In der hausärztlichen Praxis werden 98,5 Prozent aller Reizdarmsyndrom-Diagnosen gestellt, hieß es beim Vortrag “Der gereizte Darm, der/die gereizte Hausarzt/Hausärztin und die enttäuschten Patienten” im Rahmen der practica in Bad Orb. Dort bleiben auch 84 Prozent der Patientinnen und Patienten zur Therapie.
Das ist viel – und doch vergleichsweise wenig. Laut Barmer Arztreport 2019 geht nur jeder dritte Betroffene zum Arzt – und das ist in der Regel der Hausarzt.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen schätzt, dass vier bis zehn Prozent der Deutschen unter Beschwerden wie krampfartigen Bauchschmerzen und Völlegefühl, Sodbrennen und Obstipation leiden. Im vergangenen Jahr hat sie die aktualisierte S3-Leitlinie “Reizdarm” veröffentlicht.
Reizdarm-Patienten sind keine leichte Aufgabe
Das Reizdarmsyndrom kann die Lebensqualität erheblich einschränken, die gastroenterologische Symptome sind komplex. Diagnostik und Therapie sind indes zeitaufwändig und eine Herausforderung in der hausärztlichen Praxis, in der die “sprechende Medizin” nicht honoriert wird. Doch die spiele eine entscheidende Rolle, erläuterten die Referenten Iris Veit und Dietrich Hüppe.
Wie und warum ein Reizdarmsyndrom entsteht, ist nicht vollständig geklärt. Störungen zwischen Zentral- und Darmnervensystem sowie der Darm-Hirn-Achse spielen eine Rolle spielen. Auslöser können gastrointestinale Infektionen sein, auch Zusammenhänge mit psychischen Faktoren sind bereits beobachtet worden.
Die Erkrankung wird anhand des vorherrschenden Symptoms in Subtypen unterteilt, wobei die Symptome auch in variablen Kombinationen auftreten können.
- Obstipations-Typ
- Diarrhö-Typ
- Misch-Typ
- Schmerz-Typ
- Bläh-Typ
Das Reizdarmsyndrom wird per Ausschlussdiagnostik festgestellt. Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik – etwa Darmkrebs, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Nahrungsmittelintoleranzen – müssen zunächst ausgeschlossen werden.
Die S3-Leitlinie rät von IgG-Tests zur Diagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ebenso ab wie von kommerziell erhältlichen Stuhltests zur Analyse des Darmmikrobioms. Parallel zur somatischen Diagnostik sollte eine biopsychosoziale Anamnese erfolgen.
- Zu typischen Symptomen des Reizdarmsyndroms zählen:
- Sodbrennen
- Völlegefühl
- Bauchschmerzen, abdominelle Krämpfe
- Meteorismus, Flatulenz und erschwerte Defäkation
- Diarrhö, Obstipation oder wechselnder Stuhlgang
- Hinzukommen können:
- Reizmagen
- Psychische Komorbidität wie Angst und Depression
- Epigastrische Schmerzen
Laut S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie müssen drei Kriterien für das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms erfüllt sein:
- Die Beschwerden müssen chronisch sein, also länger als drei Monate anhalten und in der Regel mit Veränderungen des Stuhlgangs einhergehen. Die Beschwerden müssen von Arzt und Patient auf den Darm bezogen werden wie Durchfälle, Bauchschmerzen, Verstopfung und Blähbauch.
- Der Patient sucht wegen der Beschwerden Hilfe und wird durch die Beschwerden in seiner Lebensqualität relevant beeinträchtigt.
- Es liegt keine andere organische Krankheit als Ursache der Beschwerden vor.
Kombi-Therapie ist zielführend
Bei der Therapie ist es häufig zielführend, verschiedene Ansätze zu kombinieren. Allgemeine, symptomunabhängige Maßnahmen werden mit symptomorientierten Therapien, etwa Medikamenten, kombiniert. Zu den wichtigen, symptomunabhängigen Ansätzen gehört die Ernährung.
Die sogenannte Low-FODMAP-Diät zeigt demnach für fast alle Reizdarmsyndrom-Typen eine gute Wirksamkeit. Bei dieser Diät geht es um den zeitweisen Verzicht bestimmter Kohlenhydrate wie Fruktose, Laktose und Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit.
Auch psychotherapeutische Verfahren können helfen. Die Leitlinie empfiehlt die kognitive und psychodynamische Verhaltenstherapie, die Bauch-gerichtete Hypnose sowie bestimmte Verfahrensmischformen. Eine weitere Behandlungsmöglichkeit zielt auf die Modulation des Darm-Mikrobioms, etwa durch Probiotika. Präbiotika werden in der Leitlinie nicht empfohlen.
Wichtig zu wissen: Das Reizdarmsyndrom ist bei einem Teil der Patienten spontan rückläufig, häufig aber auch chronisch verlaufend. Es besteht keine gesteigerte Koprävalenz mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes.
Ohne neue Symptome ist eine erneute Diagnosestellung nicht notwendig. Eine möglichst frühe positive Diagnosestellung sollte dem Patienten kommuniziert werden.
Hilfreiche Empfehlungen sind ressourcen-orientierte Interventionen:
- körperliche Bewegung
- Entspannungsverfahren
- Positive Affirmation
- Positive Tagesgestaltung
- Beziehungspflege
- Wahrnehmungs- und Achtsamkeitstraining.
Fazit
Wie viele andere Patientinnen und Patienten sind auch Reizdarmsyndrom-Betroffene eine Herausforderung im hausärztlichen Alltag. Eine wertschätzende und gesprächsoffene Begleitung kann Frust auf allen Seiten ersparen.