Deutschland verfettet … Doch neben der Epidemie der zu vielen Kilos grassiert eine weitere. Sie betrifft genau das Gegenteil: Mangelernährung. Ebenfalls ein zunehmendes Problem, von dem immer mehr Bundesbürger betroffen sind.
Laut Prof. Dr. Christian Löser, Chefarzt der Medizinischen Klinik der DRK-Kliniken Nordhessen und Kongresspräsident der DGEM, sind es inzwischen über 1,5 Millionen Menschen deutschlandweit. Tendenz steigend: “Denn am meisten gefährdet sind Ältere und Menschen mit schweren akuten oder chronischen Erkrankungen sowie Tumorpatienten”, so Prof. Löser. Immer häufiger gibt es auch bei Kindern ein Ungleichgewicht zwischen Nahrungszufuhr und Nährstoffbedarf. “Besonders wenn sie aus sozial schwachen Familien kommen”.
“Hungerkur im Krankenhaus”
Eine durchaus zutreffende Medienaussage, denn im stationären Bereich ist Mangelernährung besonders häufig anzutreffen. Allerdings zeigt nach den Worten von Prof. Löser bereits “mehr als jeder vierte Patient bei der Aufnahme in ein deutsches Krankenhaus relevante Zeichen davon”. Einerlei wann er eingetreten ist – der Energie- und Nährstoffmangel hat gravierende Folgen. Nicht nur, weil er die Heilungsprozesse negativ beeinflusst.
Weitreichende Folgen …
Laut Prof. Löser kann ein unzureichender Ernährungszustand gravierende Folgen haben: “Eine beeinträchtigte Immunfunktion, verlangsamte Wundheilung und erhöhte Komplikationsrate”. Das wirkt sich massiv auf Prognose, Krankenhausverweildauer und Rekonvaleszenz aus. Zudem werden Lebensqualität und physische Mobilität stark herabgesetzt. “All dies führt zu einer stark erhöhten Sterblichkeitsrate”.
Besonders gefährdet sind Krebspatienten: Jeder zweite von ihnen hat bereits bei Dia-gnosestellung einen relevanten Gewichtsverlust. “Jährlich sterben allein 20 bis 30 Prozent aller Krebspatienten nicht an ihrer Grunderkrankung, sondern an den Folgen ihrer Mangelernährung” so Prof. Löser.
… und hohe Kosten
Vor dem Hintergrund der komplexen gesundheitlichen Folgen überrascht es nicht, dass Mangelernährung zu beträchtlichen Mehrkosten für das Gesundheitssystem führt: sie betragen jährlich circa 170 Milliarden Euro [1]. Entsprechend hat der Europarat bereits 2003 die hohe Anzahl von mangelernährten Patienten in europäischen Krankenhäusern als “völlig inakzeptabel für einen so reichen Kontinent” erklärt. Das daraufhin verabschiedete Aktionsprogramm “Stop Malnutrition” [2] wird im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten laut Prof. Löser bei uns nur zögerlich realisiert.
Erfolgskonzept Kasseler Modell
Prof. Löser hat deshalb sein “Kasseler Modell” [3] entwickelt: Strategien, mit denen die Bekämpfung von Mangelernährung im klinischen Alltag einfach und effektiv umgesetzt werden kann. Zentrales Element ist ein Screening auf Mangelernährung bei Aufnahme in die Klinik. Betroffene Patienten bekommen spezielle nährstoffangereicherte, energiedichte Gerichte und Zwischenmahlzeiten wie Shakes oder Fingerfood. “Ziel ist es, den Nährstoffmangel auszugleichen, und die tägliche Energiezufuhr zu erhöhen”, so Prof. Löser.
Literatur
- Stratton R. New evidence on the costs of malnutrition and the benefits of nutritional support. ESPEN Kongress Lissabon (2015).
- Council of Europe, Committee of Ministers: Resolution ResAP on food and nutritional care in hospitals. ResAP 12 November 2003
- Löser Chr. Praktische Umsetzung moderner ernährungsmedizinischer Erkenntnisse im Krankenhaus – “Kasseler Modell”. Aktuel Ernahrungsmed 2011; 36: 351-360.
Quellen: Vorträge im Rahmen der “Ernährung 2018” vom 21. bis 23.6.2018 in Kassel