Immer mehr Hausärztinnen und Hausärzten bereitet mittlerweile Sorge, dass sie zu viel Impfstoff in ihren Praxen vorrätig haben und angebrochene Vials teils wegschmeißen müssen. Das zeigen zahlreiche Praxisberichte gegenüber „Der Hausarzt“. Umso drängender wird der Wunsch nach Corona-Impfstoffen als Einzeldosen analog zu anderen Impfstoffen.
Es tue „in der Seele weh“, Dosen wegzuschmeißen, berichten Ärztinnen und Ärzte unisono. Jedoch geht das Finden von Lösungen – einmal mehr – mit hohem persönlichen Engagement einher. Denn eine politische, möglicherweise gar bundesweite Vorgabe fehlt. So können auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in der Regel keine Tipps zum korrekten Vorgehen an die Hand geben, wie eine stichprobenartige Umfrage von „Der Hausarzt“ zeigt.
Jedoch betonen die befragten KVen unisono, dass kein Regress drohe und es aktuell zahlreichen Ärztinnen und Ärzten ähnlich gehe.
Passend dazu geht das Bundesgesundheitsministerium weiter davon aus, dass die aktuelle, also bis Dienstag (3. August) abzugebende Bestellung – erneut ohne Obergrenze – vollständig erfüllt werden kann (s. Kasten Idee 3). Die Monate der Knappheit, in denen der Deutsche Hausärzteverband immer wieder sich kurzfristig verändernde Liefermengen kritisiert hatte, scheinen nun also zunächst beendet – und gar ins Gegenteil verkehrt. Beide, Impfzentren bzw. die sie betreibenden Landkreise und Länder sowie Hausarztpraxen sehen sich mitunter mit einem “Zuviel” konfrontiert.
Länder geben Zehntausende Dosen zurück
Für die Bundesländer, die unter der nachlassenden Impfnachfrage dieselben Probleme beobachten, gibt es dabei eine Lösung: In einem Schreiben hatte das Bundesgesundheitsministerium den Ländern die Möglichkeit eröffnet, “Impfstoffdosen, die in der nationalen Impfkampagne nicht mehr zum Einsatz kommen und deren Lagerhaltung eine Weitergabe an Drittstaaten im Rahmen von Spenden zulassen”, an das zentrale Lager des Bundes zurückzugeben.
Hamburg hat bereits angekündigt, 60.000 Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca zurückgeben zu wollen, Berlin will bis zu 62.400 Impfdosen an den Bund zurückgeben. In Baden-Württemberg sind es gar 400.000 Dosen; 4.000 Dosen müssen aufgrund kurzer Haltbarkeit entsorgt werden. Andere Länder prüften am Freitagmittag (30. Juli) ihre Bestände noch, hielten sich die Möglichkeit jedoch offen.
Der Knackpunkt: Die Impfstoffe sollten für eine Rückführung und Weiterverwendung als Spenden noch mindestens zwei Monate haltbar sein. Impfstoff aus Arztpraxen sowie von Betriebsärzten soll – möglicherweise auch aus diesem Grund – nicht an den Bund zurückgeführt werden. Denn in der Regel liegt die Haltbarkeit schon bei Lieferung in den Praxen bei 30 Tagen (s. 1.).
Hausarztpraxen müssen eigenständig überlegen
Doch was können dann Praxen tun, um das Wegschmeißen von Vials zu vermeiden? Aus den Rückmeldungen der Hausarztpraxen lassen sich sieben, teils jedoch extrem zeitaufwändige, Gedanken ableiten.
1. Haltbarkeit genau im Blick behalten
Einzelne Praxen berichten aktuell, dass gelieferte Praxen nicht automatisch 30 Tage lagerbar sind, sondern teilweise schon eine Woche aufgetaut seien, sich die Haltbarkeit also entsprechend verkürze. Dies verschärft die Problematik des zu verwerfenden Impfstoffs natürlich.
Im Praxisalltag kann es helfen, das Haltbarkeitsdatum gesondert zu notieren bzw. eine MFA damit zu beauftragen, hier besonderes Augenmerk draufzulegen.
2. Organisation unter die Lupe nehmen
Bislang haben Hausärztinnen und Hausärzte ein hohes Maß an Zeit und Kraft darauf verwendet, die Verwendung der Vials mit bis zu zehn Dosen optimal zu planen. Patientinnen und Patienten wurden dafür beispielsweise im “Zehner-Pulk” einbestellt.
