© info@brigittabrandt.de Prof. Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde an der Charité Universitätsmedizin Berlin.
Sie bezeichnen Fasten und gezielte Ernährung als Schlüssel zu Selbstheilung und Gesundheit. Für welche Effekte des Fastens gibt es bisher zuverlässige Evidenz?
Forschung zum Fasten am Menschen mit kontrollierten, randomisierten Studien findet erst seit etwa zehn Jahren statt. Deshalb sehen wir hier in der Regel einen Flickenteppich an Laborevidenz, tierexperimenteller Evidenz, unkontrollierten und kleineren randomisierten Studien.
Grundsätzlich gibt es aber zwei große Bereiche, für die Studien Effekte gezeigt haben: der kardiometabolische Bereich und die entzündlichen Erkrankungen.
Wann können Hausärztinnen und Hausärzte also zum Fasten raten?
Das Intervallfasten empfehle ich zum Beispiel, wenn Patienten übergewichtig sind und abnehmen möchten; außerdem bei mit Übergewicht einhergehenden Erkrankungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen.
Die Gewichtsabnahme kommt hier vor allem deswegen zustande, weil die Menschen durch das reduzierte Zeitfenster automatisch weniger essen. Auch bei Schlafstörungen rate ich zum Intervallfasten – hier müssen die Patienten dann aber das Abendessen weglassen oder besonders früh zu Abend essen, statt aufs Frühstück zu verzichten.
Die Studienlage weist ohnehin darauf hin, dass es wirkungsvoller ist, das Abendessen auszulassen als das Frühstück.
Heilfasten schlage ich ebenfalls bei den kardiometabolischen Erkrankungen vor, wenn keine Kontraindikationen vorliegen; darüber hinaus aber auch bei den entzündlichen Erkrankungen, vor allem bei der rheumatoiden Arthritis und bei chronischen Schmerzerkrankungen. Alternativ zum Heilfasten empfehle ich die Fasting-Mimicking-Diet (siehe Kasten unten). Diese zeigt fast die gleichen Effekte wie das klassische Heilfasten, ist jedoch etwas leichter durchzuhalten.
Das Spektrum der Fastentechniken
Beim klassischen Heilfasten nimmt der Fastende über fünf bis 28 Tage nur 200 bis 500 Kalorien täglich zu sich. Es gibt verschiedene Methoden, etwa das Buchinger-Fasten oder die Mayr-Methode.
Mehr Kalorien sind bei der Fasting-Mimicking-Diet erlaubt: etwa 600 bis 900 pro Tag. Dabei ernähren sich die Fastenden vegan und zuckerarm.
Beim Intervallfasten schließlich hat man die Wahl zwischen einem täglichen “time-restricted eating” (zum Beispiel 16:8 oder 14:10) oder aber wöchentlichen Fastentagen (zum Beispiel 1:1 oder 2:5); die Ernährung muss dabei nicht umgestellt werden.
Welche Mechanismen sind denn für die positiven Effekte des Fastens verantwortlich?
Viele molekulare Systeme, die an der Verdauung und Energiebereitstellung beteiligt sind, funktionieren evolutionsbedingt am besten, wenn es immer mal wieder Pausen gibt – früher gab es ja nicht dauernd was zu essen.
Beim Fasten erholen sich diese körpereigenen Regulationssysteme (zum Beispiel Insulin, IGF-1, Leptin und Adiponektin); Insulin- oder Leptinresistenzen können durchbrochen werden.
Darüber hinaus findet beim Fasten Autophagie statt und Stammzellen werden vermehrt aktiviert. Es zeigt sich auch ein positiver Effekt auf das Mikrobiom und auf die Mitochondrien. Die Bildung von Ketonen beim Fasten scheint sich vor allem auf den Muskelstoffwechsel und auf die Gehirnzellen gut auszuwirken.
Wie oft bzw. wie lange muss man fasten, um diese positiven Effekte zu erzielen?
Intervallfasten muss man an mindestens fünf Tagen pro Woche machen, sonst zeigt sich kaum ein Effekt. Heilfasten bzw. die Fasting-Mimicking-Diet sollte man mindestens einmal im Jahr für fünf bis sieben Tage durchführen.
Um den maximalen Gewinn zu erzielen, wäre es wahrscheinlich gut, es alle zwei oder drei Monate zu machen. Aber das fällt uns natürlich allen schwer, ich selbst schaffe es auch nur zweimal pro Jahr.
Was raten Sie denn Menschen, denen das Fasten schwerfällt?
Ausprobieren! Die meisten Menschen haben Angst vor dem Fasten und denken, sie könnten verhungern. Aber die Erfahrung zeigt, dass Hunger kein großes Problem ist – am ersten Tag vielleicht, aber dann nicht mehr.
Und ich sage den Menschen auch, dass es wie beim Sport ist: Je öfter man es tut, desto leichter fällt es. Wenn man das erste Mal fastet, empfehle ich zudem, es nicht allein zu machen, sondern in einer Gruppe. Fastet man aus therapeutischen Gründen, sollte eine Ärztin oder ein Arzt begleitend dabei sein.
Bei Vorerkrankungen ist also Vorsicht geboten. Was gilt es zum Beispiel zu beachten, wenn Menschen mit Diabetes Typ 2 fasten?
Sowohl das Intervall- als auch das Heilfasten und die Fasting-Mimicking-Diet wirken sich bei Diabetes Typ 2 günstig aus. Wird der Diabetes bereits medikamentös behandelt, muss man natürlich auf die Medikamente gucken: Etwa muss beim Heilfasten Metformin abgesetzt werden, weil es die Glukoneogenese hemmt – die braucht man beim Fasten aber.
