© Der Hausarzt Grundsätze des Screenings nach Wilson & Jungner
Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht es zudem, spezifische Interventionen einzuleiten: Dazu gehören eine antivirale Therapie für Hepatitis B und C, Maßnahmen zur Reduktion riskanten Alkoholkonsums sowie Verhaltensänderungen und die Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit bei NAFLD.
Darüber hinaus gilt es, Patienten mit Zirrhose nach der Diagnose auf Varizen und HCC zu überwachen. Die meisten Risikopatienten werden jedoch im hausärztlichen Bereich gesehen, für den optimale Diagnosestrategien bisher nicht definiert sind.
Beim Bevölkerungsscreening sind die Sensitivität und Spezifität des verwendeten Tests von größter Bedeutung, um das Risiko falsch negativer und falsch positiver Fälle zu minimieren. Herkömmliche “Lebertests” (etwa die Transaminasen im Serum) haben eine geringe Empfindlichkeit und Spezifität; die Leberbiopsie (“Goldstandard”) ist für ein Screening selbstverständlich zu invasiv.
Nichtinvasive Fibrosetests wie die transiente Elastografie [5] oder Serum-Biomarker sind verfügbar, validiert und akzeptiert. Allerdings gibt es nur wenige longitudinale Studien, in denen diese Tests zum Screening genutzt wurden oder die ihre Kosteneffizienz untersuchten [6] .
Welche Methode?
Eine zentrale Herausforderung beim Bevölkerungsscreening besteht darin, dass die Leistung eines Tests mit der Häufigkeit der Krankheit variiert: Die Sensitivität und der positive Vorhersagewert sind in Populationen mit geringer Prävalenz geringer (“Spektrumseffekt”).
Darüber hinaus ist jeder Test je nach seiner Art und dem gewählten Grenzwert mit falsch positiven und falsch negativen Ergebnissen verbunden. Ein schrittweiser Algorithmus zur Kombination nichtinvasiver Tests kann die Rate falsch positiver Tests verringern.
Hagström et al. stellten fest, dass fünf nicht-invasive “Fibrose-Scores”, die mit Hilfe einer Blutprobe bestimmt werden können (APRI, FIB-4, BARD, Forns und NFS), nur eine bescheidene prognostische Leistung (54 bis 71 Prozent) für die Vorhersage einer Zirrhose in der Allgemeinbevölkerung haben [7] . Ein erweiterter (kommerzieller) Leberfibrosetest (ELF) wurde ebenfalls vorgeschlagen, doch gibt es nur wenige Studien über sein Potenzial als Screening-Instrument.
Wissenswertes zur “Lebervorsorge”
Für eine bessere Prognose ist es wichtig, Patienten mit Zirrhose im Frühstadium zu identifizieren.
Aktuelle Studien zeigen, dass sich die Leberfibrose mit relativ hoher Genauigkeit nichtinvasiv durch serologische Tests, transi- ente Elastografie oder radiologische Verfahren beurteilen lässt.
Der Nutzen und die Risiken eines bevölkerungsbasierten Screenings werden zurzeit untersucht. Laut SEAL-Studie erhöht eine strukturierte Lebervorsorge die Chance, eine Zirrhose frühzeitig zu erkennen, um 60 Prozent.
Nur 50 Prozent der in der hausärztlichen Praxis identifizierten Patienten mit Verdacht auf eine Leberzirrhose nehmen derzeit eine fachärztliche Untersuchung in Anspruch.
Ein erfolgreicherer Ansatz könnte die Elastografie sein, ein ultraschallbasiertes Verfahren, das als Screening-Instrument in Bevölkerungsstudien bei mehr als 6.000 Personen zum Einsatz kam [8] und technisch in eigenen Geräten (etwa FibroScan® der Firma Echosens, Paris) oder integriert in Ultraschallsystemen anderer Hersteller zur Verfügung steht [9] .
Die Methode erreichte bei mehr als 97 Prozent der Teilnehmenden zuverlässige Ergebnisse und wurde gut akzeptiert. Die tatsächliche diagnostische Genauigkeit im Vergleich zur Leberbiopsie wurde im Rahmen des Screenings jedoch weniger gut untersucht. In einer Untergruppenanalyse einer Biopsie-kontrollierten Kohorte, in der sechs Prozent eine fortgeschrittene Leberfibrose entwickelt hatten, hatte die Elastografie eine Sensitivität von 86 Prozent und eine Spezifität von 97 Prozent [10] .
Die Erkennungsraten für Leberfibrose lagen in bevölkerungsbasierten Kohorten in Europa zwischen 0,7 und 7,5 Prozent im Vergleich zu 18 bis 27 Prozent in Kohorten mit erhöhtem Risiko für eine Lebererkrankung [11] . Die in der Hälfte der Studien gemeldete Prävalenz der Zirrhose lag zwischen 0,25 und 0,76 Prozent. In allen Studien war die NAFLD die Hauptursache für die Leberfibrose.
