIKO-Mitglied, hinzu. Das RKI sieht auch Ärztinnen und Ärzte in der Pflicht und betont: „Impflücken können gravierende Folgen für die einzelnen Menschen wie auch für die gesamte Bevölkerung haben. Ärztinnen und Ärzte sowie anderes medizinisches Personal sollten jeden Kontakt mit ihren Patientinnen und Patienten nutzen, um den Impfstatus zu überprüfen und ggf. Impfungen nachzuholen oder aufzufrischen.“

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