Zudem muss relativ schnell Insulin reduziert werden. Deshalb sollte hier ein fastenerfahrener Arzt beteiligt sein.
Ein anderes Beispiel, das zeigt, wie wichtig ärztliche Begleitung ist, sind Thiazid- und Schleifendiuretika – die muss man auch unmittelbar zu Beginn des Heilfastens absetzen, sonst könnte es zu einer Hyponatriämie kommen, und das kann durchaus gefährlich sein.
Welchen Patienten sollten Ärztinnen und Ärzte vom Heilfasten generell abraten?
Fasten darf man immer dann nicht, wenn Wachstum im Spiel ist: also Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende. Auch bei symptomatischen Gallensteinen empfehle ich, vom Fasten Abstand zu nehmen.
Bei Gallensteinen, die bisher noch nie Beschwerden gemacht haben, kann man es versuchen, muss die Patienten aber genauer begleiten – sprich ein Kontrolltermin am dritten oder vierten Fastentag ist wichtig. Eine weitere Kontraindikation ist Gicht. Beim Fasten kommt es zu einem Anstieg der Harnsäure und das kann theoretisch einen Gichtanfall auslösen.
Was ist mit psychischen Erkrankungen?
Eine wichtige Kontraindikation sind Essstörungen, auch in der Vergangenheit. Eine leichte oder mittelschwere Depression wird beim Fasten eher besser; bei einer schweren Depression oder einer anderen schweren psychischen Erkrankung wie einer Schizophrenie oder einer Demenz ist das Fasten hingegen nicht sinnvoll.
Es gibt verschiedene Arten von Heilfasten – welche Methode empfehlen Sie?
Weit verbreitet ist das Heilfasten nach Buchinger, bei dem man vor allem Säfte und Brühe zu sich nimmt. Ich finde jedoch auch die Mayr-Methode gut, bei der man auch kleine Mengen zu kauen bekommt und so das langsame Kauen und Essen lernt.
Fasten hat ja auch mit Achtsamkeit zu tun. Das Schleimfasten mit Hafer- und Reisschleim empfehlen wir Menschen, die einen empfindlichen Magen oder Darm haben – sie vertragen die Säfte bei der Buchinger-Methode oft nicht gut.
Und beim Intervallfasten? Hier gibt es ja auch verschiedene Varianten.
Für mich ist der Favorit derzeit die 14:10-Methode, weil sie circa 80 Prozent der Effekte von 16:8 hat, aber viel einfacher umzusetzen ist. Die 5:2-Methode (also fünf Tage normal essen, zwei Tage fasten) und das alternierende Fasten (an einem Tag essen, am nächsten dann nicht) sind kaum durchzuhalten und heute nur mehr wenig verbreitet.
In jedem Fall ist beim Intervallfasten Aufklärung in Hinblick auf gesunde Ernährung wichtig: Viele Fastende denken, sie können sich dabei weiterhin schlecht ernähren, und das soll natürlich nicht sein.
Worauf weisen Sie Fastende sonst noch hin?
Viele Menschen haben während des Heilfastens in den ersten zwei bis drei Tagen Kopf- oder Rückenschmerzen. Vermutlich liegt das oft auch am Kaffee-Entzug. Klagen die Betroffenen auch am dritten Tag noch über Kopfschmerzen, empfehle ich, eine Tasse Kaffee zu trinken – das stört das Fasten nicht und hilft oft gegen die Beschwerden.
Darüber hinaus kann es auch zu Kreislaufproblemen kommen. Die Leistungsfähigkeit ist an sich gegeben, zum Beispiel gibt es in Skandinavien die Tradition der Fastenwanderungen, bei denen die Fastenden täglich 20 bis 30 Kilometer laufen. Manche Menschen werden durch das Fasten aber auch müde – es lässt sich nicht voraussagen, zu welcher Gruppe man gehört.
Man sollte die Patienten auch darüber aufklären, dass man beim Heilfasten zwar ordentlich Gewicht abnimmt, da aber viel Wasser dabei ist – man kann gar nicht mehr als 400 Gramm Fettgewebe pro Tag abbauen, weil der Körper nicht mehr Energie braucht. Wenn die Menschen wieder anfangen zu essen und zu salzen, nehmen sie dann sofort wieder ein bis zwei Kilo zu. Deswegen muss man nicht enttäuscht oder beunruhigt sein.
Kritiker warnen oft vor einem Jo-Jo-Effekt.
Den gibt es beim Fasten in der Regel nicht. Heilfasten wirkt nicht nur während der Fastentage: Einer der wichtigsten Effekte ist meiner Ansicht nach, dass die Menschen beginnen, achtsamer zu essen. Weil sie lernen, anders zu schmecken und wahrzunehmen, ernähren sich die meisten nach der Fastenkur viel gesünder.
Nach dem Fasten ist ohnehin der ideale Zeitpunkt, um die Menschen zur Ernährungsberatung zu schicken. Dann sind sie nämlich stolz auf sich, und darin bekräftige ich sie auch immer: “Wenn Sie das Fasten durchgehalten haben, können Sie es auch schaffen, dauerhaft gesünder zu essen.” Fasten gibt Rückenwind, um die Ernährung generell umzustellen.
Potenzielle Interessenkonflikte: Prof. Andreas Michalsen ist Mitbegründer der Salufast GmbH. Er bietet einen Online-Fastenkurs an und ist Autor von Ratgebern unter anderem zum Thema Fasten.