Auch SARS-CoV-2 infizierte Patienten mit mildem Krankheitsverlauf können unter Langzeitsymptomen leiden. Bis zu 15 Prozent der Genesenen leiden Schätzungen zufolge noch Monate nach der Erkrankung unter Konzentrationsstörungen, Luftnot oder ständiger Erschöpfung.
Long Covid ist eine Herausforderung in jeder Beziehung. “Kaum eine Krankheit bedarf eines so multidisziplinären Ansatzes”, sagte Prof. Maria Vehreschild im Rahmen der Bürgeruniversität Frankfurt im Dezember 2021. Die Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt betonte, dass Long Covid eine reale Erkrankung mit höchst variablem Schweregrad und klinischer Präsentation sei.
Long Covid ist definiert als fortwährend symptomatische Covid-19-Erkrankung, deren Symptome mindestens vier Wochen fortbestünden; auch das Auftreten neuer Symptome könne beobachtet werden. Vom Post-Covid-19-Syndrom spreche man bei persistierenden Beschwerden ab zwölf Wochen, die durch andere Diagnosen nicht erklärbar seien.
Zu den häufigsten Long-Covid-Symptomen zählen Fatigue, Dyspnoe, Leistungs- und Aktivitätseinschränkungen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen. Häufig beobachtet werden Husten, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, allgemeine Schmerzen, kognitive Einschränkungen, Zwangshandlungen, Haarausfall, Angstsymptomatik, Stress und Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Aufbau von Long Covid-Ambulanzen
Das Krankheitsbild wirft Fragen auf. Einer französischen Querschnittstudie zufolge hatten viele Patienten, die an Long Covid zu leiden meinten, einen negativen Antikörpertest auf SARS-CoV-2.
Auf die Überschneidung des Symptombilds von Long Covid mit bisher nicht als solchen akzeptierten Erkrankungen wie dem posturalen Tachykardiesyndrom, dem Mastzellaktivierungssyndrom oder dem Chronic Fatigue Syndrom wies auch Maria Vehreschild hin.
Als potenzielle Ursachen einer realen Long Covid-Symptomatik nannte sie sowohl singulär als auch sich gegenseitig beeinflussende genetische Faktoren, Viruspersistenz, Autoimmunprozesse, Hyperinflammation sowie Gewebeschäden.
Warum und wie Long Covid entsteht, sei letztlich aber “noch nicht vollständig geklärt”, so Maria Vehreschild. Weil es noch keine etablierte Wissenschaft zu diesem jungen Krankheitsbild geben könne und viele Spezialisten wie Infektiologen, Pneumologen oder Virologen in der Versorgung und Erforschung der akuten Covid 19-Erkrankung gebunden seien, sei die Forschungsarbeit insgesamt eine Herausforderung.
Patientinnen und Patienten würden vor diesem Hintergrund zu wichtigen Treibern der Beschreibung und Erforschung von Long Covid.
Aktuell befinden sich laut Maria Vehreschild Long Covid-Ambulanzen, wissenschaftliche Projekte sowie erste Therapiestudien im Aufbau. Bereits eingerichtet sind Long Covid-Ambulanzen mittlerweile zum Beispiel an den Universitätskliniken in Bayern. Termine zu bekommen scheint schwierig, von bis zu einem halben Jahr Wartezeit wird berichtet.
Andreas Stallmach, Professor für Innere Medizin an der Universität Jena, nannte deshalb in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk zuletzt die Hausärzte als wichtige erste Anlaufstelle für Long Covid-Patienten.
Psychiatrische Hilfen schwer zugänglich
Auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie insbesondere für manifest psychisch kranke Patienten sowie auf die psychischen Folgen von Long Covid wies Prof. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt, hin.
Im Hinblick auf Long Covid nannte er als relevante neuropsychiatrische Folgen ein Symptomcluster aus Angststörungen, Fatigue, Depression, kognitiven Störungen, Schlafstörungen und PTSD, wobei als Risikofaktoren Krankheitsdauer, Krankheitsschwere und weibliches Geschlecht zu berücksichtigen seien. Die Häufigkeit sei unklar, man gehe von bis zu 50 Prozent bei symptomatischen Covid-19-Fällen aus.
Psychische Erkrankungen mit Pandemiebezug seien zum Beispiel somatoforme Störungen und Hypochondrie, Zwangsstörungen, Psychosen und Manien, demenzielle Erkrankungen, Angsterkrankungen und Suchterkrankungen, wobei insbesondere Alkohol und illegale Drogen eine Rolle spielten.
“Bei prädisponierten Patienten und manifest depressiven Patienten können die Einschränkungen durch die Pandemie zu einer deutlichen Verstärkung der Symptomatik führen”, sagte Reif. Er wies darauf hin, dass das psychiatrische Hilfesystem schwer zugänglich sei.
Es bestehe damit ein erhebliches Risiko einer Verschlechterung und dadurch einer Zunahme von Depressionen in dieser Risikogruppe sowie ein steigendes Suizidrisiko, wie es auch während der SARS-Epidemie Anfang der 2000er-Jahre beobachtet worden sei.
Insgesamt sei die Anzahl der Suizide während der Pandemie aber weltweit sowohl insgesamt als auch individuell nicht gestiegen. Reif betonte, dass die “weichen Folgen” des Lockdowns bei der Mehrheit der gesunden Allgemeinbevölkerung nicht zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens führten.