Möglicherweise kann es sich jetzt lohnen, (kurzfristig) eine “offene Impf-Sprechstunde” anzubieten – gerade, wenn es die Praxisräumlichkeiten erlauben und etwa auf einem Vor- oder Parkplatz eine Impfstation errichtet werden kann. Aber: Bei dieser Idee ist unwahrscheinlich, dass dann auch die Zweitimpfung verlässlich in der Praxis wahrgenommen wird.
Einzelne Hausärztinnen und Hausärzte überlegen darüber hinaus, die Impfungen “weniger optimal” zu organisieren und dafür einzelne Impfwillige einzubestellen, auch wenn dies ein Verwerfen eines angebrochenen Vials mit sich bringt.
3. “Bestellwege” überdenken
Bislang lief der Bezug von Impfstoffen über Arztpraxen allein über die jeweilige Stammapotheke. Da jedoch auch Impfzentren über teils hunderte überschüssige Vials berichten und diese teils an Praxen weitergeben, kann es sich lohnen, hier Absprachen zu treffen.
Darüber hinaus werden aktuell alle Bestellungen erfüllt. Sprich: Ein künstliches Vergrößern der Bestellmengen ist nicht nötig, um ausreichend Dosen zu erhalten, erinnert das Gesundheitsministerium aktuell.
4. Kontakt zum Großhändler suchen
Tauchen ungeplant hohe Lagerbestände auf, etwa aufgrund eines Praxisurlaubs oder abgesagter Termine, kann es sich lohnen, Kontakt mit der Stammapotheke oder dem Großhändler aufzunehmen. Praxisberichten zufolge zeigten sich diese nach der bestätigten Liefermenge oft unflexibel; jedoch kann im Einzelfall möglicherweise noch nachjustiert und Lieferungen “storniert” werden.
5. Von der Möglichkeit Gebrauch machen, Impfstoffe weiterzugeben
Zur Erinnerung: Arztpraxen dürfen nicht mehr benötigte Impfstoffe weitergeben. Möglich ist eine Weitergabe an andere Vertragsärzte, an Privat- und Betriebsärzte sowie an Impfzentren und angegliederte mobile Impfteams, wenn diese in der Nähe tätig sind.
Aber: Praxisberichte zeigen ebenso, dass auch dies mit hohem zeitlichen Aufwand für Telefonate etc. einhergeht. Da mittlerweile viele mit einem Überschuss an Impfdosen und sinkender Impfbereitschaft konfrontiert sind, bleiben dankbare Abnehmer mitunter aus.
6. Patienten gezielt ansprechen und flexibel bleiben
Um die Impfbereitschaft zu erhöhen, ist das hausärztliche Gespräch weiter eine entscheidende Größe. Auch kann es mitunter helfen, Patientinnen und Patienten im Gespräch darauf hinzuweisen, dass die Wahrnehmung der Zweitimpfung essenziell ist – nicht nur für den vollständigen Impfschutz, sondern auch im Kampf gegen das Wegwerfen des Impfstoffs.
Wichtig ist darüber hinaus wohl, flexibel zu bleiben. Denn aufgrund der steigenden Fallzahlen in Kombination mit einem wachsenden Druck auf Ungeimpfte könnte es gerade im Herbst wieder zu einer steigenden Impfbereitschaft kommen.
7. Wenn alles nichts hilft: hohes individuelles Engagement gefragt
Sowohl den Praxisberichten als auch den KV-Angaben zufolge verteilen sich die Impfstoffe aktuell höchst unterschiedlich. Sprich: Während in einem Impfzentrum 100 Vials überschüssig sind, ist ein anderes noch für eine “Spende” aus der Arztpraxis dankbar, ebenso unterscheiden sich die Lagerbestände einzelner Haus- und Facharztpraxen.
Haben Hausärztinnen und Hausärzte also zu viele Dosen an Lager, kann es helfen, sich “hinter das Telefon zu klemmen” und Kollegen und Zentren im Umfeld abzutelefonieren. Praxisberichten zufolge zeigt das zwar Erfolg – kostet jedoch abermals Überstunden und Nerven.
Mit Material von dpa