Arzt-Patienten-KommunikationErst zu “Dr. Google”, dann zum Hausarzt?

Das Internet steigt in seiner Bedeutung als Informationsquelle – auch in Gesundheitsfragen. Für Hausärztinnen und Hausärzte kann das Fluch und Segen zugleich sein. In jedem Fall aber verändert es die Arzt-Patienten-Kommunikation. Tipps, wie sie auch im Teamwork mit "Dr. Google" gelingen kann.

Immer mehr Patientinnen und Patienten nutzen das Internet als Informationsquelle in Gesundheitsfragen. Die Folge: Sie kommen zum Teil vorinformiert in die Praxen oder informieren sich nach dem ärztlichen Gespräch bei “Dr. Google”.

Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung zusätzlich verstärkt, berichtet Prof. Marie-Luise Dierks, Leiterin der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). “Ich sehe diese Entwicklung durchaus auch positiv. Viele Menschen kannten zum Beispiel das Robert Koch-Institut nicht oder wussten nicht, was eine Inzidenz ist”, sagt sie mit Blick auf die Zeit vor der Corona-Pandemie.

Doch wie wirkt sich dies auf das ärztliche Beratungsgespräch aus? Hausärztinnen und Hausärzte sind sich einig: Der Beratungsbedarf steigt, die Gespräche werden aufwändiger, das differenzierte Aufklären benötigt mehr Zeit – auch wenn die Auseinandersetzung mit vorinformierten Patienten auch eine Herausforderung im positiven Sinne sein kann.

“Die Patienten kommen nicht mit Diagnosen zum Hausarzt, sondern mit unzusammenhängenden, online-bezogenen Wissensfragmenten, die sie selbst mangels Fachkenntnis nicht verknüpfen und einordnen können”, beobachten Dr. Thomas Maurer, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Schleswig Holstein, und sein 2. Vize-Vorsitzender Dr. Jens Lassen.

Insbesondere “mit Halbwahrheiten informierte Patienten” sieht beispielsweise Stefan Zutz, Hausarzt in Neubukow und Chef des Hausärzteverbandes Mecklenburg-Vorpommern, als problematisch an (s. Erfahrungsbericht).

Eine Bitkom-Studie untermauert die Stimmen aus der Praxis: 90 Prozent der 528 befragten Ärzte fanden, dass Patienten durch Infos aus dem Internet verunsichert werden [1]. 67 Prozent gaben an, dass der Umgang mit Patienten, die alles durch das Internet besser zu wissen scheinen, anstrengend sei.

Gesundheitskompetenz hat sich verschlechtert

Die langfristig angelegte Studie “Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland” der Universität Bielefeld zeigt darüber hinaus steigenden Beratungsbedarf: Die Gesundheitskompetenz der Deutschen, also ihr Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen, ist seit 2014 gesunken.

Laut der Studie verfügten 54,3 Prozent der volljährigen Bevölkerung (über 15 Jahre) 2014 über eine geringe Gesundheitskompetenz, bis 2020 stieg diese Zahl auf 64,2 Prozent (siehe Abb.). Als “Gesundheitskompetenz” bezeichnen die Wissenschaftler das “Wissen, die Motivation und die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können” [2].

Gleichzeitig haben deutlich mehr Befragte 2020 das Internet als Informationsquelle bei körperlichen Beschwerden und Krankheiten genutzt als noch im Jahr 2014: Rund 36 Prozent nutzten 2020 “Dr. Google”, 2014 waren es noch 26 Prozent [2].

Ein Problem dabei ist, dass es für Patientinnen und Patienten nicht einfach ist, an seriöse Gesundheitsinformationen zu kommen und diese eindeutig von unseriösen Quellen zu unterscheiden, beobachtet Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Hausärztin in Pforzheim und Vorstandsmitglied des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Die Fülle der Internet-Infos verschärfe das Problem.

“Viele Patientinnen und Patienten landen in obskuren Chat-Foren, die fern von sachlichen Informationen sind.” Die geprüfte Gesundheitsinformationsseite des Bundesgesundheitsministeriums sei vielen, auch Kolleginnen und Kollegen, unbekannt.

Ärzte müssen sich mit dem Internet auseinandersetzen

Trotz der negativen Tendenzen, die das Internet in Gesundheitsfragen mit sich zu bringen scheint: An vorinformierten Patienten wird keine Ärztin und kein Arzt mehr “vorbei” kommen. Patientenuni- Leiterin Dierks mahnt: “Die Entwicklung geht nicht zurück, Ärzte können diese aber aktiv mitgestalten.” Ihr Rat: Ärzte müssten wissen, “wie sie mit Internet-informierten Patienten umzugehen haben”. Dafür gibt sie fünf konkrete Tipps an die Hand (s. Kasten).

Wenn sich Patienten mit ihrer Information an ihre Ärztin oder ihren Arzt wenden, sei dies ja erstmal ein großer Vertrauensbeweis und ein Indiz für ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis. Durch reines “Wegbügeln” könnten sich die Patienten nicht ernst genommen fühlen und sich unter Umständen eine andere Arztpraxis suchen. “Nehmen Sie die Patienten ernst in ihrer Sorge um ihre Gesundheit, denn das ist ja der Grund, warum sie sich ausführlich informieren.”

