Hausärzte begleiten Menschen mit psychischen Erkrankungen oft ein Leben lang. Einige dieser Patienten sprechen nicht ausreichend auf medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungen an. Um eine Chronifizierung zu verhindern, kann die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) eine rettende Alternative sein. Dafür gibt es gute wissenschaftliche Evidenz.
Ausgehend vom Elektroschock in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Elektro- krampftherapie in der zweiten Hälfte hat sich die Elektrokonvulsionstherapie in technischen und vor allem in nicht technischen Aspekten erheblich weiterentwickelt. Sie ist in den letzten Jahrzehnten zu einer modernen medizinischen Intervention geworden und unterliegt heute denselben Standards wie Eingriffe bei somatischen Erkrankungen.
Da die Chancen auf Besserung mit zunehmender Krankheits- und Episodendauer sowie dem Ausmaß der Vorbehandlung abnehmen, ist eine rechtzeitige Aufklärung über die Elektrokonvulsionstherapie wichtig und juristisch gefordert.
Durchführung
Der Patient willigt nach entsprechender Aufklärung in die Kurznarkose und die Elektrokonvulsionstherapie schriftlich ein. Die Behandlung wird in Deutschland stets gemeinsam von einem Psychiater und einem Anästhesisten durchgeführt. Während der wenige Minuten dauernden Kurznarkose wird der Patient relaxiert und über eine (Larynx-)Maske beatmet. So wird durchgehend eine Sauerstoffsättigung nahe 100 Prozent sichergestellt. Eine Intubation erfolgt in der Regel nicht.
Über zwei Oberflächenelektroden an der Kopfhaut wird eine Folge sehr kurzer Rechteck-Stromimpulse (Dauer meist unter 1 Millisekunde) appliziert. Der ausgelöste generalisierte Anfall tritt infolge der Muskelrelaxierung äußerlich kaum in Erscheinung und sistiert selbstständig nach ungefähr 60 Sekunden.
Wenige Minuten später wacht der Patient auf und kann nach einer kurzen Nachbeobachtungszeit auf die Station zurückgebracht werden. Er nimmt den Rest des Tages an den üblichen Aktivitäten teil. Durch Variation von Narkosemittel, Stimulationsintensität, Elektrodenlage und anderen Parametern kann die Behandlung individualisiert und unter Beachtung bekannter Qualitätsmarker optimiert werden.
Indikation
Das Anwendungsspektrum der Elektrokonvulsionstherapie ist sehr breit. Sie wirkt in unterschiedlicher Ausprägung antidepressiv, antimanisch, stimmungstabilisierend, antipsychotisch, antikonvulsiv, antisuizidal, und antikataton. Eine Indikation sollte naturgemäß nur gestellt werden, wenn das Zielsyndrom des Patienten in diesem Anwendungsspektrum enthalten ist. Die Anwendung bei der schweren oder therapieresistenten unipolaren Depression ist wissenschaftlich am besten untersucht. Etwa 80 Prozent der Behandlungen in Deutschland erfolgen in diesen beiden Indikationen. Dabei gilt sie der Pharmakotherapie als überlegen. Auch zu psychotischen und anderen schweren psychiatrischen Störungen liegen Publikationen zur Wirksamkeit vor.
Wirkmechanismus
Gemessen an anderen psychiatrischen Therapien ist das Behandlungsprinzip der Elektrokonvulsionstherapie relativ gut aufgeklärt. Als gesichert gilt, dass der generalisierte Anfall das therapeutische Agens darstellt.
Der Vorteil der elektrischen Anfallsauslösung gegenüber der vor 1938 eingesetzten Methode durch Verabreichung prokonvulsiver Substanzen liegt in der präzisen zeitlichen Steuerbarkeit. Es konnten viele somatische und zerebrale Effekte der Elektrokonvulsionstherapie nachgewiesen werden, beispielsweise auf Neurotransmittersysteme, neuroendokrine Funktionen und die Neuropeptide. Unbekannt ist bisher, welche essenziell mit der Wirkung assoziiert sind und welche Epiphänomene darstellen.
Aus neueren Untersuchungen ist bekannt, dass bei schweren psychischen Erkrankungen neben funktionellen auch strukturelle Defizite im Hirngewebe vorhanden sind. Die derzeit gängigste Hypothese zum Wirkmechanismus der Elektrokonvulsionstherapie ist eine Stimulation neurotropher Mechanismen im Gehirn und die Regeneration des Nervengewebes. Unter einer Elektrokonvulsionstherapie wurden z.B. die vermehrte Bildung von Nervenwachstumsfaktoren und eine gesteigerte Neubildung von Nervenzellen und Synapsen beobachtet. Die neurotrophe Hypothese wird durch zahlreiche tierexperimentelle Untersuchungen gestützt und widerspricht diametral der manchmal geäußerten Behauptung, dass die Elektrokonvulsionstherapie Hirngewebe schädigt.
