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Aus Wissenschaft und ForschungHA 09/24: Die DEGAM informiert

Auf diesen Seiten stellt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) neueste medizinische Erkenntnisse vor, die für den Praxisalltag der Hausärztinnen und Hausärzte relevant sind.

Was tut sich in Wissenschaft und Forschung?

Blutentnahmen bei Kindern: Nützt Virtual Reality?

Eine Studie in Spanien untersuchte Virtual Reality (VR) als Möglichkeit, die Beeinträchtigung durch eine geplante Blutentnahme bei Kindern zu vermindern. In zwei Krankenhäusern und fünf Primärversorgungszentren wurden insgesamt 83 Kinder zwischen 7 und 12 Jahren (durchschnittlich 9,7 Jahre alt; knapp die Hälfte Mädchen) randomisiert.

Den Kindern in der Interventionsgruppe wurde über eine VR-Brille ein Zeichentrickfilm vorgespielt, in dem ein Igel seinen Geburtstag mit Luftballons in Tiergestalt feiert.

Die Kinder gaben den Schmerz auf einer Visuellen Analogskala (VAS) an, die Angst wurde mit der Groningen-Distress-Skala abgeschätzt und das Pflegepersonal schätzte die Schwierigkeit der Blutentnahme retrospektiv ein. Eine Verblindung wurde für keine der beteiligten Personen durchgeführt, wodurch die Endpunkte zurückhaltend interpretiert werden sollten.

84 Prozent der Kinder mit VR und 58 Prozent der Kinder in der Kontrollgruppe gaben nur geringe Schmerzen an (VAS 0-3). Ausgeprägtere Angstsymptome (Groningen-Distress-Skala 4 und 5) traten bei 15 Prozent in der Kontrollgruppe und bei 0 Prozent in der Interventionsgruppe auf.

Die Autoren errechnen eine NNT von 4, um die Schmerzen eines Kinds auf ein niedriges Niveau (VAS 0-3) zu reduzieren, und eine NNT von 6, um Angst zu reduzieren. Das Pflegepersonal schätzte die Blutentnahmen bei Kindern mit VR-Brille in 67 und bei Kindern der Kontrollgruppe in 48 Prozent als einfach ein.

Fazit: Auch wenn der Film inhaltlich eher intellektuell unterfordernd für die untersuchte Altersgruppe scheint, hat er bewirkt, dass weniger Kinder Angst und Schmerzen durch die Blutentnahme angegeben haben und das Pflegepersonal die Blutentnahme bei mehr Kindern als einfach bewertete. Interessant wäre ein direkter Vergleich mit weniger aufwendigen Maßnahmen wie zum Beispiel ein Hörspiel oder ein herkömmlicher Film.

Quelle: Gil Piquer R, Mañes Jiménez Y, España Marí M, Peris Peris A, Solanes Donet P, García Lledó N, Pons Fernández N. Usefulness of virtual reality in the management of pain associated with venepuncture: a multicentre randomized clinical trial. An Pediatr (Engl Ed). 2024 Jan;100(1):25-33. Epub 2023 Dec 28. PMID: 38158270. doi: 10.1016/j.anpede.2023.12.002

Sprachbasierte KI zur Einstellung mit Basalinsulin

Insulin ist bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes eine nachrangige Therapieoption. Wenn sie dennoch indiziert ist, muss die passende Dosis der einmal täglichen Basalinsulingabe gefunden werden.

Eine kleine Studie hat untersucht, wie eine sprachbasierte künstliche Intelligenz (KI) dabei unterstützen kann. Es wurde explizit keine smartphone- oder computerbasierte Unterstützung, sondern ein smarter Lautsprecher entwickelt, um die Nutzung auch für ältere Menschen zu ermöglichen. Eine Finanzierung über die herstellende Firma erfolgte nach Angaben der Autoren nicht.

39 Personen mit Diabetes, die eine Basalinsulintherapie starteten oder ihre Dosis anpassen mussten, wurden an vier Primärversorgungszentren der Stanford University in die Studie eingeschlossen und erhielten einen smarten Lautsprecher. Der Lautsprecher erinnerte die Kontrollgruppe täglich, das Insulin zu spritzen und Blutzuckerwerte zu messen und einzutragen; Dosisanpassungen erfolgten aber nur bei Kontakten im Gesundheitszentrum.

Für die Interventionsgruppe legten die Behandelnden ein Titrationsprotokoll fest. Die Teilnehmenden erfassten per Spracheingabe ihre Blutzuckerwerte und erhielten eine Sprachanweisung zur zu spritzenden Dosis. Die Behandelnden konnten die Dosisanpassungen in Echtzeit verfolgen und ggf. anpassen.

Der Endpunkt einer guten Blutzuckereinstellung (definiert als Blutzuckerwerte unter 130 mg/dl) wurde in der Interventionsgruppe schneller (nach 15 Tagen statt nach > 56 Tagen) und häufiger (nach acht Wochen bei 80 Prozent statt bei 25 Prozent) erreicht, dafür waren im Schnitt acht automatisierte Dosisänderungen nötig. Bei vier Personen korrigierten die Behandelnden einmal die Dosisanpassung der KI. Fünf Teilnehmende benötigten technischen Support.