Mögliche Strategien
Ein Hauptgrund für den geringen Anteil von Patienten, bei denen eine chronische Lebererkrankung frühzeitig diagnostiziert und behandelt wird, ist das Fehlen strukturierter Überweisungswege. Selbst wenn Hausärzte erhöhte Leberenzymwerte feststellen, gibt es keine fest etablierten und vergüteten Algorithmen zur Identifizierung von Patienten mit Fibrose oder Zirrhose oder zur Feststellung der Ätiologie und Verhinderung der Progression.
Grundsätzlich können wir Strategien zur Früherkennung von chronischen Lebererkrankungen als bevölkerungsbasiertes oder gezieltes (“targeted”) Screening konzipieren; die Auswahl von Personen mit einer hohen Vortestwahrscheinlichkeit führt zu einer höheren ökonomischen Effizienz.
Eine bevölkerungsbezogene Querschnittsstudie mit 3.076 Teilnehmern im Großraum Barcelona, bei der die Elastografie zum Screening in der Primärversorgung zum Einsatz kam, ergab, dass eine elastografisch bestimmte Lebersteifigkeit < 9,2 kPa die höchste Genauigkeit zum Ausschluss der Fibrose-Stadien F2 bis F4 (F4 = Zirrhose) aufwies [12] .
Eine Längsschnittstudie in London untersuchte einen Abklärungspfad für Patienten mit NAFLD, der FIB-4 und ELF kombinierte, um zweistufige Screening-Algorithmen zu bewerten [14] : Es wurden dabei fünfmal mehr Fälle von fortgeschrittener Fibrose und Zirrhose entdeckt, und die Zahl der unnötigen Überweisungen von der Primär- an die Sekundärversorgung ging um fast 90 Prozent zurück.
Der Nottingham Liver Disease Stratification Pathway [13] verwendete 1. einen erhöhten De-Ritis-Quotienten (GOT/GPT = AST/ALT ≥ 0,8), 2. schädlichen Alkoholkonsum oder 3. einen Fettleberindex ≥ 60 als Kriterien für die Überweisung von der Primär- zur Sekundärversorgung. Von den Patienten, die diese Kriterien erfüllten, hatten 23 Prozent von 968 Patienten eine Lebersteifigkeit ≥ 8,0 kPa, von denen 39 Prozent unentdeckt geblieben wären.
Ergebnisse von SEAL
Ähnliche Verfahren, jedoch auf der Grundlage des APRI-Scores in der Primärversorgung mit anschließender Elastografie, wurden zusammen mit den Hausärzteverbänden im bevölkerungsbasierten Screening-Programm SEAL in 201 Praxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland untersucht [6] .
© Der Hausarzt SEAL-Algorithmus zur frühen Identifizierung und Versorgung von Patienten mit weit fortgeschrittener Leberfibrose (Stadium F3) oder Zirrhose (Stadium F4)
Ziel von SEAL (“Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose”) war es, eine chronische Lebererkrankung in einem frühen Stadium zu entdecken und zu behandeln [6] . Dafür wurde der Check-up 35 um eine Bestimmung des AST/Thrombozyten-Ratio-Index (APRI) erweitert; die Kontrollgruppe bestand aus 349.570 Teilnehmenden des reguläre Check-up-35-Programms. 1.581 Patienten (13 Prozent der Teilnehmenden) hatten einen erhöhter AST- und/oder ALT-Wert, bei vier Prozent war der APRI-Score erhöht.
Der SEAL-Algorithmus konnte etwa 60 Prozent mehr Patienten mit einer Leberzirrhose identifizieren als die reguläre Versorgung. Bei vier von fünf der Teilnehmenden mit auffälligen Leberwerten diagnostizierten Fachärzte in einer anschließenden Untersuchung tatsächlich eine Lebererkrankung – davon bei 60 Prozent eine metabolische und bei 18 Prozent eine alkoholassoziierte Fettlebererkrankung.
SEAL stellt so ein praktikables, nichtinvasives und potenziell kosteneffektives Vorsorgeprogramm dar. Ein unerwartetes Ergebnis von SEAL war, dass etwa die Hälfte der untersuchten Patienten mit Verdacht auf eine fortgeschrittene Leberfibrose oder Leberzirrhose nicht zu einer weiteren Abklärung und Behandlung beim Facharzt oder im Leberzentrum erschienen.
Fazit
Es ist dringend nötig, beim Management chronischer Lebererkrankungen von der Spätdiagnose (dekompensierte Zirrhose) zur Frühdiagnose (Fibrose oder kompensierte Zirrhose) zu gelangen – die positiven Effekte der verfügbaren Therapieoptionen sind in frühen Stadien nämlich besonders relevant.
Daher gilt es, asymptomatische Patienten durch nichtinvasive Marker zu identifizieren und anschließend Maßnahmen zu veranlassen, um Lebensstilveränderungen wie vermehrte körperliche Aktivität umzusetzen. Die Einführung einer solchen Lebervorsorge dürfte erhebliche positive Effekte haben: Die meisten Patienten mit chronischen Lebererkrankungen könnten wir in einem frühen Stadium entdecken, wodurch die Häufigkeit von dekompensierter Zirrhose und Leberzellkarzinom abnähme. Aufwendige Therapien einschließlich der Lebertransplantationen wären dann seltener erforderlich.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
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