Wirksamkeit
Bei sehr schwer oder chronisch depressiven Patienten zeichnet sich die Elektrokonvulsionstherapie durch eine überlegene Wirksamkeit aus. Die Erfolgsaussichten betragen hier je nach Vorbehandlung zwischen 50 und 90 Prozent. Ein therapeutischer Effekt wird in der Regel nach einer Serie von 5 bis 20, durchschnittlich zehn Einzelbehandlungen im Abstand von einigen Tagen erreicht. Das Ende einer Serie wird entsprechend dem klinischen Verlauf individuell festgelegt.
Bei den schwer und chronisch kranken Patienten besteht nach erfolgreicher Behandlung eine sehr hohe Rückfallgefahr, da das plötzliche Absetzen einer hochwirksamen Therapie naturgemäß zu einer Wiederkehr der Beschwerden führen kann. Deshalb sollten neben einer medikamentösen und psychotherapeutischen Prophylaxe EKT-Erhaltungsbehandlungen angeboten werden, die in allmählich größer werdenden Abständen über mindestens sechs Monate fortgeführt werden.
War die Behandlung nicht erfolgreich, ist es wichtig, lückenlos eine neue Behandlungsstrategie mit dem Patienten zu erarbeiten. An dieser Stelle zahlt es sich aus, wenn die Elektrokonvulsionstherapie bei der Aufklärung nicht als letzte Behandlungsmöglichkeit dargestellt wurde.
Nebenwirkungen
Sorgfältige Untersuchungen mit unterschiedlichsten Ansätzen bestätigen, dass die Elektrokonvulsionstherapie keine strukturellen Schäden im Hirngewebe verursacht. Patienten entscheiden sich zunehmend für die Therapie, wenn sie das überschaubare Risiko der Behandlung den chronischen Beschwerden der psychischen Erkrankung gegenüberstellen.
Die Gefahr für ein vital bedrohliches Ereignis unter der Elektrokonvulsionstherapie liegt mit 1:30.000 Behandlungen kaum über dem einer Kurznarkose bei anderen Interventionen. Kardiale und pulmonale Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen, eine hypertensive Krise, Aspirationspneumonie und prolongierte Anfälle sind die wichtigsten Komplikationen. Durch eine gründliche somatische Abklärung im Vorfeld können sie deutlich reduziert werden.
Bedeutsamste Nebenwirkung der Elektrokonvulsionstherapie sind kognitive Störungen im Sinne von antero- und retrograde Gedächtnisstörungen, die in der Regel vor-übergehender Natur sind. Studien zeigen, dass sich im Gruppenmittel die Kognition durch die Elektrokonvulsionstherapie mittel- und langfristig sogar deutlich verbessert.
Für die Patienten sehr beunruhigend sind inselartige retrograde Amnesien für einzelne Ereignisse während der Behandlungsserie, die als Ausnahme über Monate oder auf Dauer persistieren können. Schonende Stimulationsparadigmen, die unilaterale Elek-trodenposition, eine geeignete Wahl des Narkosemittels und eine flexible Gestaltung der Behandlungsfrequenz können die kognitiven Defizite deutlich reduzieren.
Fazit
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Patienten mit psychischen Erkrankungen suchen beim Hausarzt zunehmend Unterstützung, Beratung und Begleitung. Einige sprechen nicht ausreichend auf Medikamente und Psychotherapie an.
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In manchen Fällen kann eine Elektrokonvulsionstherapie eine rettende Alternative sein. Sie sollte nicht zu spät eingesetzt werden.
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Die Elektrokonvulsionstherapie hat eine große wissenschaftliche Evidenz und wurde in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt. Die Akzeptanz im gesellschaftlichen Umfeld wächst.
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Die Elektrokonvulsionstherapie wirkt effektiv, relativ schnell und ist im Verhältnis zum Weiterbestehen der Grunderkrankung nebenwirkungsarm. Sie ist mit anderen Behandlungsverfahren gut kombinierbar.
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Bei Erfolg sollte eine Erhaltungsbehandlung erfolgen.
Literatur bei den Verfassern.
Mögliche Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.