Da die Blutzuckereinstellung in der Diabetesbehandlung nur ein Surrogatparameter ist, sind einige sekundär erhobene Endpunkte interessanter: So gaben die Personen der Interventionsgruppe auf der PAID (Problem Areas in Diabetes)-5-Skala signifikant weniger emotionale Belastung durch die Erkrankung an als die Personen der Kontrollgruppe.

Fazit: Über einen smarten Lautsprecher kann eine sprachbasierte KI konkrete Anweisungen zu Insulindosisanpassungen entsprechend den aktuellen Blutzuckerwerten geben. In der aktuellen Studie mit wenigen, selektierten Teilnehmenden und über einen kurzen Zeitraum konnte so rascher eine passende Dosis gefunden werden, während die Teilnehmenden gleichzeitig eine emotionale Entlastung in Bezug auf ihre Erkrankung angaben.

Quelle: Nayak A, Vakili S, Nayak K et al. Use of Voice-Based Conversational Artificial Intelligence for Basal Insulin Prescription Management Among Patients With Type 2 Diabetes: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2023;6(12):e2340232; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2023.40232

Best of Leitlinien

4 Fragen an Dr. Jeannine Schübel, Leiterin des Bereichs Lehre am Bereich Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät Dresden und Sprecherin der Sektion Leitlinien & Qualitätsförderung der DEGAM

Was ist Ihre Lieblingsleitlinie?

Das ist ganz klar die DEGAM-Leitlinie “Klimabewusste Verordnung von Inhalativa”. Guido Schmiemann aus Bremen hat damit einen für mich noch vollkommen ungewohnten Fokus für unsere Leitlinien gewählt – den Einfluss medizinischer Behandlungen auf unseren ökologischen Fußabdruck. Und es ist ihm ausgesprochen gut gelungen, dies auf nur 15 Seiten praxisnah zu vermitteln.

Entgegen vieler anderer Empfehlungen setzt diese Leitlinie nicht dort an, wo wir als Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten zu individuellen Verhaltensänderungen beraten, sondern dort, wo wir selbst durch unsere fachlichen Entscheidungen einen positiven Einfluss nehmen können.

Es geht darum, innerhalb unseres professionellen Handlungsspielraums Verantwortung zu übernehmen und durch bewusste Entscheidungen einen Beitrag zur Verbesserung der planetaren Gesundheit zu leisten.

Was genau thematisiert denn die Leitlinie?

Inhalative Medikamente für Asthma oder COPD enthalten oft Treibhausgase, die bei Anwendung in die Atmosphäre freigesetzt werden. Diese tragen signifikant zur globalen Erwärmung bei. Die Leitlinie gibt nun konkrete Empfehlungen, wie wir klimafreundlichere Alternativen wählen können, ohne dabei die Qualität der Patientenversorgung zu beeinträchtigen.

Welche Empfehlungen aus der Leitlinie halten Sie für besonders wichtig?

Die Empfehlung zur bevorzugten Verwendung von Pulverinhalatoren (DPI): Bei Jugendlichen über 12 Jahren und Erwachsenen mit einer obstruktiven Lungenerkrankung soll eine inhalative Therapie vorzugsweise mit DPI erfolgen. Diese enthalten im Gegensatz zu Dosieraerosolen keine Treibmittel, die ein hohes Treibhauspotenzial aufweisen.

Eine Umstellung auf solche Präparate kann daher bei gleicher Therapieeffizienz eine signifikante Reduzierung des CO2-Fußabdrucks bewirken.

Super hilfreich sind vor allem die in der Leitlinie dargestellten Entscheidungshilfen. Die zeigen ganz konkret, bei welchen Präparaten man welche Patienten wann und wie ein- bzw. umstellen kann. Wenn jemand sie noch nicht gesehen hat: Da lohnt sich wirklich ein Blick drauf!

Aber bewirkt es denn etwas, wenn nur die hausärztlich Tätigen so klimabewusst verordnen?

Das ist das Tolle an der aktuellen Version, die in diesem Jahr veröffentlicht wurde: Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin war an einer Zusammenarbeit sehr interessiert, daher wurde die Federführung dieser Leitlinie geteilt (Dr. Christian Grah ist Mitautor).

Außerdem konsentiert haben neben der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker noch fünf weitere Fachgesellschaften aus den Bereichen Innere Medizin und Pädiatrie und die Deutsche Patientenliga Atemwegserkrankungen e.V.

Hinweis: Die Seiten werden redaktionell selbstständig von der DEGAM verantwortet und unterliegen keinen inhaltlichen Vorgaben durch Verlag oder Anzeigenkunden. Die Autorinnen und Autoren erklären, dass zu den Inhalten der Seiten keine Interessenkonflikte vorliegen.

Impressum Redaktion: Dr. med. Sabine Gehrke-Beck, Institut für Allgemeinmedizin, Charité–Universitätsmedizin (verant.)

DEGAM-Bundesgeschäftsstelle: Natascha Hövener, Dr. Philipp Leson, Schumannstr. 9, 10117 Berlin, Tel.: (030) 20 966 98 00, www.degam.de

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