Stefan Zutz, Hausarzt aus Neubukow und Vorsitzender des Hausärzteverbandes Mecklenburg-Vorpommern

“Informierte Patienten fordern mich heraus”

“Die Zahl informierter Patienten hat zugenommen. Diese Entwicklung läuft nach meiner Beobachtung aber parallel zur Entwicklung des Internets als Informationsmedium. Ich persönlich finde informierte Patienten auch nicht schlimm, wenn auch zum Teil anstrengender. Problematisch sind mit Halbwahrheiten informierte Patienten. Dann wird es gelegentlich aufwendig, differenziert aufzuklären, denn dafür fehlt den Patienten häufig das Hintergrundwissen.

Ja-Sager-Patienten sind zwar einfacher, aber bei ihnen ist zweifelhaft, ob sie alle Empfehlungen einhalten. Informierte Patienten sind für mich eine größere Herausforderung, die aber meinen Alltag – wenn sie in einem gewissen Rahmen bleibt – interessanter macht.”

Bildunterschrift der “Perspektiven in der HIV-Versorgung 2010 – wo stehen wir, wo wollen wir hin?”.

Anke Richter-Scheer, Hausärztin in Bad Oeynhausen und Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe

“Fülle an Infos überfordert”

“Ich beobachte mit Blick auf Vorinformationen aus dem Internet drei Patiententypen:

  1. Patienten, die sich grundsätzlich im Internet informieren.
  2. Patienten, die sich von ihren Ärzten nicht optimal behandelt fühlen.
  3. Patienten, die im Internet eine Antwort suchen und dann feststellen müssen, dass die Informationen zu viel oder zu wenig oder zu beängstigend sind. Die meisten Patienten sind mit der Vielfalt der Informationen überfordert.

Da sie keine Differentialdiagnosen stellen können, weil ihnen das medizinische Wissen fehlt, kommen sie zum Arzt. Meist sind sie leicht abzuholen. Der Umgang hängt immer vom Patiententyp ab und dieser ist mehr als vielfältig. Aber es macht Spaß, wenn man feststellt, dass der Patient sich mit seinen Symptomen auseinandersetzt und sich gut vorbereitet in der Praxis vorstellt.”

Ulf Zitterbart, Hausarzt in Kranichfeld und Vorsitzender des Hausärzteverbandes Thüringen

“Chroniker googeln weniger”

“Meine Erfahrung ist: Chroniker googeln eher nicht – auch nicht bei neuen Symptomen. Sie sprechen vielmehr ihren Hausarzt direkt darauf an. Andere Patienten – also Nicht-Chroniker, die wegen neu auftauchender Beschwerden überhaupt erst einen Hausarzt aufsuchen – fragen häufig erst im Familienkreis, worum es sich handeln könnte. Dann fragen sie vielleicht noch einen befreundeten Arzt, im Anschluss schauen sie, was Google hergibt, und schließlich kommen sie zu uns in die Praxis.”

Dr. Barbara Römer, Hausärztin in Saulheim und Vorsitzende des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz

“Diagnosen können nur Ärzte stellen”

“Manchmal trifft Google des Pudels Kern, insbesondere bei einer klar abgrenzbaren, nicht komplexen Symptomatik. Heute etwa kam ein Patient, der im Internet entdeckt hatte, dass es sich bei seinen Beschwerden um ein Karpaltunnelsyndrom handeln könnte. Ich habe diese Diagnose bestätigt und die Therapie eingeleitet.

In anderen Fällen aber liegen die Patienten mit der Internetrecherche total daneben, vor allem bei komplexen, diffusen Symptombildern. Gerade “Krebsdiagnosen” im Internet verunsichern Patienten immens. Schlussendlich können sie nur schwer zwischen seriösen und unseriösen Seiten unterscheiden.

Ich halte es allgemein für problemlos und völlig in Ordnung, wenn Menschen sich informieren und selbst recherchieren. Früher haben der Nachbar oder die Freundin die Diagnose im Voraus “gestellt”, jetzt ist es eben Google. In der Regel gelingt es mir gut, im zugewandten und erklärenden Arzt-Patientengespräch, die Patienten davon zu überzeugen, dass die Fachärztin für Allgemeinmedizin diejenige ist, die professionell Diagnosen stellen kann und eben nicht das Internet oder die Freundin.

Mein Credo: Wir müssen mit dem Internet genauso leben wie mit engagierten Ehepartnern oder Freunden, Diagnosen können aber nur Ärzte stellen.”

Literaturverzeichnis:

  1. Bitkom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., „Medizin 4.0 – wie digital sind Deutschlands Ärzte?“ 2.2.2021 www.bitkom.org/sites/default/files/2021-02/charts_digitalemedizin_arzte.pdf
  2. Universität Bielefeld Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung; 2020 , Hurrelmann K, Klinger J, Schaeffer D., „Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – Vergleich der Erhebungen 2014 und 2021“ www.uni-bielefeld.de/erziehungswissenschaft/izgk/downloads/HLS-GER-1-2020.